Ich lese viel und schreibe bei vielen Büchern eine Rezension, die hier veröffentlicht ist. Ich schreibe solche Kritiken auch für mehrere Verlage und deren Bücher. |
Suche in der Lesestoffsammlung
|
Die komplette Liste
2022 |
HELFER, Monika Löwenherz Buch 2022. @book{HELFER2022, title = {Löwenherz}, author = {Monika HELFER}, year = {2022}, date = {2022-05-15}, abstract = {HELFER, Monika: „Löwenherz“, München 2022 Im Rahmen des Kulturfestivals „Literatur & Wein 2022“ stellte die Autorin dieses Buch vor und las daraus. Mit vielen Büchern kam ich von diesen Lesungen heim. Darunter das Buch über den Bruder der Dichterin, den sie „Löwenherz“ nannte. Es ist sicher schwer als Frau eines erfolgreichen Schriftstellers selbst schriftstellerisch tätig zu sein. Monika Helfer nimmt in ihrem Buch „Löwenherz“ aber laufend Bezug auf ihn, den bekannteren, den berühmteren, den Dichter Michael Köhlmeier. „Löwenherz“ sollte eine Biografie über ihren verstorbenen Bruder sein, sie erzählt aber mehr von sich selbst und ihrem Mann, als über den Bruder. Ja, die Verwebung zwischen dem Dichtermann und der Dichterfrau geht so weit, dass Manuskripttexte dem Mann vorgelesen werden und dass er Input zum Thema „Bruder“ einbringt. Wie gesagt; als Leser erfährt man auch viel über die Beziehung von Köhlmeier und Helfer. Wie sie zusammenkamen, wie sich Helfer von ihrem Mann scheiden ließ und wie sie mit ihrem Geliebten, dem jetzigen Ehemann, zusammenkam. Der Bruder ist und soll aber der Leitfaden des Buches sein. Als die Mutter starb wurden die Kinder aufgeteilt und der Vater ging in ein Kloster. Der Bruder kam zu einer anderen Tante als sie und die zwei Schwestern. So wird erzählt, wie die Mädchen ihren Bruder besuchten. Später wird er dann zum Freund des eigenen Freunds, eben Michael Köhlmeier, weswegen dieser viel Input zum vorliegenden Buch liefern konnte. Der Bruder war behindert oder anders. Seine Interessen lagen im Erfinden von Geschichten und im Malen von Bildern. Er selbst arbeitete im aussterbenden Beruf des Setzers. Wie ein Clochard hatte er einen Hund, den er Schamasch nannte. „Mein Bruder und Schamasch gehören inzwischen zum Stadtbild. Zwei Käuze. Der Mann mit dem Hund. Dabei war er erst Mitte der zwanzig.“ (Seite 105) Am Fluss wäre er beinahe ertrunken. Eine junge Frau mit einem kleinen Kind hatte ihn gerettet. Dieses Kind gab sie ihm später zur Pflege, weil sie ja sein Lebensretter sei, solle auch er einen Beitrag leisten. Das Kind blieb bei ihm. Er wusste nicht, wie es hieß, so nannte er es Putzi. Später heiratete er eine sehr vornehme und reiche Frau, eine Anwältin. Sie liebte ihn, trotz oder wegen seiner Seltenheiten. Eine Ehe, in der zwei Personen aus unterschiedlichsten Verhältnissen zusammenkamen. Sie wollte eine richtige Familie und bemühte sich Putzi zu adoptieren, was schief ging. Der Hund wurde zu Silvester im Wald von einem Jäger erschossen und Richard versank emotionell. Tanja, sein Frau blieb ihm treu, bis „der Tod sie schied“. Mit 30 Jahren nahm er sich das Leben. Monika Helfer erzählt aus Abschnitten ihres Lebens, die mit dem Bruder zu tun hatten. Immer wieder kommt auch Michael, ihr Ehemann ins Bild, der den Bruder, den Schwager vielleicht besser kannte und von dem viele Erinnerungen ins Buch einflossen.}, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } HELFER, Monika: „Löwenherz“, München 2022 Im Rahmen des Kulturfestivals „Literatur & Wein 2022“ stellte die Autorin dieses Buch vor und las daraus. Mit vielen Büchern kam ich von diesen Lesungen heim. Darunter das Buch über den Bruder der Dichterin, den sie „Löwenherz“ nannte. Es ist sicher schwer als Frau eines erfolgreichen Schriftstellers selbst schriftstellerisch tätig zu sein. Monika Helfer nimmt in ihrem Buch „Löwenherz“ aber laufend Bezug auf ihn, den bekannteren, den berühmteren, den Dichter Michael Köhlmeier. „Löwenherz“ sollte eine Biografie über ihren verstorbenen Bruder sein, sie erzählt aber mehr von sich selbst und ihrem Mann, als über den Bruder. Ja, die Verwebung zwischen dem Dichtermann und der Dichterfrau geht so weit, dass Manuskripttexte dem Mann vorgelesen werden und dass er Input zum Thema „Bruder“ einbringt. Wie gesagt; als Leser erfährt man auch viel über die Beziehung von Köhlmeier und Helfer. Wie sie zusammenkamen, wie sich Helfer von ihrem Mann scheiden ließ und wie sie mit ihrem Geliebten, dem jetzigen Ehemann, zusammenkam. Der Bruder ist und soll aber der Leitfaden des Buches sein. Als die Mutter starb wurden die Kinder aufgeteilt und der Vater ging in ein Kloster. Der Bruder kam zu einer anderen Tante als sie und die zwei Schwestern. So wird erzählt, wie die Mädchen ihren Bruder besuchten. Später wird er dann zum Freund des eigenen Freunds, eben Michael Köhlmeier, weswegen dieser viel Input zum vorliegenden Buch liefern konnte. Der Bruder war behindert oder anders. Seine Interessen lagen im Erfinden von Geschichten und im Malen von Bildern. Er selbst arbeitete im aussterbenden Beruf des Setzers. Wie ein Clochard hatte er einen Hund, den er Schamasch nannte. „Mein Bruder und Schamasch gehören inzwischen zum Stadtbild. Zwei Käuze. Der Mann mit dem Hund. Dabei war er erst Mitte der zwanzig.“ (Seite 105) Am Fluss wäre er beinahe ertrunken. Eine junge Frau mit einem kleinen Kind hatte ihn gerettet. Dieses Kind gab sie ihm später zur Pflege, weil sie ja sein Lebensretter sei, solle auch er einen Beitrag leisten. Das Kind blieb bei ihm. Er wusste nicht, wie es hieß, so nannte er es Putzi. Später heiratete er eine sehr vornehme und reiche Frau, eine Anwältin. Sie liebte ihn, trotz oder wegen seiner Seltenheiten. Eine Ehe, in der zwei Personen aus unterschiedlichsten Verhältnissen zusammenkamen. Sie wollte eine richtige Familie und bemühte sich Putzi zu adoptieren, was schief ging. Der Hund wurde zu Silvester im Wald von einem Jäger erschossen und Richard versank emotionell. Tanja, sein Frau blieb ihm treu, bis „der Tod sie schied“. Mit 30 Jahren nahm er sich das Leben. Monika Helfer erzählt aus Abschnitten ihres Lebens, die mit dem Bruder zu tun hatten. Immer wieder kommt auch Michael, ihr Ehemann ins Bild, der den Bruder, den Schwager vielleicht besser kannte und von dem viele Erinnerungen ins Buch einflossen. |
NEUWIRTH, Günter Caffé in Triest Buch 2022. @book{NEUWIRTH2022, title = {Caffé in Triest}, author = {Günter NEUWIRTH}, year = {2022}, date = {2022-05-08}, abstract = {NEUWIRTH, Günter: „Caffé in Triest“, Meßkirch 2022 Wenn man das Buch zu lesen beginnt, denkt man, es sei von einem Schriftsteller zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschrieben worden. Der Autor ist aber 1966 geboren und wohnt in Graz. Es muss sehr viel Recherchearbeit dahinter stecken, um so detailgenau die Zeit um 1907 nachzuzeichnen. Das Buch besteht aus 15 Kapiteln, die jeweils einen Tag beschreiben. Mit über 400 Seiten werden nur 15 Tage, die sich auf die Zeit vom 10. September bis zum 9. Oktober 1907 erstrecken, behandelt. Durch die historischen Rückblicke gibt es aber einen Einblick in einen größeren Zeitraum. Als Leser bekommt man Zutritt zu verschiedenen Gesellschaftsschichten der damaligen Zeit: dem aus einfachen Verhältnissen aufstrebenden Proponenten Jure, dem Polizeiinspektor Bruno und seiner Welt der Polizei, einem Verbrechermilieu und der Familie eines Seemanns. Auch der, zu dieser Zeit in Triest wohnende irische Dichter James Joyce wird eingebunden und tritt als Englischlehrer auf. Geschickt werden diese verschiedenen Milieus miteinander verstrickt. Nicht in friedlichem Sinne, sondern in einem Kriminalfall. Ich bin kein Kriminalromanleser. Ja, ich vermeide sie sogar. Im vorliegenden Buch habe ich eine historische Geschichte vermutet und erst in der zweiten Hälfte des Buches musste ich feststellen, dass es sich zu einem Kriminalroman entwickelt. Ich genoss es aber und habe es in kurzer Zeit gelesen, um die Spannung anhalten zu lassen. Das Buch entführt in die Welt des österreichischen Triests des beginnenden 20. Jahrhunderts mit seinen sozialen Problemen zwischen Italienern, Slowenen und „Deutschen“, wie die Österreicher hier genannt wurden. Wie schon gesagt, entpuppt es sich im Laufe der fortgeschrittenen Seiten als Krimi und endet etwas kitschig. Aber die geistige Reise ins vorige Jahrhundert Triests ist es wert gelesen zu werden. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } NEUWIRTH, Günter: „Caffé in Triest“, Meßkirch 2022 Wenn man das Buch zu lesen beginnt, denkt man, es sei von einem Schriftsteller zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschrieben worden. Der Autor ist aber 1966 geboren und wohnt in Graz. Es muss sehr viel Recherchearbeit dahinter stecken, um so detailgenau die Zeit um 1907 nachzuzeichnen. Das Buch besteht aus 15 Kapiteln, die jeweils einen Tag beschreiben. Mit über 400 Seiten werden nur 15 Tage, die sich auf die Zeit vom 10. September bis zum 9. Oktober 1907 erstrecken, behandelt. Durch die historischen Rückblicke gibt es aber einen Einblick in einen größeren Zeitraum. Als Leser bekommt man Zutritt zu verschiedenen Gesellschaftsschichten der damaligen Zeit: dem aus einfachen Verhältnissen aufstrebenden Proponenten Jure, dem Polizeiinspektor Bruno und seiner Welt der Polizei, einem Verbrechermilieu und der Familie eines Seemanns. Auch der, zu dieser Zeit in Triest wohnende irische Dichter James Joyce wird eingebunden und tritt als Englischlehrer auf. Geschickt werden diese verschiedenen Milieus miteinander verstrickt. Nicht in friedlichem Sinne, sondern in einem Kriminalfall. Ich bin kein Kriminalromanleser. Ja, ich vermeide sie sogar. Im vorliegenden Buch habe ich eine historische Geschichte vermutet und erst in der zweiten Hälfte des Buches musste ich feststellen, dass es sich zu einem Kriminalroman entwickelt. Ich genoss es aber und habe es in kurzer Zeit gelesen, um die Spannung anhalten zu lassen. Das Buch entführt in die Welt des österreichischen Triests des beginnenden 20. Jahrhunderts mit seinen sozialen Problemen zwischen Italienern, Slowenen und „Deutschen“, wie die Österreicher hier genannt wurden. Wie schon gesagt, entpuppt es sich im Laufe der fortgeschrittenen Seiten als Krimi und endet etwas kitschig. Aber die geistige Reise ins vorige Jahrhundert Triests ist es wert gelesen zu werden. |
OSKAMP, Katja Marzahn mon Amour, Geschichten einer Fusspflegerin Buch 2022. @book{OSKAMP2022, title = {Marzahn mon Amour, Geschichten einer Fusspflegerin}, author = {Katja OSKAMP}, year = {2022}, date = {2022-05-02}, abstract = {OSKAMP, Katja: „Marzahn mon amour, Geschichten einer Fusspflegerin“, Berlin 2021 Ich habe die Schriftstellerin beim Kulurfestival „Literatur & Wein“ im Stift Göttweig kennengelernt. Ihren Vortrag habe ich interessant und lustig empfunden. Es war aber so wie mit dem herrlichen Rezzina-Wein, den man im Urlaub in Griechenland trinkt, sich eine Flasche mit nach Hause nimmt und zu Hause schmeckt er nicht mehr so gut. So war es auch mit Oskamps Buch. Es war zwar nicht uninteressant, aber nach mehreren Geschichten wurde es langweilig. Die Struktur des Buches ist sehr einfach: eine Fusspflegerin erzählt die Lebensgeschichten ihrer Kunden, wie sie sie während einer Fussbehandlung erzählen. Die Icherzählerin ist die Schriftstellerin selbst. Als ihre Mansukripte von vielen Verlagen abgelehnt wurden, musste sie sich einen anderen Gelderwerb suchen und machte eine Fußpflegerinnenausbildung, um dann in einem Körperpflegestudio im Ostberlin Plattenbaubezirk Marzahn zu arbeiten. Ob es sich um alleinstehende Witwen handelt oder um einen ehemaligen DDR-Politbonzen, die Geschichten wiederspiegeln Menschen, die in diesem Viertel wohnen. Hauptsächlich sind es aber alte Leute, deren Geschichten verschriftlicht werden. Bei einem Ausflug mit Kolleginnen schwingt sie sich „zu einer Hymne über Marzahn und seine Bewohner, über diese Leute, die dort vor vierzig Jahren hingezogen sind und jetzt mit Rollator, Sauerstoffgerät und Mindestrente tapfer ihr Leben zu Ende bringen, die manchmal tagelang mit niemandem reden, die uns, wenn sie ins Studio kommen, ihre hungrigen Herzen ausschütten, jede Berührung dankbar aufsaugen und glücklich sind an diesem Ort, an dem sie nicht wie die Vollidoten der Nation behandelt werden“ (Seite 92) auf. Die Fusspflegerin Oskamp liebt ihre Kunden, auch wenn ihre Füße stinken, verkrüppelt und ungepflegt sind. Genauso liebevoll erzählt sie die Geschichten über diese, ihre Kunden. Seit 2015 hat sie 3500 Füße gepflegt. Das sind – so ihre Hochrechnung – 19.000 Zehen. Mit den letzten beiden Geschichten läuft die Erzählerin – oder die zu beschreibenden Personen mit ihren Lebensläufen – zu einer Hochform auf. Da ist Gerlinde Bonkat, die 1945 als siebenjähriges Kind mit ihrer Mutter aus Königsberg mit ihrer Mutter in den Westen geflüchtet ist. Sie hat sich von gefängnisähnlichen Flüchtlingslagern hochgearbeitet und viele Berufe ausgeübt. Nie hat sie sich unterkriegen lassen und immer ist die positiv und fröhlich gewesen. „Ich verneige mich vor der Lebensleistung von Gerlinde Bonkat, weil es sonst niemand tut. Sie hat jede Chance ergriffen, um den verpfuschten Start ins Leben auszugleichen.“ (Seite 130) Alleine die Geschichte dieser Frau ist es wert dieses Buch zu lesen. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } OSKAMP, Katja: „Marzahn mon amour, Geschichten einer Fusspflegerin“, Berlin 2021 Ich habe die Schriftstellerin beim Kulurfestival „Literatur & Wein“ im Stift Göttweig kennengelernt. Ihren Vortrag habe ich interessant und lustig empfunden. Es war aber so wie mit dem herrlichen Rezzina-Wein, den man im Urlaub in Griechenland trinkt, sich eine Flasche mit nach Hause nimmt und zu Hause schmeckt er nicht mehr so gut. So war es auch mit Oskamps Buch. Es war zwar nicht uninteressant, aber nach mehreren Geschichten wurde es langweilig. Die Struktur des Buches ist sehr einfach: eine Fusspflegerin erzählt die Lebensgeschichten ihrer Kunden, wie sie sie während einer Fussbehandlung erzählen. Die Icherzählerin ist die Schriftstellerin selbst. Als ihre Mansukripte von vielen Verlagen abgelehnt wurden, musste sie sich einen anderen Gelderwerb suchen und machte eine Fußpflegerinnenausbildung, um dann in einem Körperpflegestudio im Ostberlin Plattenbaubezirk Marzahn zu arbeiten. Ob es sich um alleinstehende Witwen handelt oder um einen ehemaligen DDR-Politbonzen, die Geschichten wiederspiegeln Menschen, die in diesem Viertel wohnen. Hauptsächlich sind es aber alte Leute, deren Geschichten verschriftlicht werden. Bei einem Ausflug mit Kolleginnen schwingt sie sich „zu einer Hymne über Marzahn und seine Bewohner, über diese Leute, die dort vor vierzig Jahren hingezogen sind und jetzt mit Rollator, Sauerstoffgerät und Mindestrente tapfer ihr Leben zu Ende bringen, die manchmal tagelang mit niemandem reden, die uns, wenn sie ins Studio kommen, ihre hungrigen Herzen ausschütten, jede Berührung dankbar aufsaugen und glücklich sind an diesem Ort, an dem sie nicht wie die Vollidoten der Nation behandelt werden“ (Seite 92) auf. Die Fusspflegerin Oskamp liebt ihre Kunden, auch wenn ihre Füße stinken, verkrüppelt und ungepflegt sind. Genauso liebevoll erzählt sie die Geschichten über diese, ihre Kunden. Seit 2015 hat sie 3500 Füße gepflegt. Das sind – so ihre Hochrechnung – 19.000 Zehen. Mit den letzten beiden Geschichten läuft die Erzählerin – oder die zu beschreibenden Personen mit ihren Lebensläufen – zu einer Hochform auf. Da ist Gerlinde Bonkat, die 1945 als siebenjähriges Kind mit ihrer Mutter aus Königsberg mit ihrer Mutter in den Westen geflüchtet ist. Sie hat sich von gefängnisähnlichen Flüchtlingslagern hochgearbeitet und viele Berufe ausgeübt. Nie hat sie sich unterkriegen lassen und immer ist die positiv und fröhlich gewesen. „Ich verneige mich vor der Lebensleistung von Gerlinde Bonkat, weil es sonst niemand tut. Sie hat jede Chance ergriffen, um den verpfuschten Start ins Leben auszugleichen.“ (Seite 130) Alleine die Geschichte dieser Frau ist es wert dieses Buch zu lesen. |
RABINOVICI, Doron Andernorts Buch 2022. @book{RABINOVICI2022, title = {Andernorts}, author = {Doron RABINOVICI}, year = {2022}, date = {2022-04-27}, abstract = {RABINOVICI, Doron: „Andernorts“, Berlin 2020 Durch eine Fernsehsendung mit dem Autor wurde ich angeregt dieses Buch zu lesen. Der in Israel geborene und in Wien wohnende Rabinivici kann – bedingt durch seine Herkunft und sein Leben – auf das Leben zweier sehr unterschiedlicher Kulturen blicken, die auch in diesem Buch zum Ausdruck kommen. Zwar in Israel, wo sich seine Eltern hin geflüchtet hatten, ist er – und auch der Protagonist dieses Buches – geboren, aber dann an vielen Orten der Welt aufgewachsen. „Jahre später seid ihr nach Paris, nach London und nach New York gezogen. Aber überall warst du der Israeli; nur in Israel wurdest du zum Wiener, zum Jekke, zum Franzosen, zum Amerikaner. Schon als Siebenjähriger bist du im Hebräischen und im Deutschen gleichermaßen zu Hause gewesen. Deine Aussprache war frei von jedem Akzent, und eben deshalb warst du nirgends bodenständig, bist es immer noch nicht, sondern wirkst überall abgehoben.“ (Seite 50) Ethan heißt der Proponent und nennt sich einen Mischmasch aus Wien und Tel Aviv. Auf den Reisen zwischen den beiden Ländern werden Mozartkugeln und Manner Schnitten von Wien nach Tel Aviv gebracht und Falafel, Humus und hebräische Literatur in umgekehrter Richtung als Gastgeschenke transportiert. Die Familie war mehrmals geflüchtet. Der Sohn, der letztlich nur ein „halber Sohn“ war, wurde in Israel geboren. Übersiedlungen veränderten das Leben und die Gewohnheiten. Als sie von Israel nach Wien übersiedelten fiel dem Jungen auf, dass er, um aus dem Haus zu kommen, einen Schlüssel brauchte. „In Tel Aviv hatten die Türen offen gestanden. ... Nach dem Sechstagekrieg lagen noch Sandsäcke vor den Eingängen.“ (Seite 229) In Wien fehlten ihm auch die Spielkameraden, die er in Israel auf der Straße fand. „In Tel Aviv sagte ein einstiger Freund aus dem Kindergarten, die Rosens seien Abtrünnige und Verräter, aber in Wien erklärte ihm ein Klassenkamerad, der jüdische Staat in Zion sei doch nichts als Rassismus. Seine Existenz stand unter Misskredit.“ (Seite 231) In diesem Zwiespalt wuchs der Junge auf und wurde ein, in Wien anerkannter, Wissenschaftler, der auch international lehrt. Seine Eltern wohnen in Israel. In der Funktion des Wissenschaftlers schreibt er einen Artikel über seinen verstorbenen Freund Dov Zedek. Zu seinem Nachruf kommt ein Gegenartikel von einem Kollegen, der sich um dieselbe Stelle an der Wiener Universität bewirbt. Das Buch nimmt ab hier an Fahrt auf, als dieser, bisher unbekannter außerehelicher, Sohn auftritt, der gleichzeitig ein Mitbewerber für Ethan wird. Für eine Position, die auf ihn zugeschnitten ist. Und dann geht es Schlag auf Schlag. Irgendwie könnte es auch das Konzept einer Biedermeierkomödie sein, aber es spielt in einer jüdischen Kultur und hat ein hohes Niveau. Der Vater hat eine Niere seiner Frau, die versagt und er erkrankt. Ethan reist nach Israel. Dort tritt auch der Bruder in sein Leben. Der Vater stirbt und hinterlässt ein Chaos. Ein Rabbiner sah im Vater einen Vorfahren des ungeborenen Messias. Die schwangere Mutter wurde im Zweiten Weltkrieg ermordet. Mit den Samen des Vaters könnte man – so die Ansicht des berühmten und konservativen Rabbiners – den Messias im Labor züchten. Aber der Vater stirbt, bevor die Idee des Rabbiners umgesetzt werden kann. Bei den Untersuchungen zu einer „Nachzüchtung“ über die Söhne stellt sich heraus, dass er für beide nicht der Vater ist. Es kommt zu Streit und Zank, das noch am Begräbnis des Verstorbenen anhält, obwohl der Rabbiner in seiner Rede sagt „Es ist unsere Pflicht, so steht es geschrieben, über einen Verstorbenen nur Gutes zu sagen.“ (Seite 280) Unabhängig vom Konstrukt dieses Romans wird der Leser in die Unterschiedlichkeit der jüdischen zur europäischen Kultur eingeführt. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } RABINOVICI, Doron: „Andernorts“, Berlin 2020 Durch eine Fernsehsendung mit dem Autor wurde ich angeregt dieses Buch zu lesen. Der in Israel geborene und in Wien wohnende Rabinivici kann – bedingt durch seine Herkunft und sein Leben – auf das Leben zweier sehr unterschiedlicher Kulturen blicken, die auch in diesem Buch zum Ausdruck kommen. Zwar in Israel, wo sich seine Eltern hin geflüchtet hatten, ist er – und auch der Protagonist dieses Buches – geboren, aber dann an vielen Orten der Welt aufgewachsen. „Jahre später seid ihr nach Paris, nach London und nach New York gezogen. Aber überall warst du der Israeli; nur in Israel wurdest du zum Wiener, zum Jekke, zum Franzosen, zum Amerikaner. Schon als Siebenjähriger bist du im Hebräischen und im Deutschen gleichermaßen zu Hause gewesen. Deine Aussprache war frei von jedem Akzent, und eben deshalb warst du nirgends bodenständig, bist es immer noch nicht, sondern wirkst überall abgehoben.“ (Seite 50) Ethan heißt der Proponent und nennt sich einen Mischmasch aus Wien und Tel Aviv. Auf den Reisen zwischen den beiden Ländern werden Mozartkugeln und Manner Schnitten von Wien nach Tel Aviv gebracht und Falafel, Humus und hebräische Literatur in umgekehrter Richtung als Gastgeschenke transportiert. Die Familie war mehrmals geflüchtet. Der Sohn, der letztlich nur ein „halber Sohn“ war, wurde in Israel geboren. Übersiedlungen veränderten das Leben und die Gewohnheiten. Als sie von Israel nach Wien übersiedelten fiel dem Jungen auf, dass er, um aus dem Haus zu kommen, einen Schlüssel brauchte. „In Tel Aviv hatten die Türen offen gestanden. ... Nach dem Sechstagekrieg lagen noch Sandsäcke vor den Eingängen.“ (Seite 229) In Wien fehlten ihm auch die Spielkameraden, die er in Israel auf der Straße fand. „In Tel Aviv sagte ein einstiger Freund aus dem Kindergarten, die Rosens seien Abtrünnige und Verräter, aber in Wien erklärte ihm ein Klassenkamerad, der jüdische Staat in Zion sei doch nichts als Rassismus. Seine Existenz stand unter Misskredit.“ (Seite 231) In diesem Zwiespalt wuchs der Junge auf und wurde ein, in Wien anerkannter, Wissenschaftler, der auch international lehrt. Seine Eltern wohnen in Israel. In der Funktion des Wissenschaftlers schreibt er einen Artikel über seinen verstorbenen Freund Dov Zedek. Zu seinem Nachruf kommt ein Gegenartikel von einem Kollegen, der sich um dieselbe Stelle an der Wiener Universität bewirbt. Das Buch nimmt ab hier an Fahrt auf, als dieser, bisher unbekannter außerehelicher, Sohn auftritt, der gleichzeitig ein Mitbewerber für Ethan wird. Für eine Position, die auf ihn zugeschnitten ist. Und dann geht es Schlag auf Schlag. Irgendwie könnte es auch das Konzept einer Biedermeierkomödie sein, aber es spielt in einer jüdischen Kultur und hat ein hohes Niveau. Der Vater hat eine Niere seiner Frau, die versagt und er erkrankt. Ethan reist nach Israel. Dort tritt auch der Bruder in sein Leben. Der Vater stirbt und hinterlässt ein Chaos. Ein Rabbiner sah im Vater einen Vorfahren des ungeborenen Messias. Die schwangere Mutter wurde im Zweiten Weltkrieg ermordet. Mit den Samen des Vaters könnte man – so die Ansicht des berühmten und konservativen Rabbiners – den Messias im Labor züchten. Aber der Vater stirbt, bevor die Idee des Rabbiners umgesetzt werden kann. Bei den Untersuchungen zu einer „Nachzüchtung“ über die Söhne stellt sich heraus, dass er für beide nicht der Vater ist. Es kommt zu Streit und Zank, das noch am Begräbnis des Verstorbenen anhält, obwohl der Rabbiner in seiner Rede sagt „Es ist unsere Pflicht, so steht es geschrieben, über einen Verstorbenen nur Gutes zu sagen.“ (Seite 280) Unabhängig vom Konstrukt dieses Romans wird der Leser in die Unterschiedlichkeit der jüdischen zur europäischen Kultur eingeführt. |
SCHMITT, Eric-Emmanuel 2022. @book{SCHMITT2022b, title = {Mein Leben mit Mozart}, author = {Eric-Emmanuel SCHMITT }, year = {2022}, date = {2022-04-11}, abstract = {SCHMITT, Eric-Emmanuel: „Mein Leben mit Mozart“, Frankfurt 2008 Der pubertierende Ich-Erzähler kommt mit seinem Leben nicht zurecht. Er ist am Weg zum Erwachsensein. Kein Kind mehr und auch noch kein Erwachsener. Die Gefühle dieses Buben werden im ersten Kapitel großartig geschildert. Welchen Ängsten, Sorgen und Beschwerden so ein Kind ausgesetzt ist. Mozart und seine Musik veränderten die Situation. Er denkt nicht mehr an Selbstmord, sondern hat eher Angst nicht alt genug zu werden, um all das Schöne noch zu erleben. Der junge Mann tritt nun in einen Briefwechsel mit Mozart ein. „Hier nun das Wesentliche unseres Austausches; seine Stücke, meine Briefe. Mehr noch als ein Meister der Musik ist er für mich ein Meister in Sachen Weisheit geworden, er lehrt mich Kostbares: Staunen, Milde, Heiterkeit und Freude …“ (Seite 7) In den verschiedenen Briefen, die vom Kindsein bis ins Erwachsenenalter geschrieben wurden, setzt sich der Dichter mit Mozart über verschiedenste Themen auseinander. So auch über Gott, wenn er meint „Ob Gott oder Jesus überhaupt existiert, weiß ich heute nicht zu sagen. Doch du hast mich überzeugt, dass der Mensch existiert.“ (Seite 41) Er vergleicht auch die verschiedenen Komponisten miteinander. Beim Komponieren einer Messe meint er: „Wenn Mozart eine Messe schreibt, dann für keinen schwerhörigen Gott. Anders als die Romantiker und die Modernen wetteifert er weder mit dem Himmel um Lautstärke, noch bringt er, um sich Gehör zu verschaffen, so große Chöre und Orchester zum Einsatz wie die chinesische Armee Soldaten.“ (Seite 83) Schmitt wartet auch mit viel Fachwissen über Mozart auf. So berichtet er, dass er den Mediziner getroffen hatte, der eine DNA Analyse an Mozarts Leiche vornahm und feststellte, dass Mozart sehr schlechte Zähne und fast immer Schmerzen hatte. Schmitt bewundert, wieviel Mozart in seinem kurzen Leben geleistet hat. Wieviel wäre es geworden, wäre er älter geworden. Er stellt dabei fest, dass er als Wunderknabe musiziert hat wie ein älterer, erfahrener Musiker und als älterer Mann dann in der Zauberflöte das Kindliche und Unbeschwerte. Als wir auf die Welt kamen hatten wir keine Angst. Zumindest können wir uns daran nicht erinnern. Daher sollten wir es „wie das Kind im Mutterleib (halten) und ängstigen uns so wenig vor dem Tod wie das Kind vor dem Leben.“ (Seite 117) Es ist Schmitts persönlichstes Buch, in dem er von seiner Liebe zum Seelenverwandten Mozart schreibt. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } SCHMITT, Eric-Emmanuel: „Mein Leben mit Mozart“, Frankfurt 2008 Der pubertierende Ich-Erzähler kommt mit seinem Leben nicht zurecht. Er ist am Weg zum Erwachsensein. Kein Kind mehr und auch noch kein Erwachsener. Die Gefühle dieses Buben werden im ersten Kapitel großartig geschildert. Welchen Ängsten, Sorgen und Beschwerden so ein Kind ausgesetzt ist. Mozart und seine Musik veränderten die Situation. Er denkt nicht mehr an Selbstmord, sondern hat eher Angst nicht alt genug zu werden, um all das Schöne noch zu erleben. Der junge Mann tritt nun in einen Briefwechsel mit Mozart ein. „Hier nun das Wesentliche unseres Austausches; seine Stücke, meine Briefe. Mehr noch als ein Meister der Musik ist er für mich ein Meister in Sachen Weisheit geworden, er lehrt mich Kostbares: Staunen, Milde, Heiterkeit und Freude …“ (Seite 7) In den verschiedenen Briefen, die vom Kindsein bis ins Erwachsenenalter geschrieben wurden, setzt sich der Dichter mit Mozart über verschiedenste Themen auseinander. So auch über Gott, wenn er meint „Ob Gott oder Jesus überhaupt existiert, weiß ich heute nicht zu sagen. Doch du hast mich überzeugt, dass der Mensch existiert.“ (Seite 41) Er vergleicht auch die verschiedenen Komponisten miteinander. Beim Komponieren einer Messe meint er: „Wenn Mozart eine Messe schreibt, dann für keinen schwerhörigen Gott. Anders als die Romantiker und die Modernen wetteifert er weder mit dem Himmel um Lautstärke, noch bringt er, um sich Gehör zu verschaffen, so große Chöre und Orchester zum Einsatz wie die chinesische Armee Soldaten.“ (Seite 83) Schmitt wartet auch mit viel Fachwissen über Mozart auf. So berichtet er, dass er den Mediziner getroffen hatte, der eine DNA Analyse an Mozarts Leiche vornahm und feststellte, dass Mozart sehr schlechte Zähne und fast immer Schmerzen hatte. Schmitt bewundert, wieviel Mozart in seinem kurzen Leben geleistet hat. Wieviel wäre es geworden, wäre er älter geworden. Er stellt dabei fest, dass er als Wunderknabe musiziert hat wie ein älterer, erfahrener Musiker und als älterer Mann dann in der Zauberflöte das Kindliche und Unbeschwerte. Als wir auf die Welt kamen hatten wir keine Angst. Zumindest können wir uns daran nicht erinnern. Daher sollten wir es „wie das Kind im Mutterleib (halten) und ängstigen uns so wenig vor dem Tod wie das Kind vor dem Leben.“ (Seite 117) Es ist Schmitts persönlichstes Buch, in dem er von seiner Liebe zum Seelenverwandten Mozart schreibt. |
SETZ, Clemens J Gedankenspiele über die Wahrheit Booklet 2022. @booklet{SETZ2022, title = {Gedankenspiele über die Wahrheit}, author = {Clemens J. SETZ}, year = {2022}, date = {2022-04-07}, abstract = {SETZ, Clemens J.: „Gedankenspiele über die Wahrheit“, Graz Wien 2022 In einem kleinen Büchel beschäftigt sich der junge Grazer Schriftsteller mit der Frage was Wahrheit und was Unwahrheit ist. Er bringt Beispiele aus verschiedenen Bereichen und gliedert sie in fünf Kapitel. Im ersten wird ein Dichter zitiert, der wiederum Grillparzer zitiert, wie er das erste Mal das Meer sieht. Der Dichter – Roger Willemsen – zitiert Grillparzer beim ersten Anblick des Meeres mit dem Satz „So hatte ich´s mir nicht gedacht.“ Eine eindeutig negative Feststellung. Stellt man diesen Satz dann dem Originalreisebericht gegenüber – wie es Setz macht – so war es eine positive Aussage, weil er sich weniger vorgestellt hatte, als es dann wirklich war. Oft hat man von Dingen eine gewisse Vorstellung, die sich mit vielen anderen Leuten deckt, die aber nicht der Realität entsprechen muss. Man nennt das den „Mandela-Effekt“; anknüpfend an die Berichterstattung zu Mandelas Begräbnis. Wahrheit und Unwahrheit kann auch eine Gegenüberstellung von der Aussage eines Buchhalters zu der eines Ekstatikers sein. Friedrich Nitsche meinte, „dass gewisse Unwahrheiten als Wahrheiten gelebt werden“ und schlägt im Nebensatz vor, dass „diese dann als eine neue Art von Wahrheit“ zu betrachten (Seite 25) Dichter halten sich nicht immer an Fakten. Etwa, wenn Alfred Lord Tennyson schreibt „Every moment dies a man. Every moment one is born“ (Seite 29) Da die Weltbevölkerung aber ständig wächst müsste es – so der Vorschlag im Buch – heißen „Every moment dies a man. Every moment 1 1/6 is born“ Dies wäre mathematisch auch nicht genau, aber zeige die Entwicklung auf. Unter dem Titel „Die bedrohliche Wahrheit der Doppelgänger“ wird berichtet, dass bei einem Chaplin Wettbewerb die Nachahmer besser wegkamen als Chaplin selbst, weil dieser bei Dreharbeiten eben normal ging und der Watschelgang durch schnelleres Abspielen, also durch die Technik entstand. Die Nachahmer machten aber den schnellen Watschelgang, der theoretisch gar nicht der Wirklichkeit entsprach. Manches wird in der Zukunft als unwahr oder als wahr eingestuft werden, obwohl es in der damaligen Zeit genau umgekehrt war. So verweist er auf eine Hexenwaage in der holländischen Stadt Oudewater. Am Marktplatz war eine geeichte Waage aufgestellt. Als Hexen angeklagte Frauen konnten sich hier wägen lassen und bekamen ein Dokument, in dem bestätigt wurde, dass sie nicht fliegen können, weil sie zu schwer seien. Alle Angeklagten mit diesem Attest wurden freigesprochen. Es waren aber nur diejenigen, die das Geld hatten in die Stadt Oudewater zu reisen, um einen derartigen Befund zu kaufen. }, month = {04}, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {booklet} } SETZ, Clemens J.: „Gedankenspiele über die Wahrheit“, Graz Wien 2022 In einem kleinen Büchel beschäftigt sich der junge Grazer Schriftsteller mit der Frage was Wahrheit und was Unwahrheit ist. Er bringt Beispiele aus verschiedenen Bereichen und gliedert sie in fünf Kapitel. Im ersten wird ein Dichter zitiert, der wiederum Grillparzer zitiert, wie er das erste Mal das Meer sieht. Der Dichter – Roger Willemsen – zitiert Grillparzer beim ersten Anblick des Meeres mit dem Satz „So hatte ich´s mir nicht gedacht.“ Eine eindeutig negative Feststellung. Stellt man diesen Satz dann dem Originalreisebericht gegenüber – wie es Setz macht – so war es eine positive Aussage, weil er sich weniger vorgestellt hatte, als es dann wirklich war. Oft hat man von Dingen eine gewisse Vorstellung, die sich mit vielen anderen Leuten deckt, die aber nicht der Realität entsprechen muss. Man nennt das den „Mandela-Effekt“; anknüpfend an die Berichterstattung zu Mandelas Begräbnis. Wahrheit und Unwahrheit kann auch eine Gegenüberstellung von der Aussage eines Buchhalters zu der eines Ekstatikers sein. Friedrich Nitsche meinte, „dass gewisse Unwahrheiten als Wahrheiten gelebt werden“ und schlägt im Nebensatz vor, dass „diese dann als eine neue Art von Wahrheit“ zu betrachten (Seite 25) Dichter halten sich nicht immer an Fakten. Etwa, wenn Alfred Lord Tennyson schreibt „Every moment dies a man. Every moment one is born“ (Seite 29) Da die Weltbevölkerung aber ständig wächst müsste es – so der Vorschlag im Buch – heißen „Every moment dies a man. Every moment 1 1/6 is born“ Dies wäre mathematisch auch nicht genau, aber zeige die Entwicklung auf. Unter dem Titel „Die bedrohliche Wahrheit der Doppelgänger“ wird berichtet, dass bei einem Chaplin Wettbewerb die Nachahmer besser wegkamen als Chaplin selbst, weil dieser bei Dreharbeiten eben normal ging und der Watschelgang durch schnelleres Abspielen, also durch die Technik entstand. Die Nachahmer machten aber den schnellen Watschelgang, der theoretisch gar nicht der Wirklichkeit entsprach. Manches wird in der Zukunft als unwahr oder als wahr eingestuft werden, obwohl es in der damaligen Zeit genau umgekehrt war. So verweist er auf eine Hexenwaage in der holländischen Stadt Oudewater. Am Marktplatz war eine geeichte Waage aufgestellt. Als Hexen angeklagte Frauen konnten sich hier wägen lassen und bekamen ein Dokument, in dem bestätigt wurde, dass sie nicht fliegen können, weil sie zu schwer seien. Alle Angeklagten mit diesem Attest wurden freigesprochen. Es waren aber nur diejenigen, die das Geld hatten in die Stadt Oudewater zu reisen, um einen derartigen Befund zu kaufen. |
HOFMANN, Thomas Weinviertel Wunderbares - Unerforschtes - Verborgenes Buch 2022. @book{HOFMANN2022, title = {Weinviertel Wunderbares - Unerforschtes - Verborgenes}, author = {Thomas HOFMANN}, year = {2022}, date = {2022-04-07}, abstract = {HOFMANN, Thomas; KORAB, Nikolaus: „Weinviertel - wunderbar - unerforscht - verborgenes“, Wien Graz Klagenfurt 2003 Der bodenständige Kral Verlag bietet mit dem vorliegenden Buch wieder eine Region Österreichs aus verschiedensten Blickwinkeln. Geschichte, Gesundheitswesen, Kunst und vor allem viele schöne Fotos. Der Autor Thomas Hofmann ist ein sehr guter Weinviertel-Kenner. Als Autor dieses Buches erzählt er vom Räuber Grasel, verschiedenen Adelsgeschlechtern, Winzern und von Weinstöcken und Kellergassen. Der Fotograf Nikolaus Korab liefert dazu schöne Fotos. Allein das Durchblättern des Buches ergibt schon einen ersten Eindruck. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } HOFMANN, Thomas; KORAB, Nikolaus: „Weinviertel - wunderbar - unerforscht - verborgenes“, Wien Graz Klagenfurt 2003 Der bodenständige Kral Verlag bietet mit dem vorliegenden Buch wieder eine Region Österreichs aus verschiedensten Blickwinkeln. Geschichte, Gesundheitswesen, Kunst und vor allem viele schöne Fotos. Der Autor Thomas Hofmann ist ein sehr guter Weinviertel-Kenner. Als Autor dieses Buches erzählt er vom Räuber Grasel, verschiedenen Adelsgeschlechtern, Winzern und von Weinstöcken und Kellergassen. Der Fotograf Nikolaus Korab liefert dazu schöne Fotos. Allein das Durchblättern des Buches ergibt schon einen ersten Eindruck. |
Schlembach, Mario Heute graben Buch 2022. @book{Schlembach2022, title = {Heute graben}, author = {Mario Schlembach}, year = {2022}, date = {2022-03-27}, abstract = {SCHLEMBACH, Mario: „Heute graben“, Wien 2022 Der Proponent – der Autor selbst (?) – trifft bei seinen regelmäßigen Zugfahrten eine junge Frau, in die er sich verliebt. Er nennt sie A und versucht ein Buch darüber zu schreiben. Sie hat ihm ein Notizbuch geschenkt, das er bald vollgeschrieben hat. Das vorliegende Buch besteht aus der Abschrift von fünf Heften, die tagebuchartig geführt sind. Mit dem Versuch, ein Buch über A zu schreiben, stehen ihm eigene innere Monster im Wege und er fragt sich: „Und wer gewinnt diesen Kampf? Die romantische Seele? Der Todestrieb? Die künstlerische Hybris? Der Egomane im Schafpelz? Der Weltschmerzhypochonder? Oder der Depressionsclown, der tagtäglich seine Rolle als Totengräber spielt?“ (Seite 18) Weitere Frauenbekanntschaften werden skizziert und der Autor gibt jeder, in sequenzieller Abfolge, einen Buchstaben: B, C, D … Bis er bei der Frau mit der Abkürzung Z landet. Alle Frauen wollen Individualistinnen sein, sehen aber für ihn letztlich alle gleich aus. Immer aber sucht er die Frau A aus dem Zug. Er ist Totengräber und erzählt seine diesbezüglichen Erfahrungen. Den Job übt er gemeinsam mit seinem Vater aus. Als er Thomas Bernhard liest bekommt er dieselbe Lungenkrankheit wie dieser. Neben einem Studium, das er später abbricht, teilt er seine Zeit zwischen der Arbeit als Totengräber und Schriftsteller. Viel Zeit nehmen ihm auch die vielen Untersuchungen seiner Krankheit. Letztlich schreibt er dem Halbbruder von Thomas Bernhard, der Mediziner ist, einen Brief und bittet ihn, ihm einen Spezialisten für diese Lungenkrankheit zu empfehlen. Eine Cortisonkur verunsichert ihn noch mehr und kombiniert mit Alkoholkonsum kommt es zu Black Outs. Immer hat er an A gedacht und andere Frauen getroffen. „Vor vielen Jahren ist A gegangen. Seither nicht ein Tag ohne sie. Nicht ein Tag, an dem ich nicht ein Wort an sie gerichtet habe. Die Welt hat sich auch ohne sie weitergedreht, aber ich weiß, dass sie meine Stimme noch hört.“ (Seite 188) Letztlich fragt er sich „Warum ziehe ich alles Vergangene in jede meiner Gegenwarten?“ (Seite 98) Sein Kontakt mit ihr besteht im Schreiben und dieser Kontakt erscheint ihm wirklicher als jede Realität. Am Ende muss man sich als Leser fragen, ob die Abschrift von Tagebucheintragungen wert ist sich Literatur zu nennen. Der Autor erzählt von seinen Erfahrung mit einem Verleger, dem er sein Manuskript über die Frau A anbietet. Dieser empfiehlt ihm eine Geschichte als Totengräber zu schreiben. Der Frau A sei er zu nahe. Auch selbst sieht er in seinem Manuskript keine schriftstellerische Tätigkeit, wenn er meint „Pubertätsgeschwängertes Gestammel … alles schon tausendmal gehört … autofiktionale Selbstbefriedigung.“ (Seite 79) }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } SCHLEMBACH, Mario: „Heute graben“, Wien 2022 Der Proponent – der Autor selbst (?) – trifft bei seinen regelmäßigen Zugfahrten eine junge Frau, in die er sich verliebt. Er nennt sie A und versucht ein Buch darüber zu schreiben. Sie hat ihm ein Notizbuch geschenkt, das er bald vollgeschrieben hat. Das vorliegende Buch besteht aus der Abschrift von fünf Heften, die tagebuchartig geführt sind. Mit dem Versuch, ein Buch über A zu schreiben, stehen ihm eigene innere Monster im Wege und er fragt sich: „Und wer gewinnt diesen Kampf? Die romantische Seele? Der Todestrieb? Die künstlerische Hybris? Der Egomane im Schafpelz? Der Weltschmerzhypochonder? Oder der Depressionsclown, der tagtäglich seine Rolle als Totengräber spielt?“ (Seite 18) Weitere Frauenbekanntschaften werden skizziert und der Autor gibt jeder, in sequenzieller Abfolge, einen Buchstaben: B, C, D … Bis er bei der Frau mit der Abkürzung Z landet. Alle Frauen wollen Individualistinnen sein, sehen aber für ihn letztlich alle gleich aus. Immer aber sucht er die Frau A aus dem Zug. Er ist Totengräber und erzählt seine diesbezüglichen Erfahrungen. Den Job übt er gemeinsam mit seinem Vater aus. Als er Thomas Bernhard liest bekommt er dieselbe Lungenkrankheit wie dieser. Neben einem Studium, das er später abbricht, teilt er seine Zeit zwischen der Arbeit als Totengräber und Schriftsteller. Viel Zeit nehmen ihm auch die vielen Untersuchungen seiner Krankheit. Letztlich schreibt er dem Halbbruder von Thomas Bernhard, der Mediziner ist, einen Brief und bittet ihn, ihm einen Spezialisten für diese Lungenkrankheit zu empfehlen. Eine Cortisonkur verunsichert ihn noch mehr und kombiniert mit Alkoholkonsum kommt es zu Black Outs. Immer hat er an A gedacht und andere Frauen getroffen. „Vor vielen Jahren ist A gegangen. Seither nicht ein Tag ohne sie. Nicht ein Tag, an dem ich nicht ein Wort an sie gerichtet habe. Die Welt hat sich auch ohne sie weitergedreht, aber ich weiß, dass sie meine Stimme noch hört.“ (Seite 188) Letztlich fragt er sich „Warum ziehe ich alles Vergangene in jede meiner Gegenwarten?“ (Seite 98) Sein Kontakt mit ihr besteht im Schreiben und dieser Kontakt erscheint ihm wirklicher als jede Realität. Am Ende muss man sich als Leser fragen, ob die Abschrift von Tagebucheintragungen wert ist sich Literatur zu nennen. Der Autor erzählt von seinen Erfahrung mit einem Verleger, dem er sein Manuskript über die Frau A anbietet. Dieser empfiehlt ihm eine Geschichte als Totengräber zu schreiben. Der Frau A sei er zu nahe. Auch selbst sieht er in seinem Manuskript keine schriftstellerische Tätigkeit, wenn er meint „Pubertätsgeschwängertes Gestammel … alles schon tausendmal gehört … autofiktionale Selbstbefriedigung.“ (Seite 79) |
WOLF, Helga Maria Wiens beste Feste. Von Bräuchen und Events Buch 2022. @book{WOLF2022, title = {Wiens beste Feste. Von Bräuchen und Events}, author = {Helga Maria WOLF}, year = {2022}, date = {2022-03-24}, abstract = {WOLF, Helga Maria: „Wiens beste Feste. Von Bräuchen und Events“, Wien 2014 Das Buch stellt, nach Monaten gegliedert, Stadtfeste dar. Viele davon sind religiöse Feste. Es wirkt beim Lesen so, als sei Wien ein Dorf. Nur wenige, der hier beschriebenen Feste sind unbekannt. Meist handelt es sich um bekannte Feste, wie dem Wiener Silvesterpfad oder dem Donauinselfest. Es ist mehr ein Bildband als ein Veranstaltungskalender. Die Auswahl der beschriebenen Feste ist sehr subjektiv. Ein Buch, von dem man sich fragt, wozu und für wen es wohl geschrieben ist. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } WOLF, Helga Maria: „Wiens beste Feste. Von Bräuchen und Events“, Wien 2014 Das Buch stellt, nach Monaten gegliedert, Stadtfeste dar. Viele davon sind religiöse Feste. Es wirkt beim Lesen so, als sei Wien ein Dorf. Nur wenige, der hier beschriebenen Feste sind unbekannt. Meist handelt es sich um bekannte Feste, wie dem Wiener Silvesterpfad oder dem Donauinselfest. Es ist mehr ein Bildband als ein Veranstaltungskalender. Die Auswahl der beschriebenen Feste ist sehr subjektiv. Ein Buch, von dem man sich fragt, wozu und für wen es wohl geschrieben ist. |
FATLAND, Erika 2022. @book{FATLAND2022b, title = {Die Grenze. Eine Reise rund um Russland durch Nordkorea, China, die Mongolei, Kasachstan, Aserbaidschan, Georgien, die Ukraine, Weißrussland, Litauen, Polen, Lettland, Estland, Finnland, Norwegen sowie die Nordostpassage}, author = {Erika FATLAND }, year = {2022}, date = {2022-03-20}, abstract = {WARNUNG!: Diese Rezension ist sehr lang. Zu lang. Der Grund? Ich war so fasziniert von diesem Buch, wie es Eindrücke und historische Hintergründe der Nachbarländer Russlands wiedergibt. Man versteht die Vorgangsweise Russlands nach diesem Buch anders. Ich bin begeistert von Frau Fatland und ihrem Stil zu erzählen. Auf dieses Buch hatte ich mich schon gefreut und ich wurde wieder nicht enttäuscht. Eine großartige Frau, die sich ausgefallenste Reisen getraut zu machen und dann noch sehr anschaulich erzählen kann. Nicht nur das, was sie gesehen hatte, sondern auch Hintergrundinformationen und Geschichte. Da steckt viel Recherchearbeit dahinter, die aber sehr leicht lesbar verpackt ist. Es geht um die Nachbarländer von Russland. Einerseits ein Bericht ihrer Reise und andererseits eine historische Abhandlung. So erfährt man gleich zu Beginn (oder sollte man das wissen?), dass alle europäischen Großmächte Kolonien besaßen. Nur Russland nicht. Russland dehnte sein Reich laufend aus. „Von der Machtübernahme der Romanows1613 an war das russische Imperium im Schnitt jeden einzelnen Tag über hundert Quadratkilometer gewachsen.“ (Seite 117) Viele Erweiterungen passierten ohne Krieg. Die asiatische Erweiterung brachten russische Pelzhändler, die immer weiter vorrückten, um von den Einheimischen zu günstigen Preisen Pelze zu kaufen, die im Westen viel wert waren. Nordostpassage Im ersten Kapitel wird die Fahrt mit einem Schiff entlang der Nordküste Russlands beschrieben. Die Fahrt begann in der Beringstraße in Anadyr und ging bis Murmansk im Westen. Sie dauerte für die über 10.000 Kilometer vier Wochen. Am Schiff waren 47 Passagiere. Durchwegs alte Menschen, die aber Weltenbummler waren und viel von ihren Reisen zu erzählen hatten. Vier Wochen gab es kein Internet und kein Telefon. Angelegt wurde in ehemaligen Wetterstationen oder Dörfern. Auf der Reise gab es nur Ruhe und manchmal Eisbären, Robben oder Seelöwen. Eine Reise, auf der es nicht allzu viel Abwechslung gab. Dafür liefert die Autorin viel Geschichtliches über die Eroberung der östlichen Teile Russlands und den Positionen im Norden. Vier Wochen ohne Internet, ohne Telefon und ohne Nachrichten aus der Welt sind ein Erlebnis der besonderen Art. Nordkorea Dass es kein freies Land ist, weiß man. Dass es von einem Diktator geführt wird, dessen Rechte schon in die dritte Generation vererbt sind, weiß man auch. Freies Reisen ist nicht möglich. Fatland hatte eine Gruppenreise gebucht, die sich nicht nur auf die Hauptstadt Pjöngjang konzentrierte. Sie kam auch aufs Land und erzählt in diesem Kapitel, wie anders das Reisen in Nordkorea ist. Alles wird überwacht. Alles ist nach einem vorgegebenen Programm organisiert. Als Reisender wird man laufend beschäftigt, um am Abend müde zu Bett zu gehen und keine Ansprüche auf Spaziergänge hat. Und wenn man das noch wünscht, so meint der Führer „Sie können noch ein bisschen auf dem Parkplatz spazieren gehen, wenn sie wollen.“ (Seite 102) Der große Führer Kim ist überall zu sehen. Auch Touristen müssen sich vor seiner Statue verneigen. Fatland nennt es ein „Verneigen, ohne sich zu verbiegen“. Man durfte eine Statue des Führers nur in vollem Umfang ablichten. Generell wurden die Fotoapparate der Touristen laufend von deren Führern geprüft und vieles sofort gelöscht. So muss sich die Autorin von ihrer Führerin sagen lassen, dass sie nur schöne Dinge fotografieren dürfe, während diese die Löschtaste drückt. „Der nordkoreanische Grenzpolizist war sogar noch gründlicher als Miss Pan. Übereifrig durchsuchte er sämtliche Fotos auf meiner Kamera, über sechshundert an der Zahl. Er löschte alle Bilder mit Menschen, die arm aussahen, sowie alle Fotos, die Männer in Militäruniform zeigten – davon gab es einige.“ (Seite 115) Im Nachsatz schreibt sie aber „Glücklicherweise hatte ich vorsichtshalber eine Sicherungskopie erstellt.“ Bei allen Länderberichten wird Bezug auf Russland genommen. So auch aus historischer Sicht. Die Beziehung zwischen Russland und Nordkorea war einmal bedeutend und verschlechterte sich. Nach der Okkupation der Krim durch die Russen wurden die Beziehung zu Nordkorea wieder ausgebaut. Russland strich neunzig Prozent der Staatsschulden Nordkoreas und investierte dreihundert Millionen Dollar in das nordkoreanische Eisenbahnnetz. Als allerdings die UNO die Atomversuche und Raketenabschüsse Nordkoreas kritisierte, distanzierte sich auch Russland wieder. China Nach Nordkorea und seinen Restriktionen, fühlte sich die Reisende in China wie in einem freien Land. Sie durfte hingehen, wo sie wollte, und musste nicht am Parkplatz spazieren gehen. Sie querte die Grenze mit einem Bus und kam in die chinesische Stadt Dalian. Die Stadt mit 7 Millionen Einwohnern ist eine, der am schnellsten wachsenden Städte Chinas und „wurde 2006 von China Daily zur chinesischen Stadt mit der höchsten Lebensqualität gekürt.“ (Seite 117) Diese Stadt hatte Fatland ausgewählt, weil sie 1889 als Port Arthur in russische Hände fiel. In dieser Hafenstadt endete die Expansion Russlands nach Osten. Die Grenze zwischen China und Russland war immer umstritten und umkämpft. 1858 erhielten die Russen in einem Vertrag die Gebiete nördlich des Flusses Amur. In Europa war der Zweite Weltkrieg zwar am 30. April 1945 zu Ende, aber nach Abwurf der Atombombe über Hiroshima am 9. August marschierten 1,5 Millionen sowjetische Soldaten in China ein, um die japanischen Besatzer zu vertreiben. Da es noch heute Streitereien um eine Insel gibt, kam es zwischen Japan und Russland bis heute zu keinem Friedenvertrag. Die Sowjets zogen sich später zurück und übergaben das Land Maos Truppen. Von der Stadt Dalian reist die Autorin weiter nach Harbin. Sie nimmt einen Hochgeschwindigkeitszug und ist begeistert. „Jährlich transportieren chinesische Züge 2,5 Milliarden Passagiere, und diese Zahl ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Entfernung, die jeder Passagier zurücklegt, fünfhundert Kilometer beträgt.“ (Seite 129) Auch Harbin hat russische Wurzeln. Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier die Administration der „Ostchinesischen Eisenbahn“ von den Russen gegründet. Die Stadt blühte auf und wurde „das Paris des Fernen Ostens“ genannt. 1905 verloren die Russen gegen Japan einen Krieg. Viele Russen gingen heim. Harbin wurde aber eine internationale Stadt. Nach der russischen Revolution kamen viele politische Flüchtlinge und hatte den größten jüdischen Bevölkerungsanteil im Fernen Osten. Die Japaner entwickelten und produzierten hier biologische Waffen. Viele Menschen starben an den Folgen dieser Industrie. Die Chinesen betreiben heute ein „russisches Dorf“; eine Art Disney Land, das russische Kultur vermitteln soll. Viele Russen finden hier einen Arbeitsplatz. Die Autorin zeigt dies am Beispiel einer russischen Pensionistin aus Wladiwostok, die hier arbeitet, weil sie zu Hause mit der staatlichen Rente nur schwer leben könnte. Fatland reist entlang der Grenze weiter in die Grenzstadt Heihe am Fluss Amur. Auf russischer Seite, im östlichen Sibirien, leben sechs Millionen Menschen auf einer Fläche, die ein Drittel des Landes umfasst. Russland und China steht sich gegenüber. „Die Russen haben das meiste Land, die Chinesen die meisten Menschen.“ (Seite 144) Erst 2008 kam es zu einem friedlichen Nebeneinander. Eine Vereinbarung regelt die 4300 Kilometer lange Grenze. Die Nachbarstädte Heihe auf chinesischer Seite und Blagoweschtschensk auf der russischen Seite des Flusses bilden eine Freihandelszone. Bedingt durch die Sanktionen des Westens nach der Okkupation der Krim wurden die Beziehungen zwischen Russland und China ausgebaut und eine 4000 Kilometer lange Gaspipeline gebaut. Aber Europa und die USA haben ein zehn Mal größeres Handelsvolumen für China als Russland. Ein Besuch in so einem Freihandelseinkaufszentrum zeigt aber, dass es nicht funktioniert. Einkaufen ist für Russen zu teuer geworden. Vor einigen Jahren zahlten sie für einen Yuan 5 Rubel und heute 10. Mongolei Mit dem Zug geht es weiter von Peking nach Ulaanbaatar. Sie wählte einen Zug, der nur bis zur mongolischen Hauptstadt fuhr und nicht nach Moskau. Wenige Passagiere waren unterwegs. Sie war der einzige Passagier im Schlafwagen. Die Grenzkontrollen waren intensiv. Die Fahrt dauerte 27 Stunden. Neben persönlichen Eindrücken wird die Geschichte des Landes erzählt. Beginnend beim Nationalhelden Chinggis Khaan, über die Besetzung durch die Chinesen und Sowjets bis zum Jahr 1990 und dem Ende des kommunistischen Regimes. 1946 erkannte China die Mongolei als unabhängiges Land an, aber erst 1961 wurde es als unabhängiges Mitgliedsland in die UNO aufgenommen. Eine grundlegende gesellschaftliche Änderung brachte das Ende des Kommunismus. Die Nomaden zogen in die Hauptstadt, die sich in zwei Jahrzehnten von einer halben Million auf 1,5 Millionen verdreifachte. Ein Mönch im Kloster Erdene Zuu erzählt, wie das zutiefst religiöse Land nach Übernahme durch die Russen 1920 verändert wurde. Klöster wurden geschlossen und Religionsführer ermordet. In 1 ½ Jahren wurden 10.000 Lamas getötet. Ebenso Intellektuelle, hohe Militärs und Politiker. Erst 1992 durfte man wieder Mönch werden, so wie der Erzähler. Stalin wollte das Kolchosen System einführen und verlangte von den Nomaden ihren Viehbestand dem Staat zu überlassen. Diese aber töten ihre Tiere liebe, als sie dem kommunistischen Staat auszuliefern. Die Folge war eine Hungersnot. Militärisch wurde der Aufstand niedergeschlagen. Die neu gewonnene Religionsfreiheit brachte die Hälfte der Mongolen wieder zum Buddhismus zurück und die Klöster wachsen wieder. Fatland besuchte dann Rentierhirten, die als Eremiten in der Taiga allein leben. Manche von ihnen sind auch Schamanen. Sie wohnen weit weg von ihren Familien und den nächsten Ortschaften. Es ist kalt. Ein Gesprächspartner aber meint „Erst bei minus 40 Grad kann man von Kälte reden.“ (Seite 191) „Nein hier ist es angenehm. Ich friere nur, wenn ich ins Dorf muss, nach Tsagaannuur. Manchmal dauert die Reise fünf Tage durch den Schnee. Wenn wir in die Stadt müssen, reiten wir auf einem Rentier. Sie sind im Winter schneller als Pferde, rutschen nie aus, stolpern niemals.“ (Seite 189) Fatland besucht auch einen Obertonsänger, der ihr eine individuelle Vorführung bietet. Mit einem Auto fuhr sie zur chinesischen Grenze, um dann über Xinjiang nach Kasachstan zu gelangen. Die Straße zur chinesischen Grenze war dann besser. In der Mongolei sind sie meist ohne Straße querfeldein gefahren. Die bessere Straße vor der Grenze zu China signalisierte auch die Veränderung nach dem Ende des Kommunismus. „Nachdem die Mongolei 1990 eine Demokratie wurde, haben sich die Vorzeichen verändert. In der Zeit des Kommunismus wurden fünfundneunzig Prozent des Handels mit der Sowjetunion abgewickelt. Heute ist China, der alte Feind der Mongolei, der dediziert wichtigste Handelspartner. Über achtzig Prozent des gesamten Exports gehen an die Chinesen.“ (Seite 205) Kasachstan Um nach Kasachstan zu kommen, musste Fatland nochmals ein Stück durch China. Die, wegen der Unterdrückung von Minderheiten im Westen in die Presse gekommene Provinz Xinjiang grenzt an acht Länder: Mongolei, Afghanistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Pakistan, Indien und Russland. Die Provinz beherbergt über 50 Minderheiten. Die größte von ihnen ist jene der Uiguren mit fast 50 Prozent. Sie begannen sich als eigener Stamm zu deklarieren, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Sowjetunion ihre Nachbarvölker in Nationen einzuteilen begann und die Sowjetrepubliken Kasachstan und Usbekistan entstanden. In sehr sachlicher Form wird über den Widerstandskämpfer der Uiguren berichtet. Der Fokus auf Russlands Grenzen ging nicht verloren und so besuchte die Buchautorin die Stadt Urumtschi, wohin während der russischen Revolution viele Russen flüchteten. Sie war schon einmal in Kasachstan und damals hat sie sich geschworen dieses Land niemals mehr zu besuchen. Für das vorliegende Buch kam sie wieder. Sie berichtet vom zweitgrößten Gefangenenlager der UdSSR – Karaganda – wo Stalin zwischen 1929 und 1953 (seinem Tod) 800.000 politische Sträflinge internierte. Hier war auch ein Atomwaffen-Experimentiergelände. Über zwei Millionen Menschen wurden dabei verseucht. Kasachstan war die letzte Sowjetrepublik, die sich als selbstständig erklärte und ist immer noch durch Einrichtungen, wie der Raumfahrtstation Baikonur, von der die Reisende aber wenig berichten konnte, weil „die Verantwortlichen bei einer Konferenz weilten“. Sie reiste 27 Stunden mit dem Zug an und bezahlte 1000 Dollar“ Eintritt“ und bekam nichts zu sehen. Als Leser kommt man bei dieser Reise in kleine Dörfer und zu Kleinbauern mit wenigen Tieren, wo es aber herzliche Gastfreundschaft gibt. Aber auch die neue Hauptstadt Astana wurde besucht. Ursprünglich war es eine kleine Provinzstadt – Zelinograd – die 1997 zur neuen Hauptstadt ausgerufen wurde. Eine schnell wachsende Stadt, in der die Infrastruktur nicht Schritt halten kann und Autostaus an der Tagesordnung sind. Aserbaidschan Mit der Fähre kam sie über das kaspische Meer nach Baku. Eine Transportform, die es nicht so genau nahm und deren Abfahrt sich oft um Tage verzögern kann. Außerdem ist die Strecke nicht sehr frequentiert. Nur wenige Passagiere waren am Fährschiff. Wie bei allen Ländern wird ein historischer Abriss gegeben. So etwa, dass Aserbaidschan sich schon 1917 als unabhängig von Russland erklärte. Das dauerte aber nur drei Jahre, bis die Bolschwiken das Land wieder besetzten. Baku war für 80 Prozent der Ölproduktion der UdSSR verantwortlich. Die Schlacht um Stalingrad sieht Fatland auch als Schlacht um die Ölfelder von Baku, denn nach Fall von Stalingrad wäre für Hitler dieser Weg frei gewesen und der Zweite Weltkrieg hätte einen anderen Ausgang genommen. Auch hier fährt sie möglichst nahe an die russische Grenze heran und besucht die Stadt Schäki. Bergkarabach Da die Grenze zwischen Bergkarabach und Aserbaidschan geschlossen war, musste sie über Georgien nach Bergkarabach reisen. „Zum ersten Mal auf meiner Reise war ich im christlichen Teil der Welt. Der Fahrer, der mich nach Tiflis fuhr, bekreuzigte sich an jeder Kirche, an der wir vorbeifuhren, drei Mal.“ (Seite 297) So kam sie in diese abtrünnige Republik, deren Hauptstadt Stepanakert eine verschlafene Provinzstadt war. Das Land mit 150.000 Einwohnern wird finanziert von Exil-Armeniern. Auch hier ging es um Krieg und die Autorin besuchte das Museum der toten Soldaten. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es schon Unruhen und Städte wurden in Schutt und Asche gelegt. 1992 besetzte es die armenische Armee und die Aserbaidschaner mussten flüchten. Georgien Nach diesem „Sidestep“ kehrte sie wieder nach Georgien zurück. „Georgien ist eines meiner Lieblingsländer, es ist ein Land, das absolut alles hat: Im Norden finden sich einige der höchsten Berge Europas, im Westen kann man im Schwarzen Meer baden, im Osten gibt es Weingüter von Weltrang.“ (Seite 307) Es ist ein Land mit gutem Essen und Gastfreundschaft. Aber auch hier dominierte der Krieg und Auseinandersetzungen mit Russland. 1999 marschierte Russland in Tschetschenien ein. Hunderttausende Menschen wurden getötet oder flohen. Wichtige Verkehrsverbindungen sind in Richtung Russlands ausgerichtet. Auch hier gibt es zwei abtrünnige Republiken: Abchasien und Südossetien, die sich in den frühen 1990er Jahren lösten. Schewardnadse, der frühere russische Außenminister brachte Frieden. Der berühmteste Mann aus Georgien war Stalin. Für viele Auseinandersetzungen der Großmächte Russland und der NATO musste das Land herhalten. Russland versetzt laufend den Grenzzaun. Fatland besucht einen Mann, der eines Tages aufwachte und im Nachbarland war. Der Zaun war über Nacht verschoben worden. Um seine Pension abheben zu können, muss er heimlich (und verbotenerweise) über den Zaun klettern und sich in seinem Heimatland das Geld abholen, das er aber nicht eintauschen kann, weil man auf der anderen Seite des Zauns nur Rubel akzeptiert. Die abenteuerliche Buchautorin besucht auch die abtrünnigen Republiken. Viele Häuser sind noch Ruinen vom Krieg Abchasien Eine abtrünnige Republik von Georgien hat nur 250.000 Einwohner. Zu klein, um internationale anerkannt zu werden. Russland beschützt das Land, hat Truppen stationiert, den Rubel als Währungsmittel eingeführt und bringt jährlich im Sommer Touristen ans Schwarze Meer. Nicaragua und Venezuela haben Abchasien anerkannt. So wie in vielen Ländern des Kaukasus gab es hier in der Vergangenheit, bis in die heutige Zeit Kriege. Die Autorin des Buches definierte es sehr gut, indem sie sagte „Der Krieg, der es im Westen kaum in die Zeitungen schaffte, war geprägt von fürchterlichen Übergriffen auf beiden Seiten, immer wieder kam es zu Scharmützeln unterbrochen von flüchtigen Waffenstillstandsabkommen, die immer wieder gebrochen wurden.“ (Seite 338) Trotz Friedens zeigte sich Abchasien als zerstörtes Land: „Wir fuhren an halb niedergebrannten Gebäuden, verlassenen Dörfern und Fabriken vorbei, die seit der Sowjetzeit nicht mehr in Betrieb waren. Die Felder waren verwuchert und nicht bestellt, die Straßen in einem elenden Zustand, nur notdürftig instandgehalten und voller Schlaglöcher.“ (Seite 335) Unter Gorbatschow zeigte sich die tiefe Spaltung zwischen Georgien und Abchasien: Abchasien wollte Teil der Sowjetunion sein und Georgien wünschte sich die Unabhängigkeit, die 1991 ausgerufen wurde. Ukraine Wieder zurück in Georgien nahm die Berichterstatterin eine Fähre, die sie nach Odessa und damit nach Europa brachte. Alles wirkte wieder geordneter. „Im Gegensatz zu der Fähre über das Kaspische Meer hatte die Schwarzmeerfähre zwischen Batumi und Odessa feste Abfahrtszeiten.“ (Seite 353) „Ukraine“ bedeutet „Land an der Grenze“. Viele Gesprächspartner der Autorin glauben, dass hinter der Orangen Revolution 2004 die USA standen. Fatland besucht auch eine schwedische Enklave in der Ukraine. Wer hätte das gedacht. Im 18. Jahrhundert wurden sie hier angesiedelt. Am Beispiel einer Familie wird das Schicksal dieser Leute beschrieben. Wie sie im Krieg als Feinde verfrachtet wurden. Viele kamen um. Einige wanderten wieder nach Schweden zurück, aber viele von ihnen kamen doch wieder zurück in die Ukraine. Der Besuch der Verwandten war schwierig. Im Zuge des Krieges kam der Vater der Familie in Kriegsgefangenschaft und wurde nach Schweden abgeschoben, wo er mit einer anderen Frau ein neues Leben begann. Erst spät lernen die Kinder, die nun schon Erwachsene geworden waren, ihren Vater kennen …. Sehr sachlich wird die Geschichte der Krim aufgezeigt. Im Krieg wurden ganze Familien umgesiedelt. Kinder kamen in der Fremde zur Welt. Wuchsen etwa in Usbekistan auf. Lernten usbekisch und tatarisch. Als sie wieder in ihre Heimat Krim zurückkamen, konnten sie kein russisch. Sie waren in ihrer eigenen Heimat Fremde geworden. Wie sich im Laufe der Geschichte die Besitzverhältnisse änderten. Neu auch, dass das russische Territorium „Krim“ 1954 von Nikita Chruschtschow der Ukraine geschenkt wurde. Putin holte es wieder zurück. Kiew wurde im Zweiten Weltkrieg ziemlich zerstört. Hier wurden erstmals ferngesteuerte Bomben installiert. Als die rote Armee die Stadt vor den anrückenden und überlegenen Deutschen räumen mussten, installierten sie diese neuen Bomben und zündeten sie, nachdem die deutschen Soldaten die Stadt besetzt hatten. Anschaulich wird die Geschichte auch durch Zeitzeugen beschrieben. So besuchte die Autorin ein Krankenhaus, in dem Soldaten aus dem Krieg im Osten des Landes lagen. Einer formulierte es so: „Ich gehöre zu den Ersten, die eingezogen wurden, aber ich habe mich gefreut. Dies ist Russlands Krieg gegen uns. Putin ist wie Hitler. Wie kann ein Land einfach daherkommen und ein anderes Land einnehmen, im 21. Jahrhundert.“ (Seite 414) Dann fügte er noch hinzu „Fast alle Männer meiner Familie waren Soldaten. Mein Großvater war in Berlin. Mein Vater auf Kuba. Mein Onkel ist während des Krieges zwischen Israel und Ägypten in Syrien gewesen. Mein Bruder war in Afghanistan. Ich bin in Donezk gelandet. Es muss jetzt gut sein. Ich hoffe, dass mein Sohn davonkommt.“ (Seite 416) Dieses Gespräch fand 2017 statt. Heute wäre es noch treffender. Nach der Hauptstadt besuchte sie noch Tschernobyl und beschreibt die derzeitige Situation dort. Auch hier wieder mit Berichten von Zeitzeugen und Leidtragenden. Traf sie überall auf Menschen, die russisch sprachen, so fand sie in Lwiw – Lemberg – eine rein ukrainische Stadt. Auch eine Stadt, die im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde. Donezk In der Kapitelüberschrift nennt sie dieses Gebiet „Die jüngste abtrünnige Republik der Welt“. 2012 wurde hier noch die Fußball-Europameisterschaft ausgerichtet. Donezk war eine der wohlhabenden Städte der Ukraine. Zur Entstehung des Buches war es Kriegsgebiet. Mit vielen Sondergenehmigungen gelang es das Gebiet zu besuchen. Es ist nach Russland ausgerichtet. Ein Gesprächspartner sagt „Das ganze Donezbecken soll wieder ein Teil Russlands werden. Die Menschen in Mariupol und Kramatorsk sehnen sich danach, befreit zu werden!“ (Seite 395) Während ich diese Zeilen lese, berichten die Medien über den Überfallskrieg und die Zerstörung der Ukraine durch russische Truppen. Bereits 2015 wurde viel zerstört. Nur alte Leute sind zurückgekommen und versuchten in den Ruinen Unterschlupf zu finden. Andere wünschen sich wieder: „Wir hoffen, dass Donezk wieder zu einem Teil der Ukraine wird.“ (Seite 401) Es war ein gefährlicher Ausflug. Die Begleiterin war selbst geflüchtet und kam nach einigen Jahren wieder zurück. Mit Tränen in den Augen fuhren sie über die Grenze wieder zurück in die Ukraine. Bedingt durch die geschaffene Infrastruktur während der Fußballmeisterschaft, konnte Fatland mit einem Expresszug nach Kiew zurückfahren. Weißrussland Von Lwiw nach Brest waren es weniger als 300 Kilometer. Weißrussland – so die Autorin – hat historisch nie existiert. 1918 genoss das Land eine kurze Periode der Unabhängigkeit. Nach einigen Monaten wurde es zu einer Sowjetrepublik. Russisch ist die Hauptsprache. Nur 15 Prozent aller Bücher erscheinen in weißrussischer Sprache. 1939 marschierten die Sowjets in Polen, dem Baltikum und Finnland ein und 1941 kamen die deutschen Truppen. Das flache Land konnte nur schwer verteidigt werden. Im Zweiten Weltkrieg wurden 9000 Dörfer niedergebrannt. In Wizebsk suchte Fatland nach Spuren von Marc Chagall, der hier aufgewachsen ist und später zurückkam. Als Jude hatte er kein einfaches Leben. Trotzdem schaffte er es, in Sankt Petersburg zu studieren und später nach Paris auszuwandern. Chagall wollte seine Werke seiner Heimatstadt vererben, aber die lehnten ab. Jetzt gibt es ein Museum, das keine Originale besitzt. Viele Juden lebten in Weißrussland. Fast alle wurden vernichtet. 100.000 lebten in Minsk in einem Ghetto. Eine ehemalige Zirkusakrobatin erzählt über das Leben im Ghetto. Ein unfassbares Leben wird hier beschrieben. Auch mit dem ehemaligen Präsidenten des Landes, dem Wissenschaftler Stanislau Schuschkewitsch konnte sie ein Gespräch führen. Sein Nachfolger Lukaschenko verordnete, dass er nur eine Pension von zwei Dollar pro Monat bekam. Ein Menschenbild anderer Natur. Um einen guten Preis für Öl und Gas zu bekommen, lud er den russischen Präsidenten Boris Jelzin zu einer Jagd ein. Mit dabei der ukrainische Präsident. In der Jagdhütte wurde die Auflösung der UdSSR beschlossen. Litauen Mit einem Bus kam sie nach Litauen. Schlagartig waren die Straßen besser und internationale Geschäfte tauchten auf. Vilnius, die Hauptstadt ist eine litauische Stadt. Im ganzen Land sind nur fünf Prozent Russen. Vor dem Ersten Weltkrieg war die Situation anders. Damals bestand die Mehrheit der Bevölkerung aus Juden, an zweiter Stelle Polen. 20 Prozent waren Russen und nur ein Prozent Litauer. Deutsche, Polen, Russen wechselten sich in der Herrschaft ab. 1990 erklärte sich Litauen als erste Sowjetrepublik unabhängig. 1991 kam es noch zu Scharmützeln. An einer Grenze zu Russland kam es zu einem Überfall, bei dem die litauischen Beamten getötet wurden. Nur einer überlebte und die Autorin traf ihn zu einem Gespräch. In persönlichen Gesprächen mit Menschen des jeweiligen Landes wird die Geschichte und die Beziehung zu Russland beschrieben. Beim Besuch der Ostseeküste erinnert sie sich, dass hier der Deutsche Thomas Mann ein Haus hatte. Polen Gegenüber von Litauen liegt Danzig. Von Kaunas war es aber eine lange Reise bis Danzig. Erst im März 1945 konnte die rote Armee die Stadt einnehmen. 90 Prozent der Altstadt war durch das intensive Bombardement der Alliierten zerstört. Polen war damit theoretisch unabhängig, wurde aber als kommunistische Diktatur von der Sowjetunion aus geführt. 1989 wurden hinter dem Eisernen Vorhang in Polen die ersten freien Wahlen abgehalten. Solidarnosc gewann überlegen und ihr Führer Lech Walesa wurde erster Präsident. Die ehemalige Werft, in der die Aufstände begannen, ist heute ein Museum. Zu Beginn wurden auch heikle Themen wie die Mitverantwortung der Polen bei der Judenverfolgung, behandelt, daher wurde der Direktor von der konservativen Regierung abberufen. Polen wurde oft besetzt und die Grenzen verschoben. Zu Russland gab es fast immer ein gespaltenes Verhältnis. Während des Zweiten Weltkriegs wurden auf Befehl Stalins 20.000 polnische Offiziere und Soldaten erschossen. Als der polnische Präsident und Parlamentsvertreter die Gedenkstätte besuchen wollten, stürzte die Maschine ab. Noch heute glauben Politiker in Polen, dass es eine Sabotage Russlands war. Lettland Nachdem sie ohne jegliche Kontrolle die Grenze zwischen Litauen und Lettland passiert hatte, besuchte sie die Stadt Daugavpils (russisch Dvinsk). Es ist die zweitgrößte Stadt Lettlands und die größte Stadt innerhalb der Europäischen Union, in der die Mehrheit Russen sind. Lettland hat generell ein negatives Wachstum. 1991 lebten über 2,6 Millionen Menschen im Land. 2016 weniger als 2 Millionen. Russen, die im Land wohnten, konnten die lettische Staatsbürgerschaft bekommen, wenn sie eine Prüfung in lettischer Sprache machten. Bis heute (Zeitpunkt des Besuchs der Autorin 2017), lebten so 300.000 Russen ohne Staatsbürgerschaft. Auch der Fahrer Fatlands hatte keine und sprach kein Wort lettisch. Er brauche diese Sprache nicht, da alle russisch verstünden. Auch hier traf sie einen Zeitzeugen: den 92jährigen Visvaldis Läcis. Er war in Lettland – damals ein freies Land – geboren. Als er 16 Jahre alt war fielen die Russen ein. Während der sowjetischen Okkupation wurden tausende Letten deportiert oder ermordet. Er, ein Schriftsteller, meinte: „Wir haben unter Schweden, Polen, Deutschen und Russen gelebt, und von allen waren die Russen am schlimmsten.“ (Seite 492) Nach dem Hitler-Stalin-Pakt wurden die Deutschen 1939 evakuiert. Heim ins Reich. 1943 wurden 80.000 Letten in die Waffen-SS eingezogen. Nachdem die Sowjets die Deutschen vertrieben hatten, kam er ins Gefängnis. Da es nach dem Krieg zu wenige Männer gab, wurde er freigelassen. Er studierte und wurde mehrmals von der Universität ausgeschlossen. Obwohl er die besten Noten hatte, durfte er nicht promovieren. Er gehörte zu „Lettlands weißen Negern“. Er war zwei Mal Abgeordneter im lettischen Parlament. In einer neofaschistischen Partei, die für ein Verbot von Russisch an lettischen Schulen und eine Deportation aller Russen eintrat. Er meint „Die Russen sind eine Bedrohung für Lettland.“ (Seite 496) Von den fast 300.000 Russen ohne Staatsbürgerschaft will die Hälfte einen Anschluss an Russland. Ein anderer Gesprächspartner erzählt, dass 1949 an einem einzigen Tag 42.000 Letten nach Sibirien deportiert wurden. In Viehwagens wurden sie transportiert. 1956 starb sein Vater im Gefängnis und die Mutter 1960, während er beim Militär Dienst machte. Mit 26 Jahren – nach Beendigung des Militärdienst – kam er das erste Mal nach Riga zurück, aber es war alles fremd für ihn. Erst 1993, als Lettland selbstständig wurde, bekam er den Hof seiner Eltern zurück. Estland Die Grenze zwischen Lettland und Estland verläuft mitten durch die Stadt Valka. Viele Einwohner sind auf die estnischen Seite gewechselt, weil sie dort mehr verdienten und ein besseres Sozialsystem vorfanden. An der Universität Tartu traf die Autorin eine Professorin, die in den 1990er Jahren Sozialministerin war. Sie war eine Kämpferin für die Unabhängigkeit und erzählte, wie sie 1989 mit 2 Millionen Menschen eine Kette bildete. „Dieser Augenblick war vielleicht der Höhepunkt meines Lebens.“ (Seite 509) Die Grenze zwischen Russland und Estland wurde von beiden Ländern nicht ratifiziert. In Städten wie Navra wohnen fast ausschließlich Russen. Sie brauchen keine estnische Sprache. Finnland Bei dieser Reise, so schreibt sie, hatte ich in Finnland erstmals das Gefühl nach Hause zu kommen. Mit 18 Jahren ging sie in Helsinki zur Schule, bevor sie für zwei Jahre ins Lyzeum nach Lyon übersiedelte. Finnland war für sie wie ein Heimkommen. Die Geschichte Finnlands erzählt sie in diesem Buch mit der Biografie des Freiherrn Mannerheim. Er diente im russischen Heer und baute die finnische Armee für den unabhängigen Staat auf. Finnland schwankte im Zweiten Weltkrieg zwischen Deutschland und Russland. Mit Neutralität versuchte das Land durchzukommen. Es wurde teilweise mit den Deutschen kooperiert und später einigte man sich mit den Sowjets und vertrieb die Deutschen, die zum Abschied Städte wie Rovaniemi dem Erdboden gleich machten. Bei Friedensverhandlungen verlor Finnland Teile seines Landes, wurde aber unabhängig. Mannerheim war in allen Veränderungen involviert und ist heute in Finnland eine häufig beschriebene Person. Eine 75jährige erzählt im Interview, dass ihre Familie 1939 ein Haus gebaut hatte. Nach 5 Jahren wurden sie evakuiert. Die Halbinsel, auf der das Haus stand, wurde ein sowjetischer Militärstützpunkt. Die 7.000 Einwohner mussten innerhalb von wenigen Tagen ihre Häuser verlassen. Finnland hatte nach dem Zweiten Weltkrieg eine halbe Million Vertriebener. 1955 gab Chruschtschow den Militärstützpunkt an Finnland zurück, so wie er die Krim den Ukrainern gab. Das Haus der Erzählerin existierte nicht mehr. Weiter im Norden veränderten sich die Grenzen mehrmals. Von 1920 bis 1944 grenzte Norwegen nur an Finnland und Schweden und nicht an Russland. 1944 musste Finnland wieder Teile abgeben. Die Menschen im Gebiet von Petsamo mussten umgesiedelt werden. Eine 83jährige Frau erzählt, wie dies damals war. Wie sie in Finnland lebte, ohne finnisch zu sprechen. Wie sie im Krieg nach Schweden kam und dort zur Schule ging und als sie zurück kam nur schwedisch sprach. Norwegen Als der Vater der Autorin hörte, dass seine Tochter zu Fuß und mit dem Kanu die Grenze zwischen Norwegen und Russland entlangfahren will, entschied er sich sie zu begleiten. Es war die einzige Wegstrecke, die sie nicht allein unternahm. Diese Grenze ist 196 Kilometer lang. Das sind aber nur acht Prozent der norwegischen Grenze. Die norwegische Stadt Kirkenes hat einen regen Austausch mit der russischen Stadt Nikel. Die Finnen „fahren mit Kind und Kegel nach Nikel auf der russischen Seite, um Wodka und Zigaretten zu kaufen und zu tanken. Und die Russen kamen in Scharen, um Sportausrüstung und Pulverkaffee zu kaufen … Außerdem kauften sie Windeln, die hier tatsächlich billiger sind als in Russland.“ (Seite 573) Kirkenes war im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt. Eine Neunundsiebzigjährige erzählt, wie sie 1944 erlebte, als sie von den Russen befreit wurden. Die abziehenden deutschen Truppen brannten noch alles nieder. Viele hatten keine Häuser mehr und wohnten in Stollen eines Bergwerks. Nach einem Jahr zogen sich die Russen wieder aus Norwegen zurück. Russland machte wenig später der norwegischen Regierung denselben Vorschlag wie Finnland, einen Nichtangriffspakt einzugehen. Norwegen entschied sich dagegen und trat der NATO bei. Der Vater fuhr mit der Tochter im Kanu am Grenzfluss entlang nach Norden. Norwegische Soldaten zeigten ihnen die militärischen Einrichtungen. Einer der Offiziere erzählte, wie es 1968 fast zu einem Krieg kam, als an der Grenze Panzer und Militärkonvois auffuhren, die sich aber Gott sei Dank nach einigen Tagen wieder zurückzogen. Norwegen hatte mit Russland nie Krieg. „Norweger und Russen im Großen und Ganzen sind geprägt von gegenseitigem Respekt und Verständnis.“ (Seite 574) Zusammenfassung Die Autorin resümiert: Im Laufe des Jahres hatte sie 20.000 Kilometer entlang der russischen Grenze mit Hilfe von Inlandsflügen, Schnellzügen, Kleinbussen, Pferden, Taxis, Lastschiffen, Kajaks und zu Fuß zurückgelegt. Sie war durch 14 Länder und 3 abtrünnige Republiken gereist. „Keines der Länder, die ich besucht habe, war ohne Wunden oder Narben in Folge der Nachbarschaft zu Russland.“ (Seite 601) Sie wagt auch eine Prognose, wenn sie schreibt: „Das größte Land der Erde hat nur geringes Selbstvertrauen, wirtschaftlich geht es bergab, die Bevölkerung schrumpft. Der Bedarf nach Selbstbehauptung und Anerkennung ist umso größer. … Das russische Imperium wurde so groß, gerade weil die jeweiligen Herrscher jederzeit alle sich bietenden Möglichkeiten ergriffen, um die Grenzen zu erweitern, koste es, was es wolle. Nur selten vermieden sie dabei Brutalität, schmutzige Tricks oder auch einen weiteren Krieg.“ (Seite 602) „Langfristig ist es schwer zu beurteilen, ob Russland in einer Generation, in hundert oder zweihundert Jahren mit seinen nahezu zweihundert ethnischen Gruppen und Nationalitäten, mit seinen siebzehn Millionen Quadratkilometern und seinen sechzigtausend Kilometer langen Grenzen als ein zusammenhängendes Ganzes weiterhin existieren kann.“ (Seite 603) Viele Grenzen wurden bei dieser Reise überschritten und daher möchte ich hier die Definition der Autorin von Grenze wiedergeben: „Eine Grenze zu überqueren, gehört zu den faszinierendsten Dingen, die es gibt. Geographisch gesehen ist der Schritt minimal, nahezu mikroskopisch. Man bewegt sich nur einige wenige Meter, doch man befindet sich plötzlich in einem anderen Universum. Manchmal ist absolut alles anders, vom Alphabet und der Währung bis hin zu Gesichtern, Farben, Geschmäckern, bedeutenden Jahreszahlen und den Namen, die die Menschen anerkennend nicken lassen.“ (Seite 223) Meine Buchbesprechung ist etwas lang geworden, aber das Buch ist mit über 600 Seiten auch dick. Fast jedes der 14 hier beschriebenen russischen Nachbarländer würde ein eigenes Buch ergeben. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } WARNUNG!: Diese Rezension ist sehr lang. Zu lang. Der Grund? Ich war so fasziniert von diesem Buch, wie es Eindrücke und historische Hintergründe der Nachbarländer Russlands wiedergibt. Man versteht die Vorgangsweise Russlands nach diesem Buch anders. Ich bin begeistert von Frau Fatland und ihrem Stil zu erzählen. Auf dieses Buch hatte ich mich schon gefreut und ich wurde wieder nicht enttäuscht. Eine großartige Frau, die sich ausgefallenste Reisen getraut zu machen und dann noch sehr anschaulich erzählen kann. Nicht nur das, was sie gesehen hatte, sondern auch Hintergrundinformationen und Geschichte. Da steckt viel Recherchearbeit dahinter, die aber sehr leicht lesbar verpackt ist. Es geht um die Nachbarländer von Russland. Einerseits ein Bericht ihrer Reise und andererseits eine historische Abhandlung. So erfährt man gleich zu Beginn (oder sollte man das wissen?), dass alle europäischen Großmächte Kolonien besaßen. Nur Russland nicht. Russland dehnte sein Reich laufend aus. „Von der Machtübernahme der Romanows1613 an war das russische Imperium im Schnitt jeden einzelnen Tag über hundert Quadratkilometer gewachsen.“ (Seite 117) Viele Erweiterungen passierten ohne Krieg. Die asiatische Erweiterung brachten russische Pelzhändler, die immer weiter vorrückten, um von den Einheimischen zu günstigen Preisen Pelze zu kaufen, die im Westen viel wert waren. Nordostpassage Im ersten Kapitel wird die Fahrt mit einem Schiff entlang der Nordküste Russlands beschrieben. Die Fahrt begann in der Beringstraße in Anadyr und ging bis Murmansk im Westen. Sie dauerte für die über 10.000 Kilometer vier Wochen. Am Schiff waren 47 Passagiere. Durchwegs alte Menschen, die aber Weltenbummler waren und viel von ihren Reisen zu erzählen hatten. Vier Wochen gab es kein Internet und kein Telefon. Angelegt wurde in ehemaligen Wetterstationen oder Dörfern. Auf der Reise gab es nur Ruhe und manchmal Eisbären, Robben oder Seelöwen. Eine Reise, auf der es nicht allzu viel Abwechslung gab. Dafür liefert die Autorin viel Geschichtliches über die Eroberung der östlichen Teile Russlands und den Positionen im Norden. Vier Wochen ohne Internet, ohne Telefon und ohne Nachrichten aus der Welt sind ein Erlebnis der besonderen Art. Nordkorea Dass es kein freies Land ist, weiß man. Dass es von einem Diktator geführt wird, dessen Rechte schon in die dritte Generation vererbt sind, weiß man auch. Freies Reisen ist nicht möglich. Fatland hatte eine Gruppenreise gebucht, die sich nicht nur auf die Hauptstadt Pjöngjang konzentrierte. Sie kam auch aufs Land und erzählt in diesem Kapitel, wie anders das Reisen in Nordkorea ist. Alles wird überwacht. Alles ist nach einem vorgegebenen Programm organisiert. Als Reisender wird man laufend beschäftigt, um am Abend müde zu Bett zu gehen und keine Ansprüche auf Spaziergänge hat. Und wenn man das noch wünscht, so meint der Führer „Sie können noch ein bisschen auf dem Parkplatz spazieren gehen, wenn sie wollen.“ (Seite 102) Der große Führer Kim ist überall zu sehen. Auch Touristen müssen sich vor seiner Statue verneigen. Fatland nennt es ein „Verneigen, ohne sich zu verbiegen“. Man durfte eine Statue des Führers nur in vollem Umfang ablichten. Generell wurden die Fotoapparate der Touristen laufend von deren Führern geprüft und vieles sofort gelöscht. So muss sich die Autorin von ihrer Führerin sagen lassen, dass sie nur schöne Dinge fotografieren dürfe, während diese die Löschtaste drückt. „Der nordkoreanische Grenzpolizist war sogar noch gründlicher als Miss Pan. Übereifrig durchsuchte er sämtliche Fotos auf meiner Kamera, über sechshundert an der Zahl. Er löschte alle Bilder mit Menschen, die arm aussahen, sowie alle Fotos, die Männer in Militäruniform zeigten – davon gab es einige.“ (Seite 115) Im Nachsatz schreibt sie aber „Glücklicherweise hatte ich vorsichtshalber eine Sicherungskopie erstellt.“ Bei allen Länderberichten wird Bezug auf Russland genommen. So auch aus historischer Sicht. Die Beziehung zwischen Russland und Nordkorea war einmal bedeutend und verschlechterte sich. Nach der Okkupation der Krim durch die Russen wurden die Beziehung zu Nordkorea wieder ausgebaut. Russland strich neunzig Prozent der Staatsschulden Nordkoreas und investierte dreihundert Millionen Dollar in das nordkoreanische Eisenbahnnetz. Als allerdings die UNO die Atomversuche und Raketenabschüsse Nordkoreas kritisierte, distanzierte sich auch Russland wieder. China Nach Nordkorea und seinen Restriktionen, fühlte sich die Reisende in China wie in einem freien Land. Sie durfte hingehen, wo sie wollte, und musste nicht am Parkplatz spazieren gehen. Sie querte die Grenze mit einem Bus und kam in die chinesische Stadt Dalian. Die Stadt mit 7 Millionen Einwohnern ist eine, der am schnellsten wachsenden Städte Chinas und „wurde 2006 von China Daily zur chinesischen Stadt mit der höchsten Lebensqualität gekürt.“ (Seite 117) Diese Stadt hatte Fatland ausgewählt, weil sie 1889 als Port Arthur in russische Hände fiel. In dieser Hafenstadt endete die Expansion Russlands nach Osten. Die Grenze zwischen China und Russland war immer umstritten und umkämpft. 1858 erhielten die Russen in einem Vertrag die Gebiete nördlich des Flusses Amur. In Europa war der Zweite Weltkrieg zwar am 30. April 1945 zu Ende, aber nach Abwurf der Atombombe über Hiroshima am 9. August marschierten 1,5 Millionen sowjetische Soldaten in China ein, um die japanischen Besatzer zu vertreiben. Da es noch heute Streitereien um eine Insel gibt, kam es zwischen Japan und Russland bis heute zu keinem Friedenvertrag. Die Sowjets zogen sich später zurück und übergaben das Land Maos Truppen. Von der Stadt Dalian reist die Autorin weiter nach Harbin. Sie nimmt einen Hochgeschwindigkeitszug und ist begeistert. „Jährlich transportieren chinesische Züge 2,5 Milliarden Passagiere, und diese Zahl ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Entfernung, die jeder Passagier zurücklegt, fünfhundert Kilometer beträgt.“ (Seite 129) Auch Harbin hat russische Wurzeln. Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier die Administration der „Ostchinesischen Eisenbahn“ von den Russen gegründet. Die Stadt blühte auf und wurde „das Paris des Fernen Ostens“ genannt. 1905 verloren die Russen gegen Japan einen Krieg. Viele Russen gingen heim. Harbin wurde aber eine internationale Stadt. Nach der russischen Revolution kamen viele politische Flüchtlinge und hatte den größten jüdischen Bevölkerungsanteil im Fernen Osten. Die Japaner entwickelten und produzierten hier biologische Waffen. Viele Menschen starben an den Folgen dieser Industrie. Die Chinesen betreiben heute ein „russisches Dorf“; eine Art Disney Land, das russische Kultur vermitteln soll. Viele Russen finden hier einen Arbeitsplatz. Die Autorin zeigt dies am Beispiel einer russischen Pensionistin aus Wladiwostok, die hier arbeitet, weil sie zu Hause mit der staatlichen Rente nur schwer leben könnte. Fatland reist entlang der Grenze weiter in die Grenzstadt Heihe am Fluss Amur. Auf russischer Seite, im östlichen Sibirien, leben sechs Millionen Menschen auf einer Fläche, die ein Drittel des Landes umfasst. Russland und China steht sich gegenüber. „Die Russen haben das meiste Land, die Chinesen die meisten Menschen.“ (Seite 144) Erst 2008 kam es zu einem friedlichen Nebeneinander. Eine Vereinbarung regelt die 4300 Kilometer lange Grenze. Die Nachbarstädte Heihe auf chinesischer Seite und Blagoweschtschensk auf der russischen Seite des Flusses bilden eine Freihandelszone. Bedingt durch die Sanktionen des Westens nach der Okkupation der Krim wurden die Beziehungen zwischen Russland und China ausgebaut und eine 4000 Kilometer lange Gaspipeline gebaut. Aber Europa und die USA haben ein zehn Mal größeres Handelsvolumen für China als Russland. Ein Besuch in so einem Freihandelseinkaufszentrum zeigt aber, dass es nicht funktioniert. Einkaufen ist für Russen zu teuer geworden. Vor einigen Jahren zahlten sie für einen Yuan 5 Rubel und heute 10. Mongolei Mit dem Zug geht es weiter von Peking nach Ulaanbaatar. Sie wählte einen Zug, der nur bis zur mongolischen Hauptstadt fuhr und nicht nach Moskau. Wenige Passagiere waren unterwegs. Sie war der einzige Passagier im Schlafwagen. Die Grenzkontrollen waren intensiv. Die Fahrt dauerte 27 Stunden. Neben persönlichen Eindrücken wird die Geschichte des Landes erzählt. Beginnend beim Nationalhelden Chinggis Khaan, über die Besetzung durch die Chinesen und Sowjets bis zum Jahr 1990 und dem Ende des kommunistischen Regimes. 1946 erkannte China die Mongolei als unabhängiges Land an, aber erst 1961 wurde es als unabhängiges Mitgliedsland in die UNO aufgenommen. Eine grundlegende gesellschaftliche Änderung brachte das Ende des Kommunismus. Die Nomaden zogen in die Hauptstadt, die sich in zwei Jahrzehnten von einer halben Million auf 1,5 Millionen verdreifachte. Ein Mönch im Kloster Erdene Zuu erzählt, wie das zutiefst religiöse Land nach Übernahme durch die Russen 1920 verändert wurde. Klöster wurden geschlossen und Religionsführer ermordet. In 1 ½ Jahren wurden 10.000 Lamas getötet. Ebenso Intellektuelle, hohe Militärs und Politiker. Erst 1992 durfte man wieder Mönch werden, so wie der Erzähler. Stalin wollte das Kolchosen System einführen und verlangte von den Nomaden ihren Viehbestand dem Staat zu überlassen. Diese aber töten ihre Tiere liebe, als sie dem kommunistischen Staat auszuliefern. Die Folge war eine Hungersnot. Militärisch wurde der Aufstand niedergeschlagen. Die neu gewonnene Religionsfreiheit brachte die Hälfte der Mongolen wieder zum Buddhismus zurück und die Klöster wachsen wieder. Fatland besuchte dann Rentierhirten, die als Eremiten in der Taiga allein leben. Manche von ihnen sind auch Schamanen. Sie wohnen weit weg von ihren Familien und den nächsten Ortschaften. Es ist kalt. Ein Gesprächspartner aber meint „Erst bei minus 40 Grad kann man von Kälte reden.“ (Seite 191) „Nein hier ist es angenehm. Ich friere nur, wenn ich ins Dorf muss, nach Tsagaannuur. Manchmal dauert die Reise fünf Tage durch den Schnee. Wenn wir in die Stadt müssen, reiten wir auf einem Rentier. Sie sind im Winter schneller als Pferde, rutschen nie aus, stolpern niemals.“ (Seite 189) Fatland besucht auch einen Obertonsänger, der ihr eine individuelle Vorführung bietet. Mit einem Auto fuhr sie zur chinesischen Grenze, um dann über Xinjiang nach Kasachstan zu gelangen. Die Straße zur chinesischen Grenze war dann besser. In der Mongolei sind sie meist ohne Straße querfeldein gefahren. Die bessere Straße vor der Grenze zu China signalisierte auch die Veränderung nach dem Ende des Kommunismus. „Nachdem die Mongolei 1990 eine Demokratie wurde, haben sich die Vorzeichen verändert. In der Zeit des Kommunismus wurden fünfundneunzig Prozent des Handels mit der Sowjetunion abgewickelt. Heute ist China, der alte Feind der Mongolei, der dediziert wichtigste Handelspartner. Über achtzig Prozent des gesamten Exports gehen an die Chinesen.“ (Seite 205) Kasachstan Um nach Kasachstan zu kommen, musste Fatland nochmals ein Stück durch China. Die, wegen der Unterdrückung von Minderheiten im Westen in die Presse gekommene Provinz Xinjiang grenzt an acht Länder: Mongolei, Afghanistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Pakistan, Indien und Russland. Die Provinz beherbergt über 50 Minderheiten. Die größte von ihnen ist jene der Uiguren mit fast 50 Prozent. Sie begannen sich als eigener Stamm zu deklarieren, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Sowjetunion ihre Nachbarvölker in Nationen einzuteilen begann und die Sowjetrepubliken Kasachstan und Usbekistan entstanden. In sehr sachlicher Form wird über den Widerstandskämpfer der Uiguren berichtet. Der Fokus auf Russlands Grenzen ging nicht verloren und so besuchte die Buchautorin die Stadt Urumtschi, wohin während der russischen Revolution viele Russen flüchteten. Sie war schon einmal in Kasachstan und damals hat sie sich geschworen dieses Land niemals mehr zu besuchen. Für das vorliegende Buch kam sie wieder. Sie berichtet vom zweitgrößten Gefangenenlager der UdSSR – Karaganda – wo Stalin zwischen 1929 und 1953 (seinem Tod) 800.000 politische Sträflinge internierte. Hier war auch ein Atomwaffen-Experimentiergelände. Über zwei Millionen Menschen wurden dabei verseucht. Kasachstan war die letzte Sowjetrepublik, die sich als selbstständig erklärte und ist immer noch durch Einrichtungen, wie der Raumfahrtstation Baikonur, von der die Reisende aber wenig berichten konnte, weil „die Verantwortlichen bei einer Konferenz weilten“. Sie reiste 27 Stunden mit dem Zug an und bezahlte 1000 Dollar“ Eintritt“ und bekam nichts zu sehen. Als Leser kommt man bei dieser Reise in kleine Dörfer und zu Kleinbauern mit wenigen Tieren, wo es aber herzliche Gastfreundschaft gibt. Aber auch die neue Hauptstadt Astana wurde besucht. Ursprünglich war es eine kleine Provinzstadt – Zelinograd – die 1997 zur neuen Hauptstadt ausgerufen wurde. Eine schnell wachsende Stadt, in der die Infrastruktur nicht Schritt halten kann und Autostaus an der Tagesordnung sind. Aserbaidschan Mit der Fähre kam sie über das kaspische Meer nach Baku. Eine Transportform, die es nicht so genau nahm und deren Abfahrt sich oft um Tage verzögern kann. Außerdem ist die Strecke nicht sehr frequentiert. Nur wenige Passagiere waren am Fährschiff. Wie bei allen Ländern wird ein historischer Abriss gegeben. So etwa, dass Aserbaidschan sich schon 1917 als unabhängig von Russland erklärte. Das dauerte aber nur drei Jahre, bis die Bolschwiken das Land wieder besetzten. Baku war für 80 Prozent der Ölproduktion der UdSSR verantwortlich. Die Schlacht um Stalingrad sieht Fatland auch als Schlacht um die Ölfelder von Baku, denn nach Fall von Stalingrad wäre für Hitler dieser Weg frei gewesen und der Zweite Weltkrieg hätte einen anderen Ausgang genommen. Auch hier fährt sie möglichst nahe an die russische Grenze heran und besucht die Stadt Schäki. Bergkarabach Da die Grenze zwischen Bergkarabach und Aserbaidschan geschlossen war, musste sie über Georgien nach Bergkarabach reisen. „Zum ersten Mal auf meiner Reise war ich im christlichen Teil der Welt. Der Fahrer, der mich nach Tiflis fuhr, bekreuzigte sich an jeder Kirche, an der wir vorbeifuhren, drei Mal.“ (Seite 297) So kam sie in diese abtrünnige Republik, deren Hauptstadt Stepanakert eine verschlafene Provinzstadt war. Das Land mit 150.000 Einwohnern wird finanziert von Exil-Armeniern. Auch hier ging es um Krieg und die Autorin besuchte das Museum der toten Soldaten. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es schon Unruhen und Städte wurden in Schutt und Asche gelegt. 1992 besetzte es die armenische Armee und die Aserbaidschaner mussten flüchten. Georgien Nach diesem „Sidestep“ kehrte sie wieder nach Georgien zurück. „Georgien ist eines meiner Lieblingsländer, es ist ein Land, das absolut alles hat: Im Norden finden sich einige der höchsten Berge Europas, im Westen kann man im Schwarzen Meer baden, im Osten gibt es Weingüter von Weltrang.“ (Seite 307) Es ist ein Land mit gutem Essen und Gastfreundschaft. Aber auch hier dominierte der Krieg und Auseinandersetzungen mit Russland. 1999 marschierte Russland in Tschetschenien ein. Hunderttausende Menschen wurden getötet oder flohen. Wichtige Verkehrsverbindungen sind in Richtung Russlands ausgerichtet. Auch hier gibt es zwei abtrünnige Republiken: Abchasien und Südossetien, die sich in den frühen 1990er Jahren lösten. Schewardnadse, der frühere russische Außenminister brachte Frieden. Der berühmteste Mann aus Georgien war Stalin. Für viele Auseinandersetzungen der Großmächte Russland und der NATO musste das Land herhalten. Russland versetzt laufend den Grenzzaun. Fatland besucht einen Mann, der eines Tages aufwachte und im Nachbarland war. Der Zaun war über Nacht verschoben worden. Um seine Pension abheben zu können, muss er heimlich (und verbotenerweise) über den Zaun klettern und sich in seinem Heimatland das Geld abholen, das er aber nicht eintauschen kann, weil man auf der anderen Seite des Zauns nur Rubel akzeptiert. Die abenteuerliche Buchautorin besucht auch die abtrünnigen Republiken. Viele Häuser sind noch Ruinen vom Krieg Abchasien Eine abtrünnige Republik von Georgien hat nur 250.000 Einwohner. Zu klein, um internationale anerkannt zu werden. Russland beschützt das Land, hat Truppen stationiert, den Rubel als Währungsmittel eingeführt und bringt jährlich im Sommer Touristen ans Schwarze Meer. Nicaragua und Venezuela haben Abchasien anerkannt. So wie in vielen Ländern des Kaukasus gab es hier in der Vergangenheit, bis in die heutige Zeit Kriege. Die Autorin des Buches definierte es sehr gut, indem sie sagte „Der Krieg, der es im Westen kaum in die Zeitungen schaffte, war geprägt von fürchterlichen Übergriffen auf beiden Seiten, immer wieder kam es zu Scharmützeln unterbrochen von flüchtigen Waffenstillstandsabkommen, die immer wieder gebrochen wurden.“ (Seite 338) Trotz Friedens zeigte sich Abchasien als zerstörtes Land: „Wir fuhren an halb niedergebrannten Gebäuden, verlassenen Dörfern und Fabriken vorbei, die seit der Sowjetzeit nicht mehr in Betrieb waren. Die Felder waren verwuchert und nicht bestellt, die Straßen in einem elenden Zustand, nur notdürftig instandgehalten und voller Schlaglöcher.“ (Seite 335) Unter Gorbatschow zeigte sich die tiefe Spaltung zwischen Georgien und Abchasien: Abchasien wollte Teil der Sowjetunion sein und Georgien wünschte sich die Unabhängigkeit, die 1991 ausgerufen wurde. Ukraine Wieder zurück in Georgien nahm die Berichterstatterin eine Fähre, die sie nach Odessa und damit nach Europa brachte. Alles wirkte wieder geordneter. „Im Gegensatz zu der Fähre über das Kaspische Meer hatte die Schwarzmeerfähre zwischen Batumi und Odessa feste Abfahrtszeiten.“ (Seite 353) „Ukraine“ bedeutet „Land an der Grenze“. Viele Gesprächspartner der Autorin glauben, dass hinter der Orangen Revolution 2004 die USA standen. Fatland besucht auch eine schwedische Enklave in der Ukraine. Wer hätte das gedacht. Im 18. Jahrhundert wurden sie hier angesiedelt. Am Beispiel einer Familie wird das Schicksal dieser Leute beschrieben. Wie sie im Krieg als Feinde verfrachtet wurden. Viele kamen um. Einige wanderten wieder nach Schweden zurück, aber viele von ihnen kamen doch wieder zurück in die Ukraine. Der Besuch der Verwandten war schwierig. Im Zuge des Krieges kam der Vater der Familie in Kriegsgefangenschaft und wurde nach Schweden abgeschoben, wo er mit einer anderen Frau ein neues Leben begann. Erst spät lernen die Kinder, die nun schon Erwachsene geworden waren, ihren Vater kennen …. Sehr sachlich wird die Geschichte der Krim aufgezeigt. Im Krieg wurden ganze Familien umgesiedelt. Kinder kamen in der Fremde zur Welt. Wuchsen etwa in Usbekistan auf. Lernten usbekisch und tatarisch. Als sie wieder in ihre Heimat Krim zurückkamen, konnten sie kein russisch. Sie waren in ihrer eigenen Heimat Fremde geworden. Wie sich im Laufe der Geschichte die Besitzverhältnisse änderten. Neu auch, dass das russische Territorium „Krim“ 1954 von Nikita Chruschtschow der Ukraine geschenkt wurde. Putin holte es wieder zurück. Kiew wurde im Zweiten Weltkrieg ziemlich zerstört. Hier wurden erstmals ferngesteuerte Bomben installiert. Als die rote Armee die Stadt vor den anrückenden und überlegenen Deutschen räumen mussten, installierten sie diese neuen Bomben und zündeten sie, nachdem die deutschen Soldaten die Stadt besetzt hatten. Anschaulich wird die Geschichte auch durch Zeitzeugen beschrieben. So besuchte die Autorin ein Krankenhaus, in dem Soldaten aus dem Krieg im Osten des Landes lagen. Einer formulierte es so: „Ich gehöre zu den Ersten, die eingezogen wurden, aber ich habe mich gefreut. Dies ist Russlands Krieg gegen uns. Putin ist wie Hitler. Wie kann ein Land einfach daherkommen und ein anderes Land einnehmen, im 21. Jahrhundert.“ (Seite 414) Dann fügte er noch hinzu „Fast alle Männer meiner Familie waren Soldaten. Mein Großvater war in Berlin. Mein Vater auf Kuba. Mein Onkel ist während des Krieges zwischen Israel und Ägypten in Syrien gewesen. Mein Bruder war in Afghanistan. Ich bin in Donezk gelandet. Es muss jetzt gut sein. Ich hoffe, dass mein Sohn davonkommt.“ (Seite 416) Dieses Gespräch fand 2017 statt. Heute wäre es noch treffender. Nach der Hauptstadt besuchte sie noch Tschernobyl und beschreibt die derzeitige Situation dort. Auch hier wieder mit Berichten von Zeitzeugen und Leidtragenden. Traf sie überall auf Menschen, die russisch sprachen, so fand sie in Lwiw – Lemberg – eine rein ukrainische Stadt. Auch eine Stadt, die im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde. Donezk In der Kapitelüberschrift nennt sie dieses Gebiet „Die jüngste abtrünnige Republik der Welt“. 2012 wurde hier noch die Fußball-Europameisterschaft ausgerichtet. Donezk war eine der wohlhabenden Städte der Ukraine. Zur Entstehung des Buches war es Kriegsgebiet. Mit vielen Sondergenehmigungen gelang es das Gebiet zu besuchen. Es ist nach Russland ausgerichtet. Ein Gesprächspartner sagt „Das ganze Donezbecken soll wieder ein Teil Russlands werden. Die Menschen in Mariupol und Kramatorsk sehnen sich danach, befreit zu werden!“ (Seite 395) Während ich diese Zeilen lese, berichten die Medien über den Überfallskrieg und die Zerstörung der Ukraine durch russische Truppen. Bereits 2015 wurde viel zerstört. Nur alte Leute sind zurückgekommen und versuchten in den Ruinen Unterschlupf zu finden. Andere wünschen sich wieder: „Wir hoffen, dass Donezk wieder zu einem Teil der Ukraine wird.“ (Seite 401) Es war ein gefährlicher Ausflug. Die Begleiterin war selbst geflüchtet und kam nach einigen Jahren wieder zurück. Mit Tränen in den Augen fuhren sie über die Grenze wieder zurück in die Ukraine. Bedingt durch die geschaffene Infrastruktur während der Fußballmeisterschaft, konnte Fatland mit einem Expresszug nach Kiew zurückfahren. Weißrussland Von Lwiw nach Brest waren es weniger als 300 Kilometer. Weißrussland – so die Autorin – hat historisch nie existiert. 1918 genoss das Land eine kurze Periode der Unabhängigkeit. Nach einigen Monaten wurde es zu einer Sowjetrepublik. Russisch ist die Hauptsprache. Nur 15 Prozent aller Bücher erscheinen in weißrussischer Sprache. 1939 marschierten die Sowjets in Polen, dem Baltikum und Finnland ein und 1941 kamen die deutschen Truppen. Das flache Land konnte nur schwer verteidigt werden. Im Zweiten Weltkrieg wurden 9000 Dörfer niedergebrannt. In Wizebsk suchte Fatland nach Spuren von Marc Chagall, der hier aufgewachsen ist und später zurückkam. Als Jude hatte er kein einfaches Leben. Trotzdem schaffte er es, in Sankt Petersburg zu studieren und später nach Paris auszuwandern. Chagall wollte seine Werke seiner Heimatstadt vererben, aber die lehnten ab. Jetzt gibt es ein Museum, das keine Originale besitzt. Viele Juden lebten in Weißrussland. Fast alle wurden vernichtet. 100.000 lebten in Minsk in einem Ghetto. Eine ehemalige Zirkusakrobatin erzählt über das Leben im Ghetto. Ein unfassbares Leben wird hier beschrieben. Auch mit dem ehemaligen Präsidenten des Landes, dem Wissenschaftler Stanislau Schuschkewitsch konnte sie ein Gespräch führen. Sein Nachfolger Lukaschenko verordnete, dass er nur eine Pension von zwei Dollar pro Monat bekam. Ein Menschenbild anderer Natur. Um einen guten Preis für Öl und Gas zu bekommen, lud er den russischen Präsidenten Boris Jelzin zu einer Jagd ein. Mit dabei der ukrainische Präsident. In der Jagdhütte wurde die Auflösung der UdSSR beschlossen. Litauen Mit einem Bus kam sie nach Litauen. Schlagartig waren die Straßen besser und internationale Geschäfte tauchten auf. Vilnius, die Hauptstadt ist eine litauische Stadt. Im ganzen Land sind nur fünf Prozent Russen. Vor dem Ersten Weltkrieg war die Situation anders. Damals bestand die Mehrheit der Bevölkerung aus Juden, an zweiter Stelle Polen. 20 Prozent waren Russen und nur ein Prozent Litauer. Deutsche, Polen, Russen wechselten sich in der Herrschaft ab. 1990 erklärte sich Litauen als erste Sowjetrepublik unabhängig. 1991 kam es noch zu Scharmützeln. An einer Grenze zu Russland kam es zu einem Überfall, bei dem die litauischen Beamten getötet wurden. Nur einer überlebte und die Autorin traf ihn zu einem Gespräch. In persönlichen Gesprächen mit Menschen des jeweiligen Landes wird die Geschichte und die Beziehung zu Russland beschrieben. Beim Besuch der Ostseeküste erinnert sie sich, dass hier der Deutsche Thomas Mann ein Haus hatte. Polen Gegenüber von Litauen liegt Danzig. Von Kaunas war es aber eine lange Reise bis Danzig. Erst im März 1945 konnte die rote Armee die Stadt einnehmen. 90 Prozent der Altstadt war durch das intensive Bombardement der Alliierten zerstört. Polen war damit theoretisch unabhängig, wurde aber als kommunistische Diktatur von der Sowjetunion aus geführt. 1989 wurden hinter dem Eisernen Vorhang in Polen die ersten freien Wahlen abgehalten. Solidarnosc gewann überlegen und ihr Führer Lech Walesa wurde erster Präsident. Die ehemalige Werft, in der die Aufstände begannen, ist heute ein Museum. Zu Beginn wurden auch heikle Themen wie die Mitverantwortung der Polen bei der Judenverfolgung, behandelt, daher wurde der Direktor von der konservativen Regierung abberufen. Polen wurde oft besetzt und die Grenzen verschoben. Zu Russland gab es fast immer ein gespaltenes Verhältnis. Während des Zweiten Weltkriegs wurden auf Befehl Stalins 20.000 polnische Offiziere und Soldaten erschossen. Als der polnische Präsident und Parlamentsvertreter die Gedenkstätte besuchen wollten, stürzte die Maschine ab. Noch heute glauben Politiker in Polen, dass es eine Sabotage Russlands war. Lettland Nachdem sie ohne jegliche Kontrolle die Grenze zwischen Litauen und Lettland passiert hatte, besuchte sie die Stadt Daugavpils (russisch Dvinsk). Es ist die zweitgrößte Stadt Lettlands und die größte Stadt innerhalb der Europäischen Union, in der die Mehrheit Russen sind. Lettland hat generell ein negatives Wachstum. 1991 lebten über 2,6 Millionen Menschen im Land. 2016 weniger als 2 Millionen. Russen, die im Land wohnten, konnten die lettische Staatsbürgerschaft bekommen, wenn sie eine Prüfung in lettischer Sprache machten. Bis heute (Zeitpunkt des Besuchs der Autorin 2017), lebten so 300.000 Russen ohne Staatsbürgerschaft. Auch der Fahrer Fatlands hatte keine und sprach kein Wort lettisch. Er brauche diese Sprache nicht, da alle russisch verstünden. Auch hier traf sie einen Zeitzeugen: den 92jährigen Visvaldis Läcis. Er war in Lettland – damals ein freies Land – geboren. Als er 16 Jahre alt war fielen die Russen ein. Während der sowjetischen Okkupation wurden tausende Letten deportiert oder ermordet. Er, ein Schriftsteller, meinte: „Wir haben unter Schweden, Polen, Deutschen und Russen gelebt, und von allen waren die Russen am schlimmsten.“ (Seite 492) Nach dem Hitler-Stalin-Pakt wurden die Deutschen 1939 evakuiert. Heim ins Reich. 1943 wurden 80.000 Letten in die Waffen-SS eingezogen. Nachdem die Sowjets die Deutschen vertrieben hatten, kam er ins Gefängnis. Da es nach dem Krieg zu wenige Männer gab, wurde er freigelassen. Er studierte und wurde mehrmals von der Universität ausgeschlossen. Obwohl er die besten Noten hatte, durfte er nicht promovieren. Er gehörte zu „Lettlands weißen Negern“. Er war zwei Mal Abgeordneter im lettischen Parlament. In einer neofaschistischen Partei, die für ein Verbot von Russisch an lettischen Schulen und eine Deportation aller Russen eintrat. Er meint „Die Russen sind eine Bedrohung für Lettland.“ (Seite 496) Von den fast 300.000 Russen ohne Staatsbürgerschaft will die Hälfte einen Anschluss an Russland. Ein anderer Gesprächspartner erzählt, dass 1949 an einem einzigen Tag 42.000 Letten nach Sibirien deportiert wurden. In Viehwagens wurden sie transportiert. 1956 starb sein Vater im Gefängnis und die Mutter 1960, während er beim Militär Dienst machte. Mit 26 Jahren – nach Beendigung des Militärdienst – kam er das erste Mal nach Riga zurück, aber es war alles fremd für ihn. Erst 1993, als Lettland selbstständig wurde, bekam er den Hof seiner Eltern zurück. Estland Die Grenze zwischen Lettland und Estland verläuft mitten durch die Stadt Valka. Viele Einwohner sind auf die estnischen Seite gewechselt, weil sie dort mehr verdienten und ein besseres Sozialsystem vorfanden. An der Universität Tartu traf die Autorin eine Professorin, die in den 1990er Jahren Sozialministerin war. Sie war eine Kämpferin für die Unabhängigkeit und erzählte, wie sie 1989 mit 2 Millionen Menschen eine Kette bildete. „Dieser Augenblick war vielleicht der Höhepunkt meines Lebens.“ (Seite 509) Die Grenze zwischen Russland und Estland wurde von beiden Ländern nicht ratifiziert. In Städten wie Navra wohnen fast ausschließlich Russen. Sie brauchen keine estnische Sprache. Finnland Bei dieser Reise, so schreibt sie, hatte ich in Finnland erstmals das Gefühl nach Hause zu kommen. Mit 18 Jahren ging sie in Helsinki zur Schule, bevor sie für zwei Jahre ins Lyzeum nach Lyon übersiedelte. Finnland war für sie wie ein Heimkommen. Die Geschichte Finnlands erzählt sie in diesem Buch mit der Biografie des Freiherrn Mannerheim. Er diente im russischen Heer und baute die finnische Armee für den unabhängigen Staat auf. Finnland schwankte im Zweiten Weltkrieg zwischen Deutschland und Russland. Mit Neutralität versuchte das Land durchzukommen. Es wurde teilweise mit den Deutschen kooperiert und später einigte man sich mit den Sowjets und vertrieb die Deutschen, die zum Abschied Städte wie Rovaniemi dem Erdboden gleich machten. Bei Friedensverhandlungen verlor Finnland Teile seines Landes, wurde aber unabhängig. Mannerheim war in allen Veränderungen involviert und ist heute in Finnland eine häufig beschriebene Person. Eine 75jährige erzählt im Interview, dass ihre Familie 1939 ein Haus gebaut hatte. Nach 5 Jahren wurden sie evakuiert. Die Halbinsel, auf der das Haus stand, wurde ein sowjetischer Militärstützpunkt. Die 7.000 Einwohner mussten innerhalb von wenigen Tagen ihre Häuser verlassen. Finnland hatte nach dem Zweiten Weltkrieg eine halbe Million Vertriebener. 1955 gab Chruschtschow den Militärstützpunkt an Finnland zurück, so wie er die Krim den Ukrainern gab. Das Haus der Erzählerin existierte nicht mehr. Weiter im Norden veränderten sich die Grenzen mehrmals. Von 1920 bis 1944 grenzte Norwegen nur an Finnland und Schweden und nicht an Russland. 1944 musste Finnland wieder Teile abgeben. Die Menschen im Gebiet von Petsamo mussten umgesiedelt werden. Eine 83jährige Frau erzählt, wie dies damals war. Wie sie in Finnland lebte, ohne finnisch zu sprechen. Wie sie im Krieg nach Schweden kam und dort zur Schule ging und als sie zurück kam nur schwedisch sprach. Norwegen Als der Vater der Autorin hörte, dass seine Tochter zu Fuß und mit dem Kanu die Grenze zwischen Norwegen und Russland entlangfahren will, entschied er sich sie zu begleiten. Es war die einzige Wegstrecke, die sie nicht allein unternahm. Diese Grenze ist 196 Kilometer lang. Das sind aber nur acht Prozent der norwegischen Grenze. Die norwegische Stadt Kirkenes hat einen regen Austausch mit der russischen Stadt Nikel. Die Finnen „fahren mit Kind und Kegel nach Nikel auf der russischen Seite, um Wodka und Zigaretten zu kaufen und zu tanken. Und die Russen kamen in Scharen, um Sportausrüstung und Pulverkaffee zu kaufen … Außerdem kauften sie Windeln, die hier tatsächlich billiger sind als in Russland.“ (Seite 573) Kirkenes war im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt. Eine Neunundsiebzigjährige erzählt, wie sie 1944 erlebte, als sie von den Russen befreit wurden. Die abziehenden deutschen Truppen brannten noch alles nieder. Viele hatten keine Häuser mehr und wohnten in Stollen eines Bergwerks. Nach einem Jahr zogen sich die Russen wieder aus Norwegen zurück. Russland machte wenig später der norwegischen Regierung denselben Vorschlag wie Finnland, einen Nichtangriffspakt einzugehen. Norwegen entschied sich dagegen und trat der NATO bei. Der Vater fuhr mit der Tochter im Kanu am Grenzfluss entlang nach Norden. Norwegische Soldaten zeigten ihnen die militärischen Einrichtungen. Einer der Offiziere erzählte, wie es 1968 fast zu einem Krieg kam, als an der Grenze Panzer und Militärkonvois auffuhren, die sich aber Gott sei Dank nach einigen Tagen wieder zurückzogen. Norwegen hatte mit Russland nie Krieg. „Norweger und Russen im Großen und Ganzen sind geprägt von gegenseitigem Respekt und Verständnis.“ (Seite 574) Zusammenfassung Die Autorin resümiert: Im Laufe des Jahres hatte sie 20.000 Kilometer entlang der russischen Grenze mit Hilfe von Inlandsflügen, Schnellzügen, Kleinbussen, Pferden, Taxis, Lastschiffen, Kajaks und zu Fuß zurückgelegt. Sie war durch 14 Länder und 3 abtrünnige Republiken gereist. „Keines der Länder, die ich besucht habe, war ohne Wunden oder Narben in Folge der Nachbarschaft zu Russland.“ (Seite 601) Sie wagt auch eine Prognose, wenn sie schreibt: „Das größte Land der Erde hat nur geringes Selbstvertrauen, wirtschaftlich geht es bergab, die Bevölkerung schrumpft. Der Bedarf nach Selbstbehauptung und Anerkennung ist umso größer. … Das russische Imperium wurde so groß, gerade weil die jeweiligen Herrscher jederzeit alle sich bietenden Möglichkeiten ergriffen, um die Grenzen zu erweitern, koste es, was es wolle. Nur selten vermieden sie dabei Brutalität, schmutzige Tricks oder auch einen weiteren Krieg.“ (Seite 602) „Langfristig ist es schwer zu beurteilen, ob Russland in einer Generation, in hundert oder zweihundert Jahren mit seinen nahezu zweihundert ethnischen Gruppen und Nationalitäten, mit seinen siebzehn Millionen Quadratkilometern und seinen sechzigtausend Kilometer langen Grenzen als ein zusammenhängendes Ganzes weiterhin existieren kann.“ (Seite 603) Viele Grenzen wurden bei dieser Reise überschritten und daher möchte ich hier die Definition der Autorin von Grenze wiedergeben: „Eine Grenze zu überqueren, gehört zu den faszinierendsten Dingen, die es gibt. Geographisch gesehen ist der Schritt minimal, nahezu mikroskopisch. Man bewegt sich nur einige wenige Meter, doch man befindet sich plötzlich in einem anderen Universum. Manchmal ist absolut alles anders, vom Alphabet und der Währung bis hin zu Gesichtern, Farben, Geschmäckern, bedeutenden Jahreszahlen und den Namen, die die Menschen anerkennend nicken lassen.“ (Seite 223) Meine Buchbesprechung ist etwas lang geworden, aber das Buch ist mit über 600 Seiten auch dick. Fast jedes der 14 hier beschriebenen russischen Nachbarländer würde ein eigenes Buch ergeben. |
SIMON, Cordula 2022. @book{SIMON2022, title = {Die Wölfe von Pripyat}, author = {Cordula SIMON}, year = {2022}, date = {2022-03-07}, abstract = {SIMON, Cordula: „Die Wölfe von Pripyat“, Salzburg Wien 2022 Der im Titel des Buches verwendete Ort Pripyat war mir unbekannt. Erst durch das erste „Friedengespräch“ zwischen Russland und der Ukraine am 28. Februar 2022 erfuhr ich, dass es in der Ukraine nahe der Grenze zu Weißrussland liegt. Aber auch die Thematik erinnert in vielen Zügen an die „Eroberung“ durch die russischen Truppen. Die Autorin handelt das Thema wie George Orwell mit seinem Buch „1984“ ab. Man könnte es als Release 2.0 der Orwell Geschichte sehen. Vieles ist in Ansätzen schon realisiert und wir leben damit. Vieles ist sicher noch im Kommen und so gesehen ist es kein Science-Fiction Roman, sondern realitätsbezogen. Simon schließt aber neben dem Einfluss der Computertechnologien auch die Umwelt und Veränderung der Gesellschaft mit ein. Aber nicht aus tagespolitischer Sicht, sondern weitblickender. Etwa, dass man beim Bau eines Kraftwerks, das Lava aus dem Kern der Erde zum Heizen verwendet, einen Vulkanausbruch erzeugte, der ungeahnte Folgen hatte. Das hier beschriebene Reich schickt die Aschewolken auf das Gebiet eines Nachbarstaats. Das große, bevorstehende Unheil sieht die Autorin aber in einem Sonnensturm, der das gesamte Informatiksystem vernichten wird. Darauf bereitet sich einer der Proponenten des Buches, ein Wetterjournalist, vor. Er wird verfolgt und kommt letztlich ums Leben. Das diktatorische Regime lässt keine Gegenmeinung aufkommen. Alles wird durch Algorithmen entschieden. Letztlich braucht es auch keinen Führer mehr. Das System verwaltet sich selbst. Menschen werden künstlich manipuliert. Vor der Geburt bestimmen die Eltern, welche Qualifikationen ihr Kind haben soll. Dem entsprechend werden sie eingestuft und bekommen eine Rankingnummer zugeordnet. Die Überqualifizierten werden aber zunehmend zum Problem. Alle Menschen sind gechipt und so laufend im Netz bei all ihren Handlungen nachverfolgbar. Sandor Karol erinnert sich: „Ein kleiner Stent in der Hand. Jemand mit bunt gefärbter Haut und vielen Löchern in Nase und Ohren hatte ihn in seine Haut gestochen, zwischen Daumen und Zeigefinger. Das war sein Ausweis, das war ein bankaccount, seine Adresse, darin war alles verzeichnet, was er jemals virtuell getan oder gesagt hatte.“ (Seite 25) Das System hatte sogar Berechtigungen in den Hormonhaushalt und in sensorische Wahrnehmungen einzugreifen. „Alles war unter Kontrolle: die Träume, die Launen … und die Kontoeinstellungen.“ (Seite 37) Ähnlich wie Alexa von Amazon, bekam dieser Chip einen Namen und beantwortet alle Fragen des Besitzers. Politisch gab es aber nur ein Netz. „Alle Informationen von nur einem Anbieter zu bekommen, zu scrollen, war so, als bettelte man darum, von Propaganda gelenkt zu werden.“ (Seite 29) Selbst das Wahlrecht hatte man an den „Log“ abgegeben, weil sich die Jugendlichen nicht mehr für Politik interessierten. Auch eine Zeitmaschine war entwickelt und in einer Box in der Wohnung – ähnlich einer Saunakabine – konnte man die Zeit und deren Lauf dehnen. Selbst das Sterben soll wiederholbar sein. Also nicht ein verlängertes Leben, sondern ein mehrmaliges Wiederauferstehen. Körperteile können nachwachsen oder ausgetauscht werden, so wie Kata neue Augen bekam, um bei den Augenerkennungsgeräten als jemand anderer registriert zu werden. Es ging so weit, dass „der Log nicht fragte, ob er auf die Nervenenden des Mastdarms zugreifen konnte, um das passende Klopapier für einen zu bestellen.“ (Seite 248) Für alte Menschen, die unter normalen Umständen Dinge vergessen, gab es einen eigenen Speicher für die Vergangenheit, auf die das eigene Gehirn zugreifen konnte. Was nicht realisiert wurde, war ein Gen, dass alle Menschen zueinander nett waren. Deswegen kam es zu Kriegen, was wieder auf Pripyat und die Ukraine zurückführt. Eine Realität die heute existiert. Im Buch ist es ein Krieg der Wölfe, der Abtrünnigen. Die Handlung des Buches verläuft innerhalb einer Gruppe, die sich in einem Sommerlager befindet. Sie sollen hier zu „besseren“, folgsameren Menschen umerzogen werden. Sie durchschauen das System: „Wer in einer Diktatur lebt, bemerkt das oft nicht. Sie reden hier von Menschlichkeit, aber sie wollen uns zu Maschinen machen.“ (Seite 174) Die Gruppe bricht aus dem Lager aus. Sie suchen die „goldene Stadt“, wo es mehr Freiheit gibt. Eine abenteuerliche Reise stand bevor. Einer schneidet sich den Chip heraus, taucht in den Untergrund. Er lebt als Einsiedler und schneidet alle Sendemasten um, um auch virtuell isoliert zu sein. Aber man findet ihn. Die Mehrheit will ihn zum Führer machen. Er zeichnet eine Werberede auf: „Ich bin kein großes Licht, doch will ich in dieser Welt auch nicht im Dunkeln tappen. Vor den Toren unserer Wohnhäuser stehen Bewaffnete. Sie sollen den Frieden sichern, doch sind sie da, um uns einzuschüchtern. Unsere Gesetze garantieren uns Freiheit, doch wir wissen nicht mehr, was Freiheit bedeutet, da jene, die vorgeben, für Freiheit zu kämpfen, Einschränkungen wollen. Den Frieden zu sichern bedeutet, in Waffen zu stehen. … Wir haben die Freiheit unserer Gedanken aufgegeben. … Die Algorithmen kennen unsere Köpfe besser als wir selbst.“ (Seite 321) Als er sich schon als Sieger der Wahl sieht wird er verhaftet. Die Diktatur des Algorithmus erlaubt diesen Umbruch nicht. Alle Abtrünnigen werden gefunden, gestellt und verurteilt. Orwell hat sein Werk 40 Jahre vor dem Titel des Buches 1948 geschrieben. Wird die Welt der Wölfe von Pripyat 2062 so aussehen? Ich denke, wir sind schon nahe dran. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } SIMON, Cordula: „Die Wölfe von Pripyat“, Salzburg Wien 2022 Der im Titel des Buches verwendete Ort Pripyat war mir unbekannt. Erst durch das erste „Friedengespräch“ zwischen Russland und der Ukraine am 28. Februar 2022 erfuhr ich, dass es in der Ukraine nahe der Grenze zu Weißrussland liegt. Aber auch die Thematik erinnert in vielen Zügen an die „Eroberung“ durch die russischen Truppen. Die Autorin handelt das Thema wie George Orwell mit seinem Buch „1984“ ab. Man könnte es als Release 2.0 der Orwell Geschichte sehen. Vieles ist in Ansätzen schon realisiert und wir leben damit. Vieles ist sicher noch im Kommen und so gesehen ist es kein Science-Fiction Roman, sondern realitätsbezogen. Simon schließt aber neben dem Einfluss der Computertechnologien auch die Umwelt und Veränderung der Gesellschaft mit ein. Aber nicht aus tagespolitischer Sicht, sondern weitblickender. Etwa, dass man beim Bau eines Kraftwerks, das Lava aus dem Kern der Erde zum Heizen verwendet, einen Vulkanausbruch erzeugte, der ungeahnte Folgen hatte. Das hier beschriebene Reich schickt die Aschewolken auf das Gebiet eines Nachbarstaats. Das große, bevorstehende Unheil sieht die Autorin aber in einem Sonnensturm, der das gesamte Informatiksystem vernichten wird. Darauf bereitet sich einer der Proponenten des Buches, ein Wetterjournalist, vor. Er wird verfolgt und kommt letztlich ums Leben. Das diktatorische Regime lässt keine Gegenmeinung aufkommen. Alles wird durch Algorithmen entschieden. Letztlich braucht es auch keinen Führer mehr. Das System verwaltet sich selbst. Menschen werden künstlich manipuliert. Vor der Geburt bestimmen die Eltern, welche Qualifikationen ihr Kind haben soll. Dem entsprechend werden sie eingestuft und bekommen eine Rankingnummer zugeordnet. Die Überqualifizierten werden aber zunehmend zum Problem. Alle Menschen sind gechipt und so laufend im Netz bei all ihren Handlungen nachverfolgbar. Sandor Karol erinnert sich: „Ein kleiner Stent in der Hand. Jemand mit bunt gefärbter Haut und vielen Löchern in Nase und Ohren hatte ihn in seine Haut gestochen, zwischen Daumen und Zeigefinger. Das war sein Ausweis, das war ein bankaccount, seine Adresse, darin war alles verzeichnet, was er jemals virtuell getan oder gesagt hatte.“ (Seite 25) Das System hatte sogar Berechtigungen in den Hormonhaushalt und in sensorische Wahrnehmungen einzugreifen. „Alles war unter Kontrolle: die Träume, die Launen … und die Kontoeinstellungen.“ (Seite 37) Ähnlich wie Alexa von Amazon, bekam dieser Chip einen Namen und beantwortet alle Fragen des Besitzers. Politisch gab es aber nur ein Netz. „Alle Informationen von nur einem Anbieter zu bekommen, zu scrollen, war so, als bettelte man darum, von Propaganda gelenkt zu werden.“ (Seite 29) Selbst das Wahlrecht hatte man an den „Log“ abgegeben, weil sich die Jugendlichen nicht mehr für Politik interessierten. Auch eine Zeitmaschine war entwickelt und in einer Box in der Wohnung – ähnlich einer Saunakabine – konnte man die Zeit und deren Lauf dehnen. Selbst das Sterben soll wiederholbar sein. Also nicht ein verlängertes Leben, sondern ein mehrmaliges Wiederauferstehen. Körperteile können nachwachsen oder ausgetauscht werden, so wie Kata neue Augen bekam, um bei den Augenerkennungsgeräten als jemand anderer registriert zu werden. Es ging so weit, dass „der Log nicht fragte, ob er auf die Nervenenden des Mastdarms zugreifen konnte, um das passende Klopapier für einen zu bestellen.“ (Seite 248) Für alte Menschen, die unter normalen Umständen Dinge vergessen, gab es einen eigenen Speicher für die Vergangenheit, auf die das eigene Gehirn zugreifen konnte. Was nicht realisiert wurde, war ein Gen, dass alle Menschen zueinander nett waren. Deswegen kam es zu Kriegen, was wieder auf Pripyat und die Ukraine zurückführt. Eine Realität die heute existiert. Im Buch ist es ein Krieg der Wölfe, der Abtrünnigen. Die Handlung des Buches verläuft innerhalb einer Gruppe, die sich in einem Sommerlager befindet. Sie sollen hier zu „besseren“, folgsameren Menschen umerzogen werden. Sie durchschauen das System: „Wer in einer Diktatur lebt, bemerkt das oft nicht. Sie reden hier von Menschlichkeit, aber sie wollen uns zu Maschinen machen.“ (Seite 174) Die Gruppe bricht aus dem Lager aus. Sie suchen die „goldene Stadt“, wo es mehr Freiheit gibt. Eine abenteuerliche Reise stand bevor. Einer schneidet sich den Chip heraus, taucht in den Untergrund. Er lebt als Einsiedler und schneidet alle Sendemasten um, um auch virtuell isoliert zu sein. Aber man findet ihn. Die Mehrheit will ihn zum Führer machen. Er zeichnet eine Werberede auf: „Ich bin kein großes Licht, doch will ich in dieser Welt auch nicht im Dunkeln tappen. Vor den Toren unserer Wohnhäuser stehen Bewaffnete. Sie sollen den Frieden sichern, doch sind sie da, um uns einzuschüchtern. Unsere Gesetze garantieren uns Freiheit, doch wir wissen nicht mehr, was Freiheit bedeutet, da jene, die vorgeben, für Freiheit zu kämpfen, Einschränkungen wollen. Den Frieden zu sichern bedeutet, in Waffen zu stehen. … Wir haben die Freiheit unserer Gedanken aufgegeben. … Die Algorithmen kennen unsere Köpfe besser als wir selbst.“ (Seite 321) Als er sich schon als Sieger der Wahl sieht wird er verhaftet. Die Diktatur des Algorithmus erlaubt diesen Umbruch nicht. Alle Abtrünnigen werden gefunden, gestellt und verurteilt. Orwell hat sein Werk 40 Jahre vor dem Titel des Buches 1948 geschrieben. Wird die Welt der Wölfe von Pripyat 2062 so aussehen? Ich denke, wir sind schon nahe dran. |
BECKER, Zdenka Es ist schon fast halb zwölf Buch 2022. @book{BECKER2022, title = {Es ist schon fast halb zwölf}, author = {Zdenka BECKER}, year = {2022}, date = {2022-02-19}, abstract = {BECKER, Zdenka: „Es ist schon fast halb zwölf“, Wien 2022 Der siebente Roman von Zdenka Becker. Ich verfolge ihre literarische Arbeit von Anbeginn und bin immer wieder erstaunt wie uns eine Nicht-Muttersprachliche vorführt, wie sie sich großartig in deutscher Sprache ausdrückt. Ich begegne ihr daher mit mehr Respekt als anderen Schriftstellerinnen. So habe ich auch auf diesen neuen Roman schon gewartet. Sie hatte mir schon vor Längerem erzählt, dass sie daran arbeitet. Durch die derzeitige Corona Pandemie verzögert sich aber vieles und auch Lesungen werden nicht so bald möglich sein. Aber das Lesen kann uns auch dieser Virus nicht nehmen. „Es ist schon fast halb zwölf“ ist wieder eine Familiengeschichte. Sie handelt in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Erzählung stammt aus der Jetztzeit. Ein altes Ehepaar – Karl und Hilde – genießen ihren Lebensabend. Sie sind schon gebrechlich und der Mann dement. Geduldig muss sich die Ehefrau mit ihrem Mann abgeben, der sie oft nicht mehr erkennt. Ihre Kinder würden sie gerne in einem Altersheim sehen. Hilde will aber ihren Lebensabend im eigenen Haus verbringen. Ein junger Zivildiener hilft dabei. Hilde denkt nach, was aus all ihren Sachen einmal werden wird. Wahrscheinlich werden die Kinder alles wegwerfen denkt sie. Da kommt ihr eine Kiste mit Briefen und Fotos in den Sinn, die am Dachboden steht und lässt sich diese vom Zivildiener bringen. Sie liest in alten Briefen und Erinnerungen werden wach. Erinnerungen an den Beginn ihrer Liebschaft und Ehe. Der Mann hat die Vergangenheit vergessen und sie frischt sie mit Hilfe der Briefe auf. Zdenka Becker komponiert aus über 500 Briefen, die sie am Dachboden ihres Hauses gefunden hatte, und einer von ihr dazu erfundenen Geschichte einen Roman. Sie beschreibt das Leben eines jungen Paares, das während des Zweiten Weltkriegs gelebt hat. Damit liefert sie ein zeitgeschichtliches Dokument aus der Zeit der Kriegswirren. Die Hauptperson des Romans ist Hilde, weil ihr dementer Mann ja nicht mehr viel zu sagen hat. Als sie über den Briefen sitzt, merkt sie, dass sie es mit zwei Frauen zu tun hat: mit der jungen, die sie einmal war und der alten. Zwei Frauen, „die so unterschiedlich , so anders sind. Die junge, ängstliche und sich ständig anpassende Frau mit jungen, drallen Formen und verunsichertem Blick und die alte, von der Mühsal der Jahre gebückt, faltige Greisin, die, wäre da nicht die bewegte Vergangenheit, die auf ihren Schultern lastet, in sich ruhen und ihren Lebensabend genießen könnte.“ (Seite 83) Die Briefe sind das Skelett dieses Romans. Da sie aus einer wirklich stattgefundenen Korrespondenz stammen, sind sie Zeitzeugnisse. Posthum sollte daher das Briefe schreibende Ehepaar einen Literatur- oder Wissenschaftspreis bekommen. Auch trifft die Formulierung „Das Leben schreibt Geschichten, wie man sie nicht erfinden kann“ zu. Zdenka Becker fügt alles so zusammen, dass alle nach dem Zweiten Weltkrieg Geborenen hautnah erleben können, wie es den Menschen damals ergangen ist. Der in Österreich (Ostmark) arbeitslose Karl findet 1938 einen Job in einem Flugzeugmotorenwerk in Berlin. Er heiratet seine Hilde. Zuerst leben sie noch getrennt, aber Hilde zieht zu ihrem Mann nach Berlin. Dort leidet sie unter Heimweh. „Ich glaube, damals in Berlin habe ich begriffen, was ein Zuhause ausmacht. Das ist der Ort, an dem man mit der Erde verwurzelt ist, wo sich die Familie regelmäßig am Esstisch trifft, wo Geschichten erzählt werden und wo Umarmungen aus Zuneigung und Liebe erwachsen.“ (Seite 125) „Für die Berliner war ich eine aus der Ostmark, ein Landei, ein Dummerl, das nichts kennt und nichts weiß. Diese Zerrissenheit tat mir nicht gut, aber sosehr ich mich auch bemühte, eine von ihnen zu sein, war ich doch die ganze Zeit eine Außenseiterin.“ Sie siedelt wieder zurück nach Niederösterreich. Aber auch da fühlt sie sich fremd. Die Einheimischen glauben, sie komme aus der großen Stadt Berlin und begegnen ihr reserviert. In größeren Abständen besucht sie ihren Mann. Mit zunehmenden Kriegsgeschehnissen werden die Besuche weniger. Auch der ursprünglich überzeugte Nationalsozialist Karl merkt, dass die Vorgänge des Kriegs nicht in Ordnung sind. Um die Fabrik vor dem Bombardement der Alliierten zu schützen, wird sein Arbeitsplatz in ein ehemaliges Gipsbergwerk verlegt. Die Arbeit wird härter und ungesunder. Im Stollen ist es feucht und kalt. Die Arbeiter werden öfter krank. Briefe verbinden das Ehepaar, das inzwischen eine kleine Tochter hat. Er muss sich eingestehen, dass aus seinem Idol Hitler nicht das geworden war, was er sich erhoffte. „von den Berlinern, die frisch hier angekommen sind, hört man allerhand. Es sollen grausame Bilder zu sehen sein. Erfrorene Kinder, die die Flucht nicht überlebt haben, abgemagerte Erwachsene, amputierte Invaliden, Verwirrte. Überall Dreck und Gestank. Viele Züge sind auch für den allgemeinen Verkehr gesperrt und nur den Evakuierten und Flüchtlingen zugewiesen. Die Schnellzüge verkehren fast nicht mehr. Für die Strecke Wien-Berlin würde man mindestens drei bis vier Tage brauchen.“ (Seite 224) Aber auch die vielen Details, die sich das Ehepaar in ihren Briefen schreibt, zeigen dem heutigen Leser die damalige Lebenssituation. Nach Kriegsende kamen keine Briefe mehr. Hilde weiß nicht, was aus ihrem Karl geworden ist, bis er schließlich nach einem halben Jahr nach Hause kommt. Geistig ist er aber noch nicht zu Hause. In der Nacht wacht er auf. Erinnerungen an die Kriegszeit kommen hoch. Erlebnisse mit Sträflingen aus dem Konzentrationslager, die in seiner Fabrik arbeiten mussten. Als sein Sohn geboren wird, verschließt sich Karl und erzählt nichts mehr aus der Kriegszeit. Aber auch Hilde hat ein Geheimnis aus dieser Zeit. Ein Mitbewohner des Dorfs, der sich als Laienhistoriker betätigt und dessen Nichte mit ihrem Freund bringen sie zu einem Geständnis. Parallel zum Leben während der Kriegsjahre beschreibt die Autorin auch, wie es alten Menschen geht. Menschen, die nicht loslassen können und nicht akzeptieren wollen, dass sie noch allein leben können. Beides fließt in den 256 Seiten des Romans zusammen. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } BECKER, Zdenka: „Es ist schon fast halb zwölf“, Wien 2022 Der siebente Roman von Zdenka Becker. Ich verfolge ihre literarische Arbeit von Anbeginn und bin immer wieder erstaunt wie uns eine Nicht-Muttersprachliche vorführt, wie sie sich großartig in deutscher Sprache ausdrückt. Ich begegne ihr daher mit mehr Respekt als anderen Schriftstellerinnen. So habe ich auch auf diesen neuen Roman schon gewartet. Sie hatte mir schon vor Längerem erzählt, dass sie daran arbeitet. Durch die derzeitige Corona Pandemie verzögert sich aber vieles und auch Lesungen werden nicht so bald möglich sein. Aber das Lesen kann uns auch dieser Virus nicht nehmen. „Es ist schon fast halb zwölf“ ist wieder eine Familiengeschichte. Sie handelt in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Erzählung stammt aus der Jetztzeit. Ein altes Ehepaar – Karl und Hilde – genießen ihren Lebensabend. Sie sind schon gebrechlich und der Mann dement. Geduldig muss sich die Ehefrau mit ihrem Mann abgeben, der sie oft nicht mehr erkennt. Ihre Kinder würden sie gerne in einem Altersheim sehen. Hilde will aber ihren Lebensabend im eigenen Haus verbringen. Ein junger Zivildiener hilft dabei. Hilde denkt nach, was aus all ihren Sachen einmal werden wird. Wahrscheinlich werden die Kinder alles wegwerfen denkt sie. Da kommt ihr eine Kiste mit Briefen und Fotos in den Sinn, die am Dachboden steht und lässt sich diese vom Zivildiener bringen. Sie liest in alten Briefen und Erinnerungen werden wach. Erinnerungen an den Beginn ihrer Liebschaft und Ehe. Der Mann hat die Vergangenheit vergessen und sie frischt sie mit Hilfe der Briefe auf. Zdenka Becker komponiert aus über 500 Briefen, die sie am Dachboden ihres Hauses gefunden hatte, und einer von ihr dazu erfundenen Geschichte einen Roman. Sie beschreibt das Leben eines jungen Paares, das während des Zweiten Weltkriegs gelebt hat. Damit liefert sie ein zeitgeschichtliches Dokument aus der Zeit der Kriegswirren. Die Hauptperson des Romans ist Hilde, weil ihr dementer Mann ja nicht mehr viel zu sagen hat. Als sie über den Briefen sitzt, merkt sie, dass sie es mit zwei Frauen zu tun hat: mit der jungen, die sie einmal war und der alten. Zwei Frauen, „die so unterschiedlich , so anders sind. Die junge, ängstliche und sich ständig anpassende Frau mit jungen, drallen Formen und verunsichertem Blick und die alte, von der Mühsal der Jahre gebückt, faltige Greisin, die, wäre da nicht die bewegte Vergangenheit, die auf ihren Schultern lastet, in sich ruhen und ihren Lebensabend genießen könnte.“ (Seite 83) Die Briefe sind das Skelett dieses Romans. Da sie aus einer wirklich stattgefundenen Korrespondenz stammen, sind sie Zeitzeugnisse. Posthum sollte daher das Briefe schreibende Ehepaar einen Literatur- oder Wissenschaftspreis bekommen. Auch trifft die Formulierung „Das Leben schreibt Geschichten, wie man sie nicht erfinden kann“ zu. Zdenka Becker fügt alles so zusammen, dass alle nach dem Zweiten Weltkrieg Geborenen hautnah erleben können, wie es den Menschen damals ergangen ist. Der in Österreich (Ostmark) arbeitslose Karl findet 1938 einen Job in einem Flugzeugmotorenwerk in Berlin. Er heiratet seine Hilde. Zuerst leben sie noch getrennt, aber Hilde zieht zu ihrem Mann nach Berlin. Dort leidet sie unter Heimweh. „Ich glaube, damals in Berlin habe ich begriffen, was ein Zuhause ausmacht. Das ist der Ort, an dem man mit der Erde verwurzelt ist, wo sich die Familie regelmäßig am Esstisch trifft, wo Geschichten erzählt werden und wo Umarmungen aus Zuneigung und Liebe erwachsen.“ (Seite 125) „Für die Berliner war ich eine aus der Ostmark, ein Landei, ein Dummerl, das nichts kennt und nichts weiß. Diese Zerrissenheit tat mir nicht gut, aber sosehr ich mich auch bemühte, eine von ihnen zu sein, war ich doch die ganze Zeit eine Außenseiterin.“ Sie siedelt wieder zurück nach Niederösterreich. Aber auch da fühlt sie sich fremd. Die Einheimischen glauben, sie komme aus der großen Stadt Berlin und begegnen ihr reserviert. In größeren Abständen besucht sie ihren Mann. Mit zunehmenden Kriegsgeschehnissen werden die Besuche weniger. Auch der ursprünglich überzeugte Nationalsozialist Karl merkt, dass die Vorgänge des Kriegs nicht in Ordnung sind. Um die Fabrik vor dem Bombardement der Alliierten zu schützen, wird sein Arbeitsplatz in ein ehemaliges Gipsbergwerk verlegt. Die Arbeit wird härter und ungesunder. Im Stollen ist es feucht und kalt. Die Arbeiter werden öfter krank. Briefe verbinden das Ehepaar, das inzwischen eine kleine Tochter hat. Er muss sich eingestehen, dass aus seinem Idol Hitler nicht das geworden war, was er sich erhoffte. „von den Berlinern, die frisch hier angekommen sind, hört man allerhand. Es sollen grausame Bilder zu sehen sein. Erfrorene Kinder, die die Flucht nicht überlebt haben, abgemagerte Erwachsene, amputierte Invaliden, Verwirrte. Überall Dreck und Gestank. Viele Züge sind auch für den allgemeinen Verkehr gesperrt und nur den Evakuierten und Flüchtlingen zugewiesen. Die Schnellzüge verkehren fast nicht mehr. Für die Strecke Wien-Berlin würde man mindestens drei bis vier Tage brauchen.“ (Seite 224) Aber auch die vielen Details, die sich das Ehepaar in ihren Briefen schreibt, zeigen dem heutigen Leser die damalige Lebenssituation. Nach Kriegsende kamen keine Briefe mehr. Hilde weiß nicht, was aus ihrem Karl geworden ist, bis er schließlich nach einem halben Jahr nach Hause kommt. Geistig ist er aber noch nicht zu Hause. In der Nacht wacht er auf. Erinnerungen an die Kriegszeit kommen hoch. Erlebnisse mit Sträflingen aus dem Konzentrationslager, die in seiner Fabrik arbeiten mussten. Als sein Sohn geboren wird, verschließt sich Karl und erzählt nichts mehr aus der Kriegszeit. Aber auch Hilde hat ein Geheimnis aus dieser Zeit. Ein Mitbewohner des Dorfs, der sich als Laienhistoriker betätigt und dessen Nichte mit ihrem Freund bringen sie zu einem Geständnis. Parallel zum Leben während der Kriegsjahre beschreibt die Autorin auch, wie es alten Menschen geht. Menschen, die nicht loslassen können und nicht akzeptieren wollen, dass sie noch allein leben können. Beides fließt in den 256 Seiten des Romans zusammen. |
Fatland, Erika SOWJETISTAN – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan Buch 2022. @book{Fatland2022, title = {SOWJETISTAN – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan}, author = {Erika Fatland}, year = {2022}, date = {2022-02-13}, abstract = {FATLAND, Erika: „SOWJETISTAN – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan“, Berlin 2020 VORAB: Diese Rezension ist im Vergleich zu meinen bisherigen Buchbesprechungen sehr lang geworden. Das hat zwei Gründe: Erstens sind es eigentlich fünf Bücher in einem Buch. Fünf postsowjetische Staaten sind beschrieben und jedes enthält so viel Informationen wie ein ganzes Buch. Ich habe daher jedem Land eine ausführliche Beschreibung gewidmet. Zweitens habe ich einen starken persönlichen Bezug zu diesen Ländern. Unmittelbar nach der politischen Wende und der Abwendung von der Sowjetunion habe ich in all diesen Ländern eine Firma gegründet. Es war spannend zu lesen, was sich in diesen vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Sie als Leser können aber beruhigt sein: ich zeige nur die Vielfalt des Buchinhalts auf. Vieles ist unbesprochen geblieben und wirklich lesenswert. Die Norwegerin Erika Fatland ist nicht nur eine ausgezeichnete Reiseberichterstatterin, sie erzählt in diesem Buch auch die jüngste Geschichte dieser ehemaligen Sowjetrepubliken. Der durchschnittliche Bürger des Westens weiß eigentlich Nichts über die Situation in diesen Ländern. Fatland liefert ein Geschichtsbuch der letzten Jahrzehnte. „Sowjetistan“ besteht aus fünf großen Kapiteln, die jedes eines der Länder beschreibt. Jedes Kapitel könnte ein eigenes Buch sein, weshalb ich auch jeden Abschnitt, jedes Land hier beschreiben möchte. Turkmenistan Ihre Reise begann sie in Turkmenistan. Die Einreise war sehr bürokratisch. Das Land hat die härtesten Einreisebestimmungen der Welt. Nur Länder wie Venezuela, die Türkei , Kuba oder die Mongolei brauchen kein Visum. Drei Wochen fuhr sie durchs Land. Meist wurde sie von Mitarbeitern staatlicher Reisebüros begleitet. Es ist ein Bericht über ein Land mit einem Diktator, der alles bestimmt. Ein Land, das eigentlich wegen seiner Öl- und Gasvorkommen reich sein müsste. In der Hauptstadt Aschgabat sind die Häuser des Zentrums fast ausschließlich mit weißem Marmor verkleidet. Damit soll Reichtum demonstriert werden. Davon spüren aber die meisten Einwohner nichts. Lediglich Brot, ist kostenlos. Dafür sind sie ihrem Herrscher dankbar. Wann immer sie den Präsidenten ansprechen, fügen sie den Satz „unser guter Präsident“ hinzu. Übrigens, auch Benzin ist (fast) kostenlos. Der erste Präsident – Turkmenbaschi - war in der UdSSR Parteisekretär dieser Sowjetrepublik. Er ließ eine Volksabstimmung für die Unabhängigkeit des Landes durchführen und setzte sich selbst als dessen Führer und obersten Chef ein. Er schrieb die Geschichte des Landes neu. Die meisten Bücher wurden verboten, aber „sein“ Buch mussten alle Schüler lesen, ja sogar bei der Führerscheinprüfung wurde dessen Inhalt abgeprüft. Er ordnete unverständliche Dinge an: in der Hauptstadt durfte es keine Hunde geben, Oper und Zirkus wurde verboten. Alle Bibliotheken am Land wurden geschlossen. Als der Herrscher 2006 starb, wurde sein Stellvertreter Berdimuhamedow zum Nachfolger und hob viele dieser Verordnungen wieder auf, um seine eigenen Ideen durchzusetzen. Ließ Turkmenbaschi im ganzen Land vergoldete Statuen von sich aufstellen, so stellte der neue Präsident sein Konterfei in weißem Marmor gegenüber. Am Land erlebte Fatland die Armut der Bevölkerung, aber auch die Freundlichkeit: „Gleichzeitig wurde ich hier, bei diesen armen Menschen, die nicht mehr besitzen als ein paar Kochtöpfe, ein Paar Kamele und eine Herde Ziegen, am herzlichsten empfangen.“ (Seite 71) Als sie nach drei Wochen das Land in Richtung Kasachstan mit ihren Eindrücken verließ nannte sie es „Absurtistan“. Kasachstan Kasachstan ist das größte Land der „Sowjetistan-Staaten“. Von der turkmenischen Grenzstadt weg fuhr die Autorin mit dem Zug nach Aral und Almaty. Bei Zugreisen kam sie mit einfachen Leuten ins Gespräch. Interessante Informationen auch für den Leser. Daneben wird auch das jeweilige Land allgemein vorgestellt. Etwa, dass Kasachstan mit 2,9 Millionen Quadratkilometern Größe das neuntgrößte Land der Welt und größer als Westeuropa ist. Es hat keinen Meerzugang und besteht zu drei Viertel aus Wüste; also unfruchtbar. Bei 17 Millionen Einwohnern leben nur sechs Menschen auf einem Quadratkilometer. Auch die jüngere Geschichte wird ausgeleuchtet. Bei einer Hungersnot in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts starben 25 Prozent der ethnischen Bevölkerung. Positiv ist, dass der Aralsee, der in den 1960er Jahren zu verschwinden drohte, weil die Baumwollpflanzungen so viel Wasser brauchten sich wieder zu füllen beginnt. Der Hafen in Aral liegt aber noch im Trockenen. Nach Aral und Almaty besucht Frau Fatland die Hauptstadt Astana (Astana heißt übersetzt „Hauptstadt“). Sie wurde von ihrem Präsidenten Nasarbajew als Prestigeprojekt von Almaty verlegt. Internationale Architekten konnten sich hier verwirklichen. Bis 2030 werden noch jedes Jahr acht Prozent des Staatsbudgets für die Hauptstadt ausgegeben. Mit einem kleinen Flugzeug kommt die Autorin nach Semipalatinsk, wo die Sowjetunion in der weiten Steppe ihre atomaren Probeexplosionen durchgeführt hat. Heute leben nur mehr wenige Menschen hier und ein Großteil von ihnen ist von den Atomversuchen erkrankt oder gestorben. Kinder kommen mit sechs Fingern zur Welt und viele leiden an verschiedenen Krebskrankheiten. Es wird erzählt, wie sich der Entwickler der Wasserstoffbombe Sacharow zum Friedenstifter und Staatsfeind entwickelte und wie nach Zerfall der UdSSR die vielen atomaren Anlagen durch Hilfe der Amerikaner entsorgt wurden. Hier gab es eines der größten Gefangenenlager. Einer der Sträflinge war der Schriftsteller Dostojewski und das Buch erzählt von seiner Liebesaffäre. Kasachstan ist auch die Geburtsstätte des Apfels. Es wird erzählt, wie er von einem Forscher aus Sankt Petersburg gefunden wurde, aber auch, wie sich die Autorin einen Apfel am Gemüsemarkt kauft und genießt. In vielen Interviews wurden Menschengeschichten eingefangen. So etwa die eines Aktivisten oder einer Schamanin oder Hexe. Man kann zusammenfassend sagen: „Kasachstan in Zahlen, Fakten, persönlichen Eindrücken und durch Menschenbilder.“ Tadschikistan Tadschikistan ist das ärmste Land unter den ehemaligen Sowjetstaaten. Die meisten Einwohner verdienen weniger als 80 Dollar im Monat und ein Drittel ist unterernährt. Es gibt keine Öl- oder Gasvorkommen, wie in den Nachbarstaaten. Neunzig Prozent des Landes besteht aus Bergen und nur sieben Prozent sind landwirtschaftlich genutzt. Im Gebirge kann es im Winter über 50 Grad minus bekommen. Tadschikistan ist dem Persischen sehr ähnlich. Obwohl Tadschikisch in kyrillischen Buchstaben geschrieben wird und Persisch in arabischen, haben sie vieles gemeinsam. Bevor das Land eine sowjetische Republik wurde, hatte die heutige Hauptstadt Duschambe nur 3.000 Einwohner. Heute wohnen hier 700.000 Menschen. Trotz Armut will die Hauptstadt, wie ihre Nachbarn, protzen. Ein pompöser Präsidentenpalast und lange Zeit der höchste Fahnenmast sind nur zwei dieser Faktoren. Präsident Rahmons studierte, wie sein Kollege Nasarbajew aus Kasachstan, Wirtschaftswissenschaften. Aus einfachen Verhältnissen kommend machte er Karriere und wurde oberster Repräsentant der Sowjetrepublik und späterer Präsident. Die Autorin besuchte wieder entlegene Gebiete, in den noch die letzten Ureinwohner, die Jaghnoben wohnen. Als die UdSSR Baumwollplantagen aufzogen, wurden die Bergbewohner in die Ebenen deportiert, um dort zu arbeiten. Die Gegend war ohne Straßenverbindung völlig isoliert. Die Deportierten wurden mit Hubschraubern ausgeflogen. Viele kamen immer wieder zurück, aber viele blieben im klimatisch besseren Gebiet, vermischten sich mit einheimischen Tadschiken. Verschiedene Menschenschicksale kann man im Buch nachlesen. Bei Beerdigungen und Hochzeiten hatte Fatland Kontakt mit der Bevölkerung und schrieb das Erzählte nieder. Ein Mann sagte zu ihr „Hier im Tal leben wir wie im 19. Jahrhundert. Es ist ein hartes Leben, aber wir sind glücklich.“ (Seite 273) Um überleben zu können gehen viele Männer ins Ausland zum Geldverdienen. Die meisten nach Russland. Ihre Frauen bleiben bei den Kindern im Dorf. Einmal im Jahr kommen die Männer heim, schwängern die Frau und oft heiraten sie dann in der Fremde eine andere Frau. Aber sie schicken Geld nach Hause. Die Hälfte des Bruttonationalprodukts besteht aus diesen Überweisungen. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wüteten Bürgerkriege und viele flüchteten. Die Gesellschaft ist von Klans dominiert. Diese Zusammengehörigkeit ließ nach dem Krieg viele wieder zurückkommen. Erika Fatland ist eine Abenteuerin. Nur so ist es möglich, so ein Buch zu schreiben. Wenn sie etwa mit einem Hubschrauber in das Pamirgebirge fliegt. Die Passagiere sitzen auf Bänken. Der Kapitän allein im Cockpit. Der Copilot hatte dort keinen Platz mehr und musste bei den Passagieren sitzen. Die Tür zum Cockpit stand offen, damit die beiden miteinander kommunizieren konnten. Auf der drei- bis fünftausend Meter hohen Pamir Ebene zeigt sich die Wichtigkeit von Grenzen. Lange wurde hier gekämpft. Die beiden Großmächte Russland und das britische Empire standen sich gegenüber und eroberten diese zentralasiatischen Gebiete für sich. Man einigte sich auf Grenzen, die aber immer wieder vom Gegner überschritten wurden. Grenzen wurden auch willkürlich gezogen und sind heute noch ein Problem. Bis in die Jetztzeit wird um Gebiete um Afghanistan gekämpft. Obwohl Tadschikistan ein selbstständiger Staat war, waren russische Soldaten bis 2005 noch in Tadschikistan stationiert, um die Grenzen unter Beobachtung zu haben. Kirgisistan „Kirgisistan ist das freieste und demokratischste Land Zentralasiens, die Presse ist die freieste in der Region und auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Freiheiten landet das arme kleine Bergland unter den hundert fortschrittlichsten Ländern der Welt.“ (Seite 337) Bischkek ist die Hauptstadt und nach dem Bericht in diesem Buch die „grünste“ Stadt Zentralasiens. Es ist das einzige Land der Sowjetistan-Länder, die keinen neuen und protzigen Präsidentenpalast besitzen. Der Präsident residiert im Weißen Haus, das noch aus der Sowjetunions-Zeit stammt. Präsidenten haben sich nicht lange gehalten. Demokratische Bestrebungen haben sie bei Fehlverhalten vertrieben und durch neu gewählte ersetzt. Die alten fanden Asyl in Weißrussland oder Russland. Es ist das ärmste Land der Region. In der Zeit der UdSSR gab Moskau finanzielle Unterstützung. Drei Viertel des Staatshaushalts kam von dort. Heute lebt ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Damit nicht alles zum Stillstand kommt arbeiten vor allem junge Männer im Ausland und schicken Geld nach Hause. Die meisten von ihnen finden in Russland einen Job; allerdings zu sehr schlechten Bedingungen. Sie wohnen zu Dutzenden in einem gemieteten Zimmer. Durch die Armut im Land und unter den Fremdarbeitern ist wieder Tuberkulose ausgebrochen, die zu bekämpfen schwierig ist. Man schätzt, dass zehn Prozent von dieser Krankheit betroffen sind. So wie arbeitsfähige Männer ins Ausland abwandern, verlassen auch viele Ärzte das Land. Sie verdienen im Ausland mehr und zu Hause bricht das Gesundheitswesen zusammen. Soweit zu den Fakten. Fatland schreibt auch über persönliche Erfahrungen. So etwa sprach sie mit Frauen, die entführt und Zwangsverheiratet wurden. Brautraub ist immer noch üblich. Auch eine russische Frau, mit der die Autorin sprach, blieb davon nicht verschont. Nach einer Studie sind etwa ein Drittel aller geschlossenen Ehen nicht freiwillig, sondern durch Brautraub entstanden. Am Land sind es oft mehr als 50 Prozent. Sie machte auch Bekanntschaft mit Adlermännern, die die Kunst des Jagens mit einem Greifvogel aufrechterhalten. „Unsere Vorfahren hatten keine Waffen und nützten die Vögel zur Jagd“ (Seite 364) Kirgisen waren Nomaden. Unter Stalin wurden sie „umerzogen“, um sesshaft zu werden. Heute sind nur mehr zehn Prozent der Einwohner Nomaden. Stalin war es, der viele Menschen während des Zweiten Weltkriegs nach Zentralasien übersiedelte. So kamen 230.000 Krim-Tataren, 17.000 Koreaner aus Wladiwostok, 19.000 Aserbaidschaner aus dem Kaukasus und 8.500 Deutsche aus dem Wolga-Gebiet. Letztlich lebte eine Million Deutscher in der Region. 1989 wurde ihre Auswanderung zugelassen und die Zahl verkleinerte sich. Erika Fatland reiste – trotz Warnung – in so ein Dorf, das sich „Rot-Front“ nennt. Zwar konnte sie mit einem deutschen Mann reden, als sie dann einen Gottesdienst besuchte und der Gemeindevorstand gegen ausländische Journalisten predigte musste sie das Dorf verlassen. Die Russen hatten willkürliche Grenzen gezogen und Stämme und Völker teilweise getrennt. Dies führt bis heute zu Konflikten. In Kirgisistan leben viele Usbeken. In den 1990er Jahren und im Juni 2010 kam es zu blutigen Ausschreitungen. 2010 kamen über 400 Menschen ums Leben, 2.000 wurden verletzt und mehrere hunderttausend flüchteten nach Usbekistan und in Grenzregionen. Usbekistan Beim Grenzübertritt nach Usbekistan hatte sie Glück, dass sie während der Baumwollerntezeit reiste. In dieser Zeit werden die Grenzen für die Einheimischen gesperrt, denn alle werden für die Baumwollernte gebraucht. „Jedes Jahr werden Hunderttausende Ärzte, Lehrer, Krankenschwestern, Beamte und andere öffentliche Angestellte sowie Studenten des Landes einberufen, um Baumwolle zu pflücken - eine alte Tradition aus der Sowjetzeit, die noch immer praktiziert wird.“ (Seite 398) Damit sich die Bewohner vor dieser Arbeit nicht ins Ausland flüchten können, wird die Grenze für sie gesperrt. Für Erika Fatland wurde es so ein schneller Grenzübertritt. So wie in all diesen STAN-Ländern ist der russische Vergangenheitseinfluss nicht zu übersehen. Zwar haben nach der Verselbstständigung Usbekistans die Hälfte der russischen Einwohner das Land verlassen, aber eine Million ist geblieben und die Abhängigkeit von Russland ist geblieben. Das religiöse Leben blühte wieder auf. Wie in den Nachbarländern wird das Land von einem Diktator nach sowjetischem Muster regiert. Karimow, der Präsident der ersten Stunde, war ein Alleinregent, dessen Familienmitglieder sich bereicherten. Unruhen im Jahr 2005 bescherten viele Tote, aber der Aufstand wurde niedergeschlagen. Sehr detailliert wird im Kapitel „Der Stoff, aus dem Träume sind“ die Produktion von Seide beschrieben. An der Grenze zu Turkmenistan liegt die kleine Stadt Nukus. Sie ist die wichtigste Stadt der Region Karakalpakstan, die etwa ein Drittel der Fläche Usbekistans besitzt, aber nur 1,7 Millionen Einwohner hat. Nur mehr ein Viertel sind Einheimische, aber auch die werden jedes Jahr weniger. Es herrscht ungastliches Klima. Im Sommer hat es oft mehr als 50 Grad und im Winter Kälte. In dieser entlegenen Gegend hatten die Sowjets ihre biologischen Waffen getestet. In den 1960er Jahren waren etwa 50.000 Menschen an diesen geheimen Versuchen beteiligt. Bedingt durch die Militäranlagen war es Sperrgebiet für Ausländer und Außenstehende. In dieser Stadt gründete der Ukrainer Igor Sawitzki, der selbst Maler war, ein Museum. Er war ein Sammler und trug Handarbeiten, Schmuck und Stickereien der Einheimischen zusammen. Aber das Besondere sind die tausenden expressionistischen Bilder, die er gesammelt hat. Bilder, die in der naturalistischen, kommunistischen Kunstauffassung nicht erlaubt waren. In der zentralasiatisch entlegenen Kleinstadt war die Moskauer Kontrolle weit weg. Heute hat dieses Museum einen internationalen Stellenwert. Fatland besuchte dieses außergewöhnliche Museum. Ein Kapitel widmet sie auch der Baumwollproduktion, demzufolge der Aralsee zum Großteil ausgetrocknet ist, weil man das Wasser für die Baumwollplantagen brauchte. Neunzig Prozent des Sees sind in den letzten fünfzig Jahren verschwunden. Baumwolle wurde in Usbekistan schon seit 2000 Jahren angebaut, aber in bescheidenem Umfang. Die russischen Machthaber erhöhten dies, wodurch andere landwirtschaftliche Produkte wie Milch, Getreide, Obst und Gemüse zurückgedrängt wurden. Usbekistan musste diese, früher selbst produzierten Waren importieren. Das Land verarmte noch mehr. Die meisten Bauernhöfe gehören heute dem Staat und so bestimmt der usbekische Staat was angebaut wird und wie die Preise zu gestalten sind. Baumwolle ist weiterhin die Basis der usbekischen Wirtschaft. Neben der Hauptstadt sind Buchara und Samarkand wichtige Städte. Ursprünglich war hier ein Zentrum der Wissenschaften, wo unter anderem der Mathematiker Abu Dscha´far Muhammad ibn Musa al-Chwarizimi schon im 7. Jahrhundert als Vater der Algebra angesehen wurde. Der Algorithmus war Teil seiner Forschungen und Publikationen. Ein anderer löste das Problem, wenn man auf ein Schachbrett ein Weizenkorn legt und auf das nächste die doppelte Menge und sofort, bis letztlich am letzten Schachbrettfeld über 18 Trillionen liegen müssten. Das intellektuelle Leben in Zentralasien war vor eintausend Jahren hochstehend. Als die Araber die Region eroberten, verfiel all dieses Wissen. Bibliotheken wurden verbrannt und Wissen ausgelöscht. Auch Andersgläubige wurden verfolgt und allein in Usbekistan tausende Christen ermordet. Mit der transkaspischen Eisenbahn, die auf usbekischem Gebiet mit Hochgeschwindigkeitszügen fährt, kam die Autorin in die Hauptstadt Taschkent. Von der ursprünglichen Stadt ist durch ein Erdbeben im Jahr 1966 nichts übriggeblieben. Die UdSSR errichtete eine sowjetische Musterstadt. Da aber Usbekistan auch große Gas- und Erdölvorkommen hat, konnte eine moderne Stadt aufgebaut werden. Wie in den Nachbarstaaten herrscht ein Diktator. Interviewpartner waren nur schwer zu finden. Man hatte Angst. Aber bei Taxifahrten wurden die Menschen gesprächig und lieferten Eindrücke für den Leser des vorliegenden Buchs. Ausführlich widmet sie sich dem Klan des usbekischen Präsidenten. Einer der Taxifahrer brachte es auf den Punkt: „Die Sowjetgeneration ist, wie sie ist. Sie macht alles auf die gleiche, alte Art und Weise. Ich setzte meine Hoffnung auf die jetzt aufwachsende Generation. Viele von ihnen sind gereist und haben die Welt gesehen. Nur sie können etwas Neues schaffen.“ (Seite 495) Wie sieht die Zukunft der Region aus? In einem Nachwort aus dem Jahr 2014 versucht es Fatland zu definieren: Die Russen eroberten im 19. Jahrhundert diese zentralasiatischen Gebiete, konnten sie aber nur schwer abgrenzen. Sie nannten die Region „Turkestan“, weil die meisten Völker türkischstämmig waren. Die fünf postsowjetischen Republiken existierten bis 1991 nicht als Nationen. „Bis heute unterhalten die Stans sowohl wirtschaftlich wie politisch enge Bande zu Russland als miteinander.“ (Seite 386) Viele Gesprächspartner trauern immer noch der Sowjetunion nach. Sowie es Boris, einer ihrer Führer ausdrückte: „Alles war besser in der Sowjetunion. Speiseöl war billig, das Brot kostete nichts und ein Flugticket nach Moskau war auch nicht besonders teuer. Wir bekamen genügend Lohn für eine ganze Familie. Jetzt reicht das Geld nie, und viele von uns sind krank.“ (Seite 449) Das Buch erschien 2014. Vom Ende der Sowjetunion weg war viel passiert. Inzwischen sind weitere Jahre ins Land gegangen. Wie sieht es heute dort aus? Das Interesse ist geweckt. Frau Fatland: was wäre mit einer Fortsetzung? }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } FATLAND, Erika: „SOWJETISTAN – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan“, Berlin 2020 VORAB: Diese Rezension ist im Vergleich zu meinen bisherigen Buchbesprechungen sehr lang geworden. Das hat zwei Gründe: Erstens sind es eigentlich fünf Bücher in einem Buch. Fünf postsowjetische Staaten sind beschrieben und jedes enthält so viel Informationen wie ein ganzes Buch. Ich habe daher jedem Land eine ausführliche Beschreibung gewidmet. Zweitens habe ich einen starken persönlichen Bezug zu diesen Ländern. Unmittelbar nach der politischen Wende und der Abwendung von der Sowjetunion habe ich in all diesen Ländern eine Firma gegründet. Es war spannend zu lesen, was sich in diesen vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Sie als Leser können aber beruhigt sein: ich zeige nur die Vielfalt des Buchinhalts auf. Vieles ist unbesprochen geblieben und wirklich lesenswert. Die Norwegerin Erika Fatland ist nicht nur eine ausgezeichnete Reiseberichterstatterin, sie erzählt in diesem Buch auch die jüngste Geschichte dieser ehemaligen Sowjetrepubliken. Der durchschnittliche Bürger des Westens weiß eigentlich Nichts über die Situation in diesen Ländern. Fatland liefert ein Geschichtsbuch der letzten Jahrzehnte. „Sowjetistan“ besteht aus fünf großen Kapiteln, die jedes eines der Länder beschreibt. Jedes Kapitel könnte ein eigenes Buch sein, weshalb ich auch jeden Abschnitt, jedes Land hier beschreiben möchte. Turkmenistan Ihre Reise begann sie in Turkmenistan. Die Einreise war sehr bürokratisch. Das Land hat die härtesten Einreisebestimmungen der Welt. Nur Länder wie Venezuela, die Türkei , Kuba oder die Mongolei brauchen kein Visum. Drei Wochen fuhr sie durchs Land. Meist wurde sie von Mitarbeitern staatlicher Reisebüros begleitet. Es ist ein Bericht über ein Land mit einem Diktator, der alles bestimmt. Ein Land, das eigentlich wegen seiner Öl- und Gasvorkommen reich sein müsste. In der Hauptstadt Aschgabat sind die Häuser des Zentrums fast ausschließlich mit weißem Marmor verkleidet. Damit soll Reichtum demonstriert werden. Davon spüren aber die meisten Einwohner nichts. Lediglich Brot, ist kostenlos. Dafür sind sie ihrem Herrscher dankbar. Wann immer sie den Präsidenten ansprechen, fügen sie den Satz „unser guter Präsident“ hinzu. Übrigens, auch Benzin ist (fast) kostenlos. Der erste Präsident – Turkmenbaschi - war in der UdSSR Parteisekretär dieser Sowjetrepublik. Er ließ eine Volksabstimmung für die Unabhängigkeit des Landes durchführen und setzte sich selbst als dessen Führer und obersten Chef ein. Er schrieb die Geschichte des Landes neu. Die meisten Bücher wurden verboten, aber „sein“ Buch mussten alle Schüler lesen, ja sogar bei der Führerscheinprüfung wurde dessen Inhalt abgeprüft. Er ordnete unverständliche Dinge an: in der Hauptstadt durfte es keine Hunde geben, Oper und Zirkus wurde verboten. Alle Bibliotheken am Land wurden geschlossen. Als der Herrscher 2006 starb, wurde sein Stellvertreter Berdimuhamedow zum Nachfolger und hob viele dieser Verordnungen wieder auf, um seine eigenen Ideen durchzusetzen. Ließ Turkmenbaschi im ganzen Land vergoldete Statuen von sich aufstellen, so stellte der neue Präsident sein Konterfei in weißem Marmor gegenüber. Am Land erlebte Fatland die Armut der Bevölkerung, aber auch die Freundlichkeit: „Gleichzeitig wurde ich hier, bei diesen armen Menschen, die nicht mehr besitzen als ein paar Kochtöpfe, ein Paar Kamele und eine Herde Ziegen, am herzlichsten empfangen.“ (Seite 71) Als sie nach drei Wochen das Land in Richtung Kasachstan mit ihren Eindrücken verließ nannte sie es „Absurtistan“. Kasachstan Kasachstan ist das größte Land der „Sowjetistan-Staaten“. Von der turkmenischen Grenzstadt weg fuhr die Autorin mit dem Zug nach Aral und Almaty. Bei Zugreisen kam sie mit einfachen Leuten ins Gespräch. Interessante Informationen auch für den Leser. Daneben wird auch das jeweilige Land allgemein vorgestellt. Etwa, dass Kasachstan mit 2,9 Millionen Quadratkilometern Größe das neuntgrößte Land der Welt und größer als Westeuropa ist. Es hat keinen Meerzugang und besteht zu drei Viertel aus Wüste; also unfruchtbar. Bei 17 Millionen Einwohnern leben nur sechs Menschen auf einem Quadratkilometer. Auch die jüngere Geschichte wird ausgeleuchtet. Bei einer Hungersnot in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts starben 25 Prozent der ethnischen Bevölkerung. Positiv ist, dass der Aralsee, der in den 1960er Jahren zu verschwinden drohte, weil die Baumwollpflanzungen so viel Wasser brauchten sich wieder zu füllen beginnt. Der Hafen in Aral liegt aber noch im Trockenen. Nach Aral und Almaty besucht Frau Fatland die Hauptstadt Astana (Astana heißt übersetzt „Hauptstadt“). Sie wurde von ihrem Präsidenten Nasarbajew als Prestigeprojekt von Almaty verlegt. Internationale Architekten konnten sich hier verwirklichen. Bis 2030 werden noch jedes Jahr acht Prozent des Staatsbudgets für die Hauptstadt ausgegeben. Mit einem kleinen Flugzeug kommt die Autorin nach Semipalatinsk, wo die Sowjetunion in der weiten Steppe ihre atomaren Probeexplosionen durchgeführt hat. Heute leben nur mehr wenige Menschen hier und ein Großteil von ihnen ist von den Atomversuchen erkrankt oder gestorben. Kinder kommen mit sechs Fingern zur Welt und viele leiden an verschiedenen Krebskrankheiten. Es wird erzählt, wie sich der Entwickler der Wasserstoffbombe Sacharow zum Friedenstifter und Staatsfeind entwickelte und wie nach Zerfall der UdSSR die vielen atomaren Anlagen durch Hilfe der Amerikaner entsorgt wurden. Hier gab es eines der größten Gefangenenlager. Einer der Sträflinge war der Schriftsteller Dostojewski und das Buch erzählt von seiner Liebesaffäre. Kasachstan ist auch die Geburtsstätte des Apfels. Es wird erzählt, wie er von einem Forscher aus Sankt Petersburg gefunden wurde, aber auch, wie sich die Autorin einen Apfel am Gemüsemarkt kauft und genießt. In vielen Interviews wurden Menschengeschichten eingefangen. So etwa die eines Aktivisten oder einer Schamanin oder Hexe. Man kann zusammenfassend sagen: „Kasachstan in Zahlen, Fakten, persönlichen Eindrücken und durch Menschenbilder.“ Tadschikistan Tadschikistan ist das ärmste Land unter den ehemaligen Sowjetstaaten. Die meisten Einwohner verdienen weniger als 80 Dollar im Monat und ein Drittel ist unterernährt. Es gibt keine Öl- oder Gasvorkommen, wie in den Nachbarstaaten. Neunzig Prozent des Landes besteht aus Bergen und nur sieben Prozent sind landwirtschaftlich genutzt. Im Gebirge kann es im Winter über 50 Grad minus bekommen. Tadschikistan ist dem Persischen sehr ähnlich. Obwohl Tadschikisch in kyrillischen Buchstaben geschrieben wird und Persisch in arabischen, haben sie vieles gemeinsam. Bevor das Land eine sowjetische Republik wurde, hatte die heutige Hauptstadt Duschambe nur 3.000 Einwohner. Heute wohnen hier 700.000 Menschen. Trotz Armut will die Hauptstadt, wie ihre Nachbarn, protzen. Ein pompöser Präsidentenpalast und lange Zeit der höchste Fahnenmast sind nur zwei dieser Faktoren. Präsident Rahmons studierte, wie sein Kollege Nasarbajew aus Kasachstan, Wirtschaftswissenschaften. Aus einfachen Verhältnissen kommend machte er Karriere und wurde oberster Repräsentant der Sowjetrepublik und späterer Präsident. Die Autorin besuchte wieder entlegene Gebiete, in den noch die letzten Ureinwohner, die Jaghnoben wohnen. Als die UdSSR Baumwollplantagen aufzogen, wurden die Bergbewohner in die Ebenen deportiert, um dort zu arbeiten. Die Gegend war ohne Straßenverbindung völlig isoliert. Die Deportierten wurden mit Hubschraubern ausgeflogen. Viele kamen immer wieder zurück, aber viele blieben im klimatisch besseren Gebiet, vermischten sich mit einheimischen Tadschiken. Verschiedene Menschenschicksale kann man im Buch nachlesen. Bei Beerdigungen und Hochzeiten hatte Fatland Kontakt mit der Bevölkerung und schrieb das Erzählte nieder. Ein Mann sagte zu ihr „Hier im Tal leben wir wie im 19. Jahrhundert. Es ist ein hartes Leben, aber wir sind glücklich.“ (Seite 273) Um überleben zu können gehen viele Männer ins Ausland zum Geldverdienen. Die meisten nach Russland. Ihre Frauen bleiben bei den Kindern im Dorf. Einmal im Jahr kommen die Männer heim, schwängern die Frau und oft heiraten sie dann in der Fremde eine andere Frau. Aber sie schicken Geld nach Hause. Die Hälfte des Bruttonationalprodukts besteht aus diesen Überweisungen. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wüteten Bürgerkriege und viele flüchteten. Die Gesellschaft ist von Klans dominiert. Diese Zusammengehörigkeit ließ nach dem Krieg viele wieder zurückkommen. Erika Fatland ist eine Abenteuerin. Nur so ist es möglich, so ein Buch zu schreiben. Wenn sie etwa mit einem Hubschrauber in das Pamirgebirge fliegt. Die Passagiere sitzen auf Bänken. Der Kapitän allein im Cockpit. Der Copilot hatte dort keinen Platz mehr und musste bei den Passagieren sitzen. Die Tür zum Cockpit stand offen, damit die beiden miteinander kommunizieren konnten. Auf der drei- bis fünftausend Meter hohen Pamir Ebene zeigt sich die Wichtigkeit von Grenzen. Lange wurde hier gekämpft. Die beiden Großmächte Russland und das britische Empire standen sich gegenüber und eroberten diese zentralasiatischen Gebiete für sich. Man einigte sich auf Grenzen, die aber immer wieder vom Gegner überschritten wurden. Grenzen wurden auch willkürlich gezogen und sind heute noch ein Problem. Bis in die Jetztzeit wird um Gebiete um Afghanistan gekämpft. Obwohl Tadschikistan ein selbstständiger Staat war, waren russische Soldaten bis 2005 noch in Tadschikistan stationiert, um die Grenzen unter Beobachtung zu haben. Kirgisistan „Kirgisistan ist das freieste und demokratischste Land Zentralasiens, die Presse ist die freieste in der Region und auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Freiheiten landet das arme kleine Bergland unter den hundert fortschrittlichsten Ländern der Welt.“ (Seite 337) Bischkek ist die Hauptstadt und nach dem Bericht in diesem Buch die „grünste“ Stadt Zentralasiens. Es ist das einzige Land der Sowjetistan-Länder, die keinen neuen und protzigen Präsidentenpalast besitzen. Der Präsident residiert im Weißen Haus, das noch aus der Sowjetunions-Zeit stammt. Präsidenten haben sich nicht lange gehalten. Demokratische Bestrebungen haben sie bei Fehlverhalten vertrieben und durch neu gewählte ersetzt. Die alten fanden Asyl in Weißrussland oder Russland. Es ist das ärmste Land der Region. In der Zeit der UdSSR gab Moskau finanzielle Unterstützung. Drei Viertel des Staatshaushalts kam von dort. Heute lebt ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Damit nicht alles zum Stillstand kommt arbeiten vor allem junge Männer im Ausland und schicken Geld nach Hause. Die meisten von ihnen finden in Russland einen Job; allerdings zu sehr schlechten Bedingungen. Sie wohnen zu Dutzenden in einem gemieteten Zimmer. Durch die Armut im Land und unter den Fremdarbeitern ist wieder Tuberkulose ausgebrochen, die zu bekämpfen schwierig ist. Man schätzt, dass zehn Prozent von dieser Krankheit betroffen sind. So wie arbeitsfähige Männer ins Ausland abwandern, verlassen auch viele Ärzte das Land. Sie verdienen im Ausland mehr und zu Hause bricht das Gesundheitswesen zusammen. Soweit zu den Fakten. Fatland schreibt auch über persönliche Erfahrungen. So etwa sprach sie mit Frauen, die entführt und Zwangsverheiratet wurden. Brautraub ist immer noch üblich. Auch eine russische Frau, mit der die Autorin sprach, blieb davon nicht verschont. Nach einer Studie sind etwa ein Drittel aller geschlossenen Ehen nicht freiwillig, sondern durch Brautraub entstanden. Am Land sind es oft mehr als 50 Prozent. Sie machte auch Bekanntschaft mit Adlermännern, die die Kunst des Jagens mit einem Greifvogel aufrechterhalten. „Unsere Vorfahren hatten keine Waffen und nützten die Vögel zur Jagd“ (Seite 364) Kirgisen waren Nomaden. Unter Stalin wurden sie „umerzogen“, um sesshaft zu werden. Heute sind nur mehr zehn Prozent der Einwohner Nomaden. Stalin war es, der viele Menschen während des Zweiten Weltkriegs nach Zentralasien übersiedelte. So kamen 230.000 Krim-Tataren, 17.000 Koreaner aus Wladiwostok, 19.000 Aserbaidschaner aus dem Kaukasus und 8.500 Deutsche aus dem Wolga-Gebiet. Letztlich lebte eine Million Deutscher in der Region. 1989 wurde ihre Auswanderung zugelassen und die Zahl verkleinerte sich. Erika Fatland reiste – trotz Warnung – in so ein Dorf, das sich „Rot-Front“ nennt. Zwar konnte sie mit einem deutschen Mann reden, als sie dann einen Gottesdienst besuchte und der Gemeindevorstand gegen ausländische Journalisten predigte musste sie das Dorf verlassen. Die Russen hatten willkürliche Grenzen gezogen und Stämme und Völker teilweise getrennt. Dies führt bis heute zu Konflikten. In Kirgisistan leben viele Usbeken. In den 1990er Jahren und im Juni 2010 kam es zu blutigen Ausschreitungen. 2010 kamen über 400 Menschen ums Leben, 2.000 wurden verletzt und mehrere hunderttausend flüchteten nach Usbekistan und in Grenzregionen. Usbekistan Beim Grenzübertritt nach Usbekistan hatte sie Glück, dass sie während der Baumwollerntezeit reiste. In dieser Zeit werden die Grenzen für die Einheimischen gesperrt, denn alle werden für die Baumwollernte gebraucht. „Jedes Jahr werden Hunderttausende Ärzte, Lehrer, Krankenschwestern, Beamte und andere öffentliche Angestellte sowie Studenten des Landes einberufen, um Baumwolle zu pflücken - eine alte Tradition aus der Sowjetzeit, die noch immer praktiziert wird.“ (Seite 398) Damit sich die Bewohner vor dieser Arbeit nicht ins Ausland flüchten können, wird die Grenze für sie gesperrt. Für Erika Fatland wurde es so ein schneller Grenzübertritt. So wie in all diesen STAN-Ländern ist der russische Vergangenheitseinfluss nicht zu übersehen. Zwar haben nach der Verselbstständigung Usbekistans die Hälfte der russischen Einwohner das Land verlassen, aber eine Million ist geblieben und die Abhängigkeit von Russland ist geblieben. Das religiöse Leben blühte wieder auf. Wie in den Nachbarländern wird das Land von einem Diktator nach sowjetischem Muster regiert. Karimow, der Präsident der ersten Stunde, war ein Alleinregent, dessen Familienmitglieder sich bereicherten. Unruhen im Jahr 2005 bescherten viele Tote, aber der Aufstand wurde niedergeschlagen. Sehr detailliert wird im Kapitel „Der Stoff, aus dem Träume sind“ die Produktion von Seide beschrieben. An der Grenze zu Turkmenistan liegt die kleine Stadt Nukus. Sie ist die wichtigste Stadt der Region Karakalpakstan, die etwa ein Drittel der Fläche Usbekistans besitzt, aber nur 1,7 Millionen Einwohner hat. Nur mehr ein Viertel sind Einheimische, aber auch die werden jedes Jahr weniger. Es herrscht ungastliches Klima. Im Sommer hat es oft mehr als 50 Grad und im Winter Kälte. In dieser entlegenen Gegend hatten die Sowjets ihre biologischen Waffen getestet. In den 1960er Jahren waren etwa 50.000 Menschen an diesen geheimen Versuchen beteiligt. Bedingt durch die Militäranlagen war es Sperrgebiet für Ausländer und Außenstehende. In dieser Stadt gründete der Ukrainer Igor Sawitzki, der selbst Maler war, ein Museum. Er war ein Sammler und trug Handarbeiten, Schmuck und Stickereien der Einheimischen zusammen. Aber das Besondere sind die tausenden expressionistischen Bilder, die er gesammelt hat. Bilder, die in der naturalistischen, kommunistischen Kunstauffassung nicht erlaubt waren. In der zentralasiatisch entlegenen Kleinstadt war die Moskauer Kontrolle weit weg. Heute hat dieses Museum einen internationalen Stellenwert. Fatland besuchte dieses außergewöhnliche Museum. Ein Kapitel widmet sie auch der Baumwollproduktion, demzufolge der Aralsee zum Großteil ausgetrocknet ist, weil man das Wasser für die Baumwollplantagen brauchte. Neunzig Prozent des Sees sind in den letzten fünfzig Jahren verschwunden. Baumwolle wurde in Usbekistan schon seit 2000 Jahren angebaut, aber in bescheidenem Umfang. Die russischen Machthaber erhöhten dies, wodurch andere landwirtschaftliche Produkte wie Milch, Getreide, Obst und Gemüse zurückgedrängt wurden. Usbekistan musste diese, früher selbst produzierten Waren importieren. Das Land verarmte noch mehr. Die meisten Bauernhöfe gehören heute dem Staat und so bestimmt der usbekische Staat was angebaut wird und wie die Preise zu gestalten sind. Baumwolle ist weiterhin die Basis der usbekischen Wirtschaft. Neben der Hauptstadt sind Buchara und Samarkand wichtige Städte. Ursprünglich war hier ein Zentrum der Wissenschaften, wo unter anderem der Mathematiker Abu Dscha´far Muhammad ibn Musa al-Chwarizimi schon im 7. Jahrhundert als Vater der Algebra angesehen wurde. Der Algorithmus war Teil seiner Forschungen und Publikationen. Ein anderer löste das Problem, wenn man auf ein Schachbrett ein Weizenkorn legt und auf das nächste die doppelte Menge und sofort, bis letztlich am letzten Schachbrettfeld über 18 Trillionen liegen müssten. Das intellektuelle Leben in Zentralasien war vor eintausend Jahren hochstehend. Als die Araber die Region eroberten, verfiel all dieses Wissen. Bibliotheken wurden verbrannt und Wissen ausgelöscht. Auch Andersgläubige wurden verfolgt und allein in Usbekistan tausende Christen ermordet. Mit der transkaspischen Eisenbahn, die auf usbekischem Gebiet mit Hochgeschwindigkeitszügen fährt, kam die Autorin in die Hauptstadt Taschkent. Von der ursprünglichen Stadt ist durch ein Erdbeben im Jahr 1966 nichts übriggeblieben. Die UdSSR errichtete eine sowjetische Musterstadt. Da aber Usbekistan auch große Gas- und Erdölvorkommen hat, konnte eine moderne Stadt aufgebaut werden. Wie in den Nachbarstaaten herrscht ein Diktator. Interviewpartner waren nur schwer zu finden. Man hatte Angst. Aber bei Taxifahrten wurden die Menschen gesprächig und lieferten Eindrücke für den Leser des vorliegenden Buchs. Ausführlich widmet sie sich dem Klan des usbekischen Präsidenten. Einer der Taxifahrer brachte es auf den Punkt: „Die Sowjetgeneration ist, wie sie ist. Sie macht alles auf die gleiche, alte Art und Weise. Ich setzte meine Hoffnung auf die jetzt aufwachsende Generation. Viele von ihnen sind gereist und haben die Welt gesehen. Nur sie können etwas Neues schaffen.“ (Seite 495) Wie sieht die Zukunft der Region aus? In einem Nachwort aus dem Jahr 2014 versucht es Fatland zu definieren: Die Russen eroberten im 19. Jahrhundert diese zentralasiatischen Gebiete, konnten sie aber nur schwer abgrenzen. Sie nannten die Region „Turkestan“, weil die meisten Völker türkischstämmig waren. Die fünf postsowjetischen Republiken existierten bis 1991 nicht als Nationen. „Bis heute unterhalten die Stans sowohl wirtschaftlich wie politisch enge Bande zu Russland als miteinander.“ (Seite 386) Viele Gesprächspartner trauern immer noch der Sowjetunion nach. Sowie es Boris, einer ihrer Führer ausdrückte: „Alles war besser in der Sowjetunion. Speiseöl war billig, das Brot kostete nichts und ein Flugticket nach Moskau war auch nicht besonders teuer. Wir bekamen genügend Lohn für eine ganze Familie. Jetzt reicht das Geld nie, und viele von uns sind krank.“ (Seite 449) Das Buch erschien 2014. Vom Ende der Sowjetunion weg war viel passiert. Inzwischen sind weitere Jahre ins Land gegangen. Wie sieht es heute dort aus? Das Interesse ist geweckt. Frau Fatland: was wäre mit einer Fortsetzung? |
SCHMITT, Eric-Emmanuel Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran Buch 2022. @book{SCHMITT2022, title = {Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran}, author = {Eric-Emmanuel SCHMITT}, year = {2022}, date = {2022-02-04}, abstract = {SCHMITT, Eric-Emmanuel: „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, Frankfurt 2012 Ursprünglich war es ein Theaterstück, das 2004 mit Omar Sharif verfilmt wurde. Als Erzählung erschien es 2001 und die erste deutsche Version 2003. Lange lag es auf der Spiegel-Bestsellerliste auf Platz 1. Es ist das zweite Buch in der Reihe „Cycle de l’invisible“ und ist nicht nur mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, es ist auch zu einer Standardlektüre im Französischunterricht geworden. Eine wunderbare Geschichte, die man auch als Märchen für Erwachsene bezeichnen könnte. Die beiden Proponenten sind Moses, ein jüdischer Bub und Ibrahim ein türkischer Greißler in einem Pariser Bezirk. Moses lebt allein mit seinem Vater, einem Rechtsanwalt. Er führt schon als Bub den Haushalt des Vaters und lernt so den Lebensmittelhändler Ibrahim kennen, den er bestiehlt, um sich mit dem Ersparten seine ersten Freudenhausbesuche finanzieren zu können. Ibrahim und Moses freunden sich an und der alte Mann wird zum Vaterersatz, denn dieser verliert seinen Job und begeht Selbstmord. Als er noch ein Kleinkind war, hat seine Mutter die Familie verlassen. Erst später sucht sie ihr Kind, aber Moses gibt sich als ein anderer aus. In diesen zerrütteten Verhältnissen adoptiert Ibrahim Moses. Sie kaufen ein Auto und fahren in Ibrahims Heimat, ans Meer in der Türkei, wo dieser verstirbt. Moses wird Lebensmittelhändler in Paris. Damit habe ich vielleicht viel verraten und die Geschichte nacherzählt. Dem ist aber nicht so, denn in dieser Erzählung stecken viele schöne Details, die man selbst lesen und genießen muss. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } SCHMITT, Eric-Emmanuel: „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, Frankfurt 2012 Ursprünglich war es ein Theaterstück, das 2004 mit Omar Sharif verfilmt wurde. Als Erzählung erschien es 2001 und die erste deutsche Version 2003. Lange lag es auf der Spiegel-Bestsellerliste auf Platz 1. Es ist das zweite Buch in der Reihe „Cycle de l’invisible“ und ist nicht nur mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, es ist auch zu einer Standardlektüre im Französischunterricht geworden. Eine wunderbare Geschichte, die man auch als Märchen für Erwachsene bezeichnen könnte. Die beiden Proponenten sind Moses, ein jüdischer Bub und Ibrahim ein türkischer Greißler in einem Pariser Bezirk. Moses lebt allein mit seinem Vater, einem Rechtsanwalt. Er führt schon als Bub den Haushalt des Vaters und lernt so den Lebensmittelhändler Ibrahim kennen, den er bestiehlt, um sich mit dem Ersparten seine ersten Freudenhausbesuche finanzieren zu können. Ibrahim und Moses freunden sich an und der alte Mann wird zum Vaterersatz, denn dieser verliert seinen Job und begeht Selbstmord. Als er noch ein Kleinkind war, hat seine Mutter die Familie verlassen. Erst später sucht sie ihr Kind, aber Moses gibt sich als ein anderer aus. In diesen zerrütteten Verhältnissen adoptiert Ibrahim Moses. Sie kaufen ein Auto und fahren in Ibrahims Heimat, ans Meer in der Türkei, wo dieser verstirbt. Moses wird Lebensmittelhändler in Paris. Damit habe ich vielleicht viel verraten und die Geschichte nacherzählt. Dem ist aber nicht so, denn in dieser Erzählung stecken viele schöne Details, die man selbst lesen und genießen muss. |
TRAWÖGER, Norbert Spiel Buch 2022. @book{TRAWÖGER2022, title = {Spiel}, author = {Norbert TRAWÖGER}, year = {2022}, date = {2022-02-03}, abstract = {TRAWÖGER, Norbert: „Spiel“, Wien 2021 Der Autor meint, wir sollten als Erwachsene von den Kindern lernen und mehr spielerisch betrachten. Was er mit dem vorliegenden Buch sagen will habe ich leider nicht verstanden. Da gibt es Abhandlungen über verschiedene Arten des Spielens. „Spielen“ sei in der deutschen Sprache nicht so leicht abgrenzbar. Im Englischen sei dies mit „play“ und „game“ besser unterscheidbar. Er nimmt Bezug auf sein Kind und in welchem Alter welcher Zugang zum Spielen bestand. Er selbst „spielt“ Flöte. So wie sein Vater. Schon der Großvater war Musiker und er selbst ist künstlerischer Leiter des Brucknerorchesters in Linz. Als ehemaliger Lehrer besitzt er einen Zugang zu Jugendlichen und deren Denkweise, die sich im Buch niederschlägt: Als er sich 2017 aus dem Lehrberuf zurückzieht schreibt er nicht ein Plädoyer, sondern einen Abschiedsbrief an seine Schüler und Schülerinnen. Der Autor setzt sich in diesem Buch mit verschiedenen Themen auseinander. So auch mit Künstlicher Intelligenz und Musik. Letztere ist ja sein Aufgabengebiet. Dementsprechend kommt der Computer nicht gut weg. Auch „Kultur“ nimmt er unter die Lupe und streicht ihre Wichtigkeit für Veränderungen und die Gestaltung der Gesellschaft hervor. Letztlich kommen auch tagesaktuelle Themen zur Besprechung: die Chatprotokolle der letzten österreichischen Regierung und der Umgang der Politik mit der Pandemie COVID19. Worin der Sinn des Buches sein soll, habe ich als Leser nicht herausgefunden. Am Ende wird nochmals ein Bezug auf das „Spielen“ hergestellt: „Spielt keine Rolle, spielt nicht mit, wenn es keine Rolle spielt und spielt was das Zeug hält. Lasst nicht mit euch spielen, bleibt spielerisch und vor allem: Nehmt euch und das Spiel ernst. Es darf um nichts gehen, aber um nicht weniger.“ (Seite 105) }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } TRAWÖGER, Norbert: „Spiel“, Wien 2021 Der Autor meint, wir sollten als Erwachsene von den Kindern lernen und mehr spielerisch betrachten. Was er mit dem vorliegenden Buch sagen will habe ich leider nicht verstanden. Da gibt es Abhandlungen über verschiedene Arten des Spielens. „Spielen“ sei in der deutschen Sprache nicht so leicht abgrenzbar. Im Englischen sei dies mit „play“ und „game“ besser unterscheidbar. Er nimmt Bezug auf sein Kind und in welchem Alter welcher Zugang zum Spielen bestand. Er selbst „spielt“ Flöte. So wie sein Vater. Schon der Großvater war Musiker und er selbst ist künstlerischer Leiter des Brucknerorchesters in Linz. Als ehemaliger Lehrer besitzt er einen Zugang zu Jugendlichen und deren Denkweise, die sich im Buch niederschlägt: Als er sich 2017 aus dem Lehrberuf zurückzieht schreibt er nicht ein Plädoyer, sondern einen Abschiedsbrief an seine Schüler und Schülerinnen. Der Autor setzt sich in diesem Buch mit verschiedenen Themen auseinander. So auch mit Künstlicher Intelligenz und Musik. Letztere ist ja sein Aufgabengebiet. Dementsprechend kommt der Computer nicht gut weg. Auch „Kultur“ nimmt er unter die Lupe und streicht ihre Wichtigkeit für Veränderungen und die Gestaltung der Gesellschaft hervor. Letztlich kommen auch tagesaktuelle Themen zur Besprechung: die Chatprotokolle der letzten österreichischen Regierung und der Umgang der Politik mit der Pandemie COVID19. Worin der Sinn des Buches sein soll, habe ich als Leser nicht herausgefunden. Am Ende wird nochmals ein Bezug auf das „Spielen“ hergestellt: „Spielt keine Rolle, spielt nicht mit, wenn es keine Rolle spielt und spielt was das Zeug hält. Lasst nicht mit euch spielen, bleibt spielerisch und vor allem: Nehmt euch und das Spiel ernst. Es darf um nichts gehen, aber um nicht weniger.“ (Seite 105) |
WINKLER, Josef Der Leibeigene Buch 2022. @book{WINKLER2022, title = {Der Leibeigene}, author = {Josef WINKLER}, year = {2022}, date = {2022-01-31}, abstract = {WINKLER, Josef: „Der Leibeigene“, Frankfurt 2020 Wie der in Kärnten lebende Schriftsteller Alois Brandstetter, widmet sich auch Josef Winkler der Erzählung des ländlichen Lebens. Bei Winkler ist es aber nicht nur eine Schilderung der Situationen, sondern ein authentisches Niederschreiben von selbst Erlebtem. Auch stilistisch ist ein großer Unterschied. Brandstetter ist ein ausgezeichneter Erzähler. Winkler dagegen ein literarischer Dichter, der die Realitäten in irreale Texte einbettet. Die Texte springen zusammenhanglos von einer Szene in eine ganz andere. Es wird das Leben des Sohnes eines tyrannischen Bauern beschrieben. Vom Vater wurde er eingeschüchtert und immer wieder als unfähig hingestellt. „Meine Seele war auf die Größe zweier Bohnen zusammengeschrumpft.“ (Seite 75) Trost findet er, wenn er am Friedhof zwei Freunde, die sich erhängt hatten, besucht. Auch selbst denkt er oft an Selbstmord. Bäuerliche Arbeit wird detailliert beschrieben, wie etwa das Ziehen eines Kalbes aus dem Bauch der trächtigen Mutterkuh. Das bäuerliche Leben ist hart und brutal zugleich. Als die Nachbarn viele Katzen hatten und diese zum Milch trinken in seinen Stall kamen, tötete sie der Vater, indem er ihnen mit einer Hacke den Kopf abschlug. Später – er lebte teilweise in Rom – kommt er wieder nach Hause in den elterlichen Bauernhof. Der Vater ist 80 Jahre alt. Keiner der fünf Söhne hat seine Nachfolge angetreten. Mit hohem Alter bearbeitet er noch den Hof. Der Sohn, ein Schriftsteller, will den Vater beschreiben und hofft, dass er ihm aus seinem Leben erzählt. Wie es ihm als Jungbauern ergangen ist. Wie er den Krieg erlebte und dann seine eigenen Kinder. Das Leben eines Bauern hat sich generell verändert. „“… nach dem Krieg wurde der Bauer höher eingeschätzt als der Arbeiter. Was ist den heute der Bauer in diesem Land? Ein Schinder, der für einen Hungerlohn arbeitet. Heute muss ich mich in einem Amt regelrecht schämen, wenn ich sagen muss, dass ich ein Altbauer bin …“ (Seite 34) Dem schriftstellerischen Sohn erzählt er, dass es ihm als Kind „dreckig“ ergangen sei, dass er aber im Krieg viel erlebt habe. „Wenn nicht der Krieg gewesen wäre, hätte ich niemals Holland, England, Deutschland oder das Meer gesehen, gar nichts hätte ich von Europa gesehen. Der Krieg war das einzige Erlebnis meines Lebens.“ (Seite161/162) Dieses Buch wurde vor 1990 geschrieben. Da war Homosexualität noch ein sensibleres Thema als heute im 21. Jahrhundert. Winkler setzt sich mit den Gefühlen und den Aktivitäten von Jugendlichen auseinander. „Das Gefühl, wenn ich einen Knaben berührte, etwas Schäbiges und Schreckliches getan zu haben – denn auch in meinem Kopf gingen damals, als ich noch achtzehn war, die moralischen Uhrzeiger des Volkes im Kreis – verließ mich vollkommen ….“ (Seite 254) Das schlechte Gewissen wurde aus der ländlichen Gesellschaft heraus entwickelt. „Der Hass des Kärntner Dorfvolkes auf die Homosexualität war mir genauso geläufig wie der Hass auf die Juden, Russen und die Slowenen, die in Kärnten von Politik und Gesellschaft noch heute unterdrückt werden.“ Die schlüpfrigen und gotteslästernden Texte machen ihn im Dorf unbeliebt. Die Eltern genieren sich für ihren Sohn. Vieles hat er über sie geschrieben. Der Pfarrer des Dorfs meinte „Er ist ein Gotteslästerer! Man sollte ihm das Handwerk legen.“ (Seite 217) Der Vater meinte sogar, er solle nicht alleine im Dunklen durch den Wald gehen, denn er könnte überfallen und geschlagen werden. Viel wird über den Tod und das Sterben geschrieben. Als er im Traum unzählige Hostien gegessen hatte, fand er, dass er viele Leiber Christi in sich trage. Letztlich betete er den Teufel an: „Ich bete zur Sichelfrau und zum Sichelmann, zum Tod und zur Tödin, dass sie kommen und mir helfen, die Gebeine der vielen Leiber Christi wegzuräumen.“ (Seite 311) Und so endet das Buch auch mit dem Satz „Als Wegzehrung nehme ich mein eigenes Fleisch mit“ (Seite 312) }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } WINKLER, Josef: „Der Leibeigene“, Frankfurt 2020 Wie der in Kärnten lebende Schriftsteller Alois Brandstetter, widmet sich auch Josef Winkler der Erzählung des ländlichen Lebens. Bei Winkler ist es aber nicht nur eine Schilderung der Situationen, sondern ein authentisches Niederschreiben von selbst Erlebtem. Auch stilistisch ist ein großer Unterschied. Brandstetter ist ein ausgezeichneter Erzähler. Winkler dagegen ein literarischer Dichter, der die Realitäten in irreale Texte einbettet. Die Texte springen zusammenhanglos von einer Szene in eine ganz andere. Es wird das Leben des Sohnes eines tyrannischen Bauern beschrieben. Vom Vater wurde er eingeschüchtert und immer wieder als unfähig hingestellt. „Meine Seele war auf die Größe zweier Bohnen zusammengeschrumpft.“ (Seite 75) Trost findet er, wenn er am Friedhof zwei Freunde, die sich erhängt hatten, besucht. Auch selbst denkt er oft an Selbstmord. Bäuerliche Arbeit wird detailliert beschrieben, wie etwa das Ziehen eines Kalbes aus dem Bauch der trächtigen Mutterkuh. Das bäuerliche Leben ist hart und brutal zugleich. Als die Nachbarn viele Katzen hatten und diese zum Milch trinken in seinen Stall kamen, tötete sie der Vater, indem er ihnen mit einer Hacke den Kopf abschlug. Später – er lebte teilweise in Rom – kommt er wieder nach Hause in den elterlichen Bauernhof. Der Vater ist 80 Jahre alt. Keiner der fünf Söhne hat seine Nachfolge angetreten. Mit hohem Alter bearbeitet er noch den Hof. Der Sohn, ein Schriftsteller, will den Vater beschreiben und hofft, dass er ihm aus seinem Leben erzählt. Wie es ihm als Jungbauern ergangen ist. Wie er den Krieg erlebte und dann seine eigenen Kinder. Das Leben eines Bauern hat sich generell verändert. „“… nach dem Krieg wurde der Bauer höher eingeschätzt als der Arbeiter. Was ist den heute der Bauer in diesem Land? Ein Schinder, der für einen Hungerlohn arbeitet. Heute muss ich mich in einem Amt regelrecht schämen, wenn ich sagen muss, dass ich ein Altbauer bin …“ (Seite 34) Dem schriftstellerischen Sohn erzählt er, dass es ihm als Kind „dreckig“ ergangen sei, dass er aber im Krieg viel erlebt habe. „Wenn nicht der Krieg gewesen wäre, hätte ich niemals Holland, England, Deutschland oder das Meer gesehen, gar nichts hätte ich von Europa gesehen. Der Krieg war das einzige Erlebnis meines Lebens.“ (Seite161/162) Dieses Buch wurde vor 1990 geschrieben. Da war Homosexualität noch ein sensibleres Thema als heute im 21. Jahrhundert. Winkler setzt sich mit den Gefühlen und den Aktivitäten von Jugendlichen auseinander. „Das Gefühl, wenn ich einen Knaben berührte, etwas Schäbiges und Schreckliches getan zu haben – denn auch in meinem Kopf gingen damals, als ich noch achtzehn war, die moralischen Uhrzeiger des Volkes im Kreis – verließ mich vollkommen ….“ (Seite 254) Das schlechte Gewissen wurde aus der ländlichen Gesellschaft heraus entwickelt. „Der Hass des Kärntner Dorfvolkes auf die Homosexualität war mir genauso geläufig wie der Hass auf die Juden, Russen und die Slowenen, die in Kärnten von Politik und Gesellschaft noch heute unterdrückt werden.“ Die schlüpfrigen und gotteslästernden Texte machen ihn im Dorf unbeliebt. Die Eltern genieren sich für ihren Sohn. Vieles hat er über sie geschrieben. Der Pfarrer des Dorfs meinte „Er ist ein Gotteslästerer! Man sollte ihm das Handwerk legen.“ (Seite 217) Der Vater meinte sogar, er solle nicht alleine im Dunklen durch den Wald gehen, denn er könnte überfallen und geschlagen werden. Viel wird über den Tod und das Sterben geschrieben. Als er im Traum unzählige Hostien gegessen hatte, fand er, dass er viele Leiber Christi in sich trage. Letztlich betete er den Teufel an: „Ich bete zur Sichelfrau und zum Sichelmann, zum Tod und zur Tödin, dass sie kommen und mir helfen, die Gebeine der vielen Leiber Christi wegzuräumen.“ (Seite 311) Und so endet das Buch auch mit dem Satz „Als Wegzehrung nehme ich mein eigenes Fleisch mit“ (Seite 312) |
von HOFMANNSTHAL, Hugo Der Unbestechliche. Lustspiel in fünf Akten Buch 2022. @book{vonHOFMANNSTHAL2022, title = {Der Unbestechliche. Lustspiel in fünf Akten}, author = {Hugo von HOFMANNSTHAL}, year = {2022}, date = {2022-01-25}, abstract = {HOFMANNSTHAL, Hugo von: „Der Unbestechliche. Lustspiel in fünf Akten“, Berlin 1922 Ein Lustspiel in fünf Akten, dass der, durch das Stück „Jedermann“ bekannt gewordene Schriftsteller im Alter von 50 Jahren geschrieben hat. Er war schon ein anerkannter und berühmter Autor und widmete sich mit dem vorliegenden Stück der Beschreibung der „besseren Gesellschaft“. Das Stück entstand vor 100 Jahren. Da war die Welt noch eine andere. Eine adlige und reiche Familie empfängt Gäste. Man hat viel Personal: einen Diener, Kutscher, Stubenmädchen etc. Das Menschliche dieser Gesellschaft ist aber so wie heute. Der Sohn der Baronin ist jung verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Daneben hat er zwei Freundinnen, die beide einer Einladung folgen. Der Diener Theodor war ursprünglich der Diener des Sohnes. Er war mit der Vorgangsweise des jungen Mannes nicht einverstanden und wechselte in seiner Dienerschaft zur Mutter, der Baronin. Die vielen Verhältnisse und der Umgang des jungen Mannes stören ihn aber und er will sich rächen. Er kündigt auch seine Stellung bei der Baronin, die im Zuge des bevorstehenden Festes in Probleme kommt und um ihren Diener wirbt, damit er seine Kündigung zurückzieht. Dieser macht aus dem Notstand der Herrin einen Vorteil für sich und verlangt, dass sie ihm – sollte er wieder in seine Dienste eintreten – freie Hand in seinem Handeln bekomme. Sie stimmt zu. Sie müsse vor versammelter Mannschaft sagen „Und sie, lieber Theodor, übernehmen jetzt wieder die Aufsicht über das Ganze.“ Mit diesem Satz lässt Theodor allen seine Macht spüren und macht sich an die Auflösung der Beziehungen seines Ex-Chefs, dem Sohn der Baronin. Das Stück endet sehr kitschig: die beiden Liebhaberinnen reisen auf geheiß des Dieners ab und das junge Ehepaar findet sich wieder. Eine populistisch romantisch kitschige Geschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts, wie sie von einem populistischen Modeschriftsteller geschrieben wurde. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } HOFMANNSTHAL, Hugo von: „Der Unbestechliche. Lustspiel in fünf Akten“, Berlin 1922 Ein Lustspiel in fünf Akten, dass der, durch das Stück „Jedermann“ bekannt gewordene Schriftsteller im Alter von 50 Jahren geschrieben hat. Er war schon ein anerkannter und berühmter Autor und widmete sich mit dem vorliegenden Stück der Beschreibung der „besseren Gesellschaft“. Das Stück entstand vor 100 Jahren. Da war die Welt noch eine andere. Eine adlige und reiche Familie empfängt Gäste. Man hat viel Personal: einen Diener, Kutscher, Stubenmädchen etc. Das Menschliche dieser Gesellschaft ist aber so wie heute. Der Sohn der Baronin ist jung verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Daneben hat er zwei Freundinnen, die beide einer Einladung folgen. Der Diener Theodor war ursprünglich der Diener des Sohnes. Er war mit der Vorgangsweise des jungen Mannes nicht einverstanden und wechselte in seiner Dienerschaft zur Mutter, der Baronin. Die vielen Verhältnisse und der Umgang des jungen Mannes stören ihn aber und er will sich rächen. Er kündigt auch seine Stellung bei der Baronin, die im Zuge des bevorstehenden Festes in Probleme kommt und um ihren Diener wirbt, damit er seine Kündigung zurückzieht. Dieser macht aus dem Notstand der Herrin einen Vorteil für sich und verlangt, dass sie ihm – sollte er wieder in seine Dienste eintreten – freie Hand in seinem Handeln bekomme. Sie stimmt zu. Sie müsse vor versammelter Mannschaft sagen „Und sie, lieber Theodor, übernehmen jetzt wieder die Aufsicht über das Ganze.“ Mit diesem Satz lässt Theodor allen seine Macht spüren und macht sich an die Auflösung der Beziehungen seines Ex-Chefs, dem Sohn der Baronin. Das Stück endet sehr kitschig: die beiden Liebhaberinnen reisen auf geheiß des Dieners ab und das junge Ehepaar findet sich wieder. Eine populistisch romantisch kitschige Geschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts, wie sie von einem populistischen Modeschriftsteller geschrieben wurde. |
SARGNAGEL, Stefanie Dicht - Aufzeichnungen einer Tagesdiebin Buch 2022. @book{SARGNAGEL2022, title = {Dicht - Aufzeichnungen einer Tagesdiebin}, author = {Stefanie SARGNAGEL}, year = {2022}, date = {2022-01-20}, abstract = {SARGNAGEL, Stefanie: „Dicht – Aufzeichnungen einer Tagediebin“, Hamburg 2022 Schon länger habe ich mir vorgenommen ein Buch von dieser aufstrebenden österreichischen Schriftstellerin zu lesen. „Dicht – Aufzeichnungen einer Tagediebin“ ist ihr erster Roman, der im Jahr 2020 erschien. Hier stellt sie – sehr autofiktional – ihr eigenes Leben während ihrer Gymnasialzeit im Wiener Bezirk Währing dar. Als Leser betritt man beim Lesen eine Welt, die viele nicht kennen. Die Autorin trifft mit Drogenabhängigen, Unterstandslosen, AIDS-Infizierten und Menschen aus der untersten Gesellschaftsschicht zusammen. Sie öffnet damit ein Fenster zu einer Welt, zu der viele Leser im realen Leben keinen Zugang haben. Anhand von Einzelpersonen zeigt sie Gesellschaftsschichten auf. Hier erinnert sie mich an den schwedischen Dichter Henning Mankel, der sagte „Die Gesellschaft wird durch Millionen von Gesprächen gebildet. Wenn ein Mensch seine Geschichte erzählen kann, wird er Teil einer Gesellschaft. Wem man nicht zuhört, der existiert nicht.“ Die erzählende Person des Buches ist Stefanie, die Autorin selbst. Die Ankerperson, um die sich die anderen handelnden Personen ranken ist Michi. Alle treffen sich in dessen Wohnung. Er sorgt sich um alle. Im Buch wird seine Werdegang von der Selbstständigkeit hin zum Bewohner eines jüdischen Altersheims und bis zum Tod beschrieben. Michi war für Stefanie ein prägender Mensch. Das spürt man beim Lesen. Von vielen Experten wird der Schriftstellerin eine große Zukunft prophezeit. So auch von Elfriede Jelinek, die da sagte „Das es so was noch gibt, ich glaub´s nicht! Ein wirklich neuer Ton in der Literatur. Hier ist er.“ }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } SARGNAGEL, Stefanie: „Dicht – Aufzeichnungen einer Tagediebin“, Hamburg 2022 Schon länger habe ich mir vorgenommen ein Buch von dieser aufstrebenden österreichischen Schriftstellerin zu lesen. „Dicht – Aufzeichnungen einer Tagediebin“ ist ihr erster Roman, der im Jahr 2020 erschien. Hier stellt sie – sehr autofiktional – ihr eigenes Leben während ihrer Gymnasialzeit im Wiener Bezirk Währing dar. Als Leser betritt man beim Lesen eine Welt, die viele nicht kennen. Die Autorin trifft mit Drogenabhängigen, Unterstandslosen, AIDS-Infizierten und Menschen aus der untersten Gesellschaftsschicht zusammen. Sie öffnet damit ein Fenster zu einer Welt, zu der viele Leser im realen Leben keinen Zugang haben. Anhand von Einzelpersonen zeigt sie Gesellschaftsschichten auf. Hier erinnert sie mich an den schwedischen Dichter Henning Mankel, der sagte „Die Gesellschaft wird durch Millionen von Gesprächen gebildet. Wenn ein Mensch seine Geschichte erzählen kann, wird er Teil einer Gesellschaft. Wem man nicht zuhört, der existiert nicht.“ Die erzählende Person des Buches ist Stefanie, die Autorin selbst. Die Ankerperson, um die sich die anderen handelnden Personen ranken ist Michi. Alle treffen sich in dessen Wohnung. Er sorgt sich um alle. Im Buch wird seine Werdegang von der Selbstständigkeit hin zum Bewohner eines jüdischen Altersheims und bis zum Tod beschrieben. Michi war für Stefanie ein prägender Mensch. Das spürt man beim Lesen. Von vielen Experten wird der Schriftstellerin eine große Zukunft prophezeit. So auch von Elfriede Jelinek, die da sagte „Das es so was noch gibt, ich glaub´s nicht! Ein wirklich neuer Ton in der Literatur. Hier ist er.“ |
CUKIER, Kenneth; MAYER-SCHÖNBERGER, Viktor; de VERICOURT, Francis 2022. @book{CUKIER2022, title = {FRAMERS – Wie wir bessere Entscheidungen treffen und warum uns Maschinen um diese Stärke immer beneiden werden}, author = {Kenneth CUKIER and Viktor MAYER-SCHÖNBERGER and Francis de VERICOURT}, year = {2022}, date = {2022-01-14}, abstract = {CUKIER, Kenneth; MAYER-SCHÖNBERGER, Viktor; VERICOURT, Francis de: „FRAMERS – Wie wir bessere Entscheidungen treffen und warum uns Maschinen um diese Stärke immer beneiden werden“, München 2022 Eine, im Untertitel gewagte Aussage. Der Chef von IBM sagte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, dass unsere Welt maximal 3 Computer benötigt. Das erscheint heute lächerlich. Ob es diesem Buch auch einmal so gehen wird? Die Autoren liefern aber interessante Ansätze zum Nachdenken. Frames werden mit drei Dimensionen definiert: • kausales Schlussfolgern • kontrafaktisches Träumen • Fokusierung der Vorstellungen Jeder Mensch hat „Frames“ im Kopf. Sie können vorgefertigte, oft verwendete oder neu definierte, erfundene sein. Dem Computer und der künstlichen Intelligenz wird eine Abfuhr erteilt: „Wir Menschen werden schlauer, weil wir es verstehen, von den Errungenschaften der künstlichen Intelligenz zu lernen. Die Bedeutung des Lernens zu ermessen und das Gelernte entsprechend anzuwenden, ist etwas, wozu künstliche Intelligenz selbst nicht in der Lage ist.“ (Seite 27) Im Grunde genommen beschreiben die Autoren mit „Frames“ etwas, was es immer schon gab und immer schon angewendet wurde, nur hatte es andere Namen wie „Modelle“, „vorgefertigte Denkmuster“. Diese basierten auf eigenen Erfahrungen oder waren in die Zukunft gerichtete neue Ideen. Bei diesen Vorgangsweisen werden auch der österreichische Bergsteiger Messner und Habeler vorgestellt, die den Stil des Klettern verändert haben. Sie waren die ersten, die den höchsten Berg der Welt ohne Sauerstoffflaschen bestiegen haben. Nun, „die Bereitschafft, Althergebrachtes infrage zu stellen und neue kognitive Wege zu gehen“ (Seite 146) war immer schon eine wichtige Prämisse, auch wenn sie noch nicht „Frame“ genannt wurde. Veränderungen gab es auch in Zyklen, wie etwa nach den „ausgelassenen“ 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, die sehr viel Neues hervorbrachten, folgten in vielen Ländern zentralistische Diktaturen. Der Pluralismus der Gesellschaft wurde zurückgedrängt und vieles gleichgeschalten. Das Buch beschäftigt sich mit Situationen aus der Vergangenheit, anhand derer die Funktion der „Frames“ beschrieben wurden. So greifen die Autoren auf den Mediziner Semmelweis oder die israelische Armee bei der Befreiung von Geiseln in Mogadischu zurück. Auch der österreichische Weinskandal und die darauffolgende Veränderung auf Qualitätswein kamen ins Buch, weil die Weinbauern ihre Frames verändert haben und von Quantität auf Qualität umgeschwenkt sind. In die Zukunft wird ganz am Schluss geblickt. Wie soll ein Framer des 21. Jahrhunderts aussehen? „Gepflegt und gefördert werden muss die geistige Beweglichkeit, die uns die unausgesprochene Idee, das unartikulierte Ideal die latente Vorstellung und potenzielle neue Wirklichkeit begreifen lässt. Damit Framing erfolgreich ist, brauchen wir Agilität im Kopf.“ (Seite 223) Viele Schwierigkeiten, wie der Klimakonflikt, wirtschaftliche Ungleichheit, Pandemien, Populismus, algorithmischer Autoritarismus lägen noch vor uns. Nach einem halben Jahrhundert des bequemlichen Lebens mit Stabilität geht die Menschheit neuen Zielen entgegen. Zum Schluss bieten die Autoren eine „Anleitung zum Arbeiten mit Frames“. Es ist kein wissenschaftliches Buch, sondern ein populärwissenschaftliches, das aber leicht zu lesen und gut verständlich ist. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } CUKIER, Kenneth; MAYER-SCHÖNBERGER, Viktor; VERICOURT, Francis de: „FRAMERS – Wie wir bessere Entscheidungen treffen und warum uns Maschinen um diese Stärke immer beneiden werden“, München 2022 Eine, im Untertitel gewagte Aussage. Der Chef von IBM sagte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, dass unsere Welt maximal 3 Computer benötigt. Das erscheint heute lächerlich. Ob es diesem Buch auch einmal so gehen wird? Die Autoren liefern aber interessante Ansätze zum Nachdenken. Frames werden mit drei Dimensionen definiert: • kausales Schlussfolgern • kontrafaktisches Träumen • Fokusierung der Vorstellungen Jeder Mensch hat „Frames“ im Kopf. Sie können vorgefertigte, oft verwendete oder neu definierte, erfundene sein. Dem Computer und der künstlichen Intelligenz wird eine Abfuhr erteilt: „Wir Menschen werden schlauer, weil wir es verstehen, von den Errungenschaften der künstlichen Intelligenz zu lernen. Die Bedeutung des Lernens zu ermessen und das Gelernte entsprechend anzuwenden, ist etwas, wozu künstliche Intelligenz selbst nicht in der Lage ist.“ (Seite 27) Im Grunde genommen beschreiben die Autoren mit „Frames“ etwas, was es immer schon gab und immer schon angewendet wurde, nur hatte es andere Namen wie „Modelle“, „vorgefertigte Denkmuster“. Diese basierten auf eigenen Erfahrungen oder waren in die Zukunft gerichtete neue Ideen. Bei diesen Vorgangsweisen werden auch der österreichische Bergsteiger Messner und Habeler vorgestellt, die den Stil des Klettern verändert haben. Sie waren die ersten, die den höchsten Berg der Welt ohne Sauerstoffflaschen bestiegen haben. Nun, „die Bereitschafft, Althergebrachtes infrage zu stellen und neue kognitive Wege zu gehen“ (Seite 146) war immer schon eine wichtige Prämisse, auch wenn sie noch nicht „Frame“ genannt wurde. Veränderungen gab es auch in Zyklen, wie etwa nach den „ausgelassenen“ 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, die sehr viel Neues hervorbrachten, folgten in vielen Ländern zentralistische Diktaturen. Der Pluralismus der Gesellschaft wurde zurückgedrängt und vieles gleichgeschalten. Das Buch beschäftigt sich mit Situationen aus der Vergangenheit, anhand derer die Funktion der „Frames“ beschrieben wurden. So greifen die Autoren auf den Mediziner Semmelweis oder die israelische Armee bei der Befreiung von Geiseln in Mogadischu zurück. Auch der österreichische Weinskandal und die darauffolgende Veränderung auf Qualitätswein kamen ins Buch, weil die Weinbauern ihre Frames verändert haben und von Quantität auf Qualität umgeschwenkt sind. In die Zukunft wird ganz am Schluss geblickt. Wie soll ein Framer des 21. Jahrhunderts aussehen? „Gepflegt und gefördert werden muss die geistige Beweglichkeit, die uns die unausgesprochene Idee, das unartikulierte Ideal die latente Vorstellung und potenzielle neue Wirklichkeit begreifen lässt. Damit Framing erfolgreich ist, brauchen wir Agilität im Kopf.“ (Seite 223) Viele Schwierigkeiten, wie der Klimakonflikt, wirtschaftliche Ungleichheit, Pandemien, Populismus, algorithmischer Autoritarismus lägen noch vor uns. Nach einem halben Jahrhundert des bequemlichen Lebens mit Stabilität geht die Menschheit neuen Zielen entgegen. Zum Schluss bieten die Autoren eine „Anleitung zum Arbeiten mit Frames“. Es ist kein wissenschaftliches Buch, sondern ein populärwissenschaftliches, das aber leicht zu lesen und gut verständlich ist. |
SCHLINK, Bernhard Die Enkelin Buch 2022. @book{SCHLINK2022, title = {Die Enkelin}, author = {Bernhard SCHLINK}, year = {2022}, date = {2022-01-07}, abstract = {SCHLINK, Bernhard: „Die Enkelin“, Zürich 2021 Eine Geschichte, die zwischen Ost- und Westberlin spielt. Der in Westberlin studierende Kaspar lernt ein Mädchen in Ostberlin kennen, verliebt sich in sie und verhilft ihr zur Flucht in den Westen. Er bricht sein Studium ab, um einen Lebensunterhalt für seine Ehe zu verdienen und wird Buchhändler. Später kaufen sie eine eigene Buchhandlung und eine schöne Wohnung. Die Frau aus dem Osten schafft es nicht in der westlichen Gesellschaft richtig Fuß zu fassen. Sie bricht ihr Studium ab, versucht verschiedene Berufe, nimmt sich eine Auszeit in Indien und lebt zurückgezogen in ihrem Zimmer, wo sie an einem Roman schreibt, von dem ihr Mann erst nach deren Tod Kenntnis bekommt. Darin offenbart sie sich und ihre Probleme. Sie hatte vor ihrem Ehemann eine Freundschaft in Ostberlin und bekam ein Kind, das sie weglegen ließ. Sie wollte es finden, war sich aber nicht sicher und hatte Angst. Im Alter von 70 Jahren übernimmt dann der Witwer diese Rolle und sucht nach der verlorenen Tochter. Über Umwege findet er sie. Sie wurde als Neugeborene von der Freundin der Frau beim leiblichen Vater abgegeben und aufgezogen. Aus dieser Familie bricht sie aus und taucht in zwielichtigen Verhältnissen unter. Sie heiratet einen aus der Gang und gründen einen Bauernhof im Sinne einer völkischen Gemeinschaft. Ihre Tochter – die Stief-Enkelin – wird nationalsozialistisch erzogen. Ihr widmet der Roman einen wesentlichen Teil. Als Kaspar die Familie seiner Stieftochter gefunden hat, täuscht er ein Testament seiner Frau vor; nennt Zahlungen (die er auch erfüllt) und den daran geknüpften Wunsch, dass das Enkelkind beim Stiefopa mehrmals im Jahr Zeit verbringen muss. Zum Aufbau des Bauernhofs braucht die junge Familie das Geld und stimmt zu. Da kamen zwei Welten zusammen, die nicht verschiedener sein könnten: das nationaldeutsch erzogene Mädchen und der bürgerliche Buchhändler. Der „Opa“ versucht sie zu verändern, schenkt ihr ein Klavier und organisiert Unterricht dafür. Auch literarisch wird sie beeinflusst und beginnt die, für sie neue Welt mit Konzert- und Museumsbesuchen zu geniessen. Das war aber nicht im Sinne des völkischen Vaters und dieser bricht die Beziehung. Die Tochter macht sich aber selbstständig und taucht in revolutionären Gruppen – wie seinerzeit ihre Mutter – unter. Als in diesem Kreis ein Mord verübt wird, kehrt sie zum Opa zurück, der auch bereit ist zu helfen. Sie aber verlässt in der Nacht die Wohnung des Großvaters mit dessen Kreditkarte. Wohin und wie ihr Leben weitergeht, muss aber jeder Leser, jede Leserin selbst lesen. Auch bei einem Kriminalroman wird der Mörder nicht vorab verraten. Ein großartiger Roman, der sich in verschiedenen gesellschaftlichen Szenen bewegt: • Das bürgerliche Buchhandlungsehepaar • Der gesellschaftliche Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland • Die Flucht der Frau, die aber die Verschiedenheit nicht löst • Die völkisch Nationaldeutschen • Die radikalen Jugendlichen Alle Situationen werden von Schlink sachlich und am Beispiel von handelnden Personen dargestellt. PS: Im erfundenen Testament verlangt Klaus nach Urlauben der Stiefenkelin bei ihm. Aber die Ehefrau konnte gar nicht wissen, dass es ein Enkelkind gab. Da hat der Dichter eine Lücke nicht geschlossen. Aber trotz allem ein wunderbares Buch. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } SCHLINK, Bernhard: „Die Enkelin“, Zürich 2021 Eine Geschichte, die zwischen Ost- und Westberlin spielt. Der in Westberlin studierende Kaspar lernt ein Mädchen in Ostberlin kennen, verliebt sich in sie und verhilft ihr zur Flucht in den Westen. Er bricht sein Studium ab, um einen Lebensunterhalt für seine Ehe zu verdienen und wird Buchhändler. Später kaufen sie eine eigene Buchhandlung und eine schöne Wohnung. Die Frau aus dem Osten schafft es nicht in der westlichen Gesellschaft richtig Fuß zu fassen. Sie bricht ihr Studium ab, versucht verschiedene Berufe, nimmt sich eine Auszeit in Indien und lebt zurückgezogen in ihrem Zimmer, wo sie an einem Roman schreibt, von dem ihr Mann erst nach deren Tod Kenntnis bekommt. Darin offenbart sie sich und ihre Probleme. Sie hatte vor ihrem Ehemann eine Freundschaft in Ostberlin und bekam ein Kind, das sie weglegen ließ. Sie wollte es finden, war sich aber nicht sicher und hatte Angst. Im Alter von 70 Jahren übernimmt dann der Witwer diese Rolle und sucht nach der verlorenen Tochter. Über Umwege findet er sie. Sie wurde als Neugeborene von der Freundin der Frau beim leiblichen Vater abgegeben und aufgezogen. Aus dieser Familie bricht sie aus und taucht in zwielichtigen Verhältnissen unter. Sie heiratet einen aus der Gang und gründen einen Bauernhof im Sinne einer völkischen Gemeinschaft. Ihre Tochter – die Stief-Enkelin – wird nationalsozialistisch erzogen. Ihr widmet der Roman einen wesentlichen Teil. Als Kaspar die Familie seiner Stieftochter gefunden hat, täuscht er ein Testament seiner Frau vor; nennt Zahlungen (die er auch erfüllt) und den daran geknüpften Wunsch, dass das Enkelkind beim Stiefopa mehrmals im Jahr Zeit verbringen muss. Zum Aufbau des Bauernhofs braucht die junge Familie das Geld und stimmt zu. Da kamen zwei Welten zusammen, die nicht verschiedener sein könnten: das nationaldeutsch erzogene Mädchen und der bürgerliche Buchhändler. Der „Opa“ versucht sie zu verändern, schenkt ihr ein Klavier und organisiert Unterricht dafür. Auch literarisch wird sie beeinflusst und beginnt die, für sie neue Welt mit Konzert- und Museumsbesuchen zu geniessen. Das war aber nicht im Sinne des völkischen Vaters und dieser bricht die Beziehung. Die Tochter macht sich aber selbstständig und taucht in revolutionären Gruppen – wie seinerzeit ihre Mutter – unter. Als in diesem Kreis ein Mord verübt wird, kehrt sie zum Opa zurück, der auch bereit ist zu helfen. Sie aber verlässt in der Nacht die Wohnung des Großvaters mit dessen Kreditkarte. Wohin und wie ihr Leben weitergeht, muss aber jeder Leser, jede Leserin selbst lesen. Auch bei einem Kriminalroman wird der Mörder nicht vorab verraten. Ein großartiger Roman, der sich in verschiedenen gesellschaftlichen Szenen bewegt: • Das bürgerliche Buchhandlungsehepaar • Der gesellschaftliche Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland • Die Flucht der Frau, die aber die Verschiedenheit nicht löst • Die völkisch Nationaldeutschen • Die radikalen Jugendlichen Alle Situationen werden von Schlink sachlich und am Beispiel von handelnden Personen dargestellt. PS: Im erfundenen Testament verlangt Klaus nach Urlauben der Stiefenkelin bei ihm. Aber die Ehefrau konnte gar nicht wissen, dass es ein Enkelkind gab. Da hat der Dichter eine Lücke nicht geschlossen. Aber trotz allem ein wunderbares Buch. |
STOLLEIS, Michael Was ist ein Name? Buch 2022. @book{STOLLEIS2022, title = {Was ist ein Name?}, author = {Michael STOLLEIS}, year = {2022}, date = {2022-01-01}, abstract = {STOLLEIS, Michael: „Was ist ein Name?“, Zürich 2021 Es begann in der Frühzeit, dass der Mensch alles mit einem Namen versehen hat. Historisch finde man schon im Alten Testament, dass die Schöpfung benannt wurde: Erde und Meer. „Indem die Menschen seit unvordenklichen Zeiten ihre Welt benannt, klassifiziert und geordnet haben, haben sie sich die Welt „untertan gemacht“. Benennen wird so auch faktisches beherrschen.“ (Seite 10) Ausgehend vom 16. Jahrhundert bis in unsere heutige Zeit wird – nicht nur in Diktaturen – über Namensgebung die Staatsgewalt ausgeweitet und konzentriert. Herrscher wie Maria Theresia von Österreich erkannten dies und nützten es. Zunehmend wurde neben dem Namen auch die Bezifferung, die Vernummerung wichtig, um mehr Details zu besitzen. Unter diesem Motto führte diese österreichische Herrscherin das Grundbuch und die Meldepflicht der Menschen ein. Menschen änderten so ihre Zugehörigkeit; waren sie vor diesen Maßnahmen Untertanen von Klöstern oder Adeligen, wurden sie Staatsbürger, Untertanen des Staates. Das Kunstgebilde „Staat“ wurde immer perfekter und das Bedürfnis nach Ordnung, Klassifizierung und Nummern (Steuernummern, Krankenkassennummern, Rentenversicherungen etc) wurde größer. Namen werden mit Daten verknüpft und das benannte Objekt noch detaillierter aussagefähig. Aber auch „Nichtwissen“ wird durch Medien und wissenschaftlichen Institutionen verbreitet. Speziell in revolutionären Zeiten wurden Dinge und Menschen umbenannt und oft für die Zukunft nicht mehr zugänglich. Neue Zeitrechnungen, Gewichtsmasse und die Existenz von Menschen wird so ausgelöscht oder verändert. „Politische Erst- und Umbenennungen ordnen die Welt immer wieder neu. Das gehört zum Wechsel der Generationen, ist ein Thema der modisch gewordenen political correctness oder auch einfach des Zeitgeistes.“ (Seite 20) Historische Ereignisse werden für die Zukunft erst durch Namensgebung und Vernummerung zu Fakten, die nicht immer den tatsächlichen Ereignissen entsprechen. Manche Dinge sind auch verkommen, wie etwa die Unterschrift. Musste diese in der Vergangenheit noch zusätzlich von einer dritten Person legitimiert werden, so ist sie zunehmend zu Ziffern verkümmert. Der Schwur vor Zeugen wurde zu einer publikumswirksamen Demonstration, wenn etwa Politiker ein Amt antreten. Der Autor zeigt sehr strukturiert die Benennung unserer Welt auf. Einerseits mit Namensgebung und andererseits durch Bezifferung. Auch die Veränderungen und Umbenennungen haben historisch betrachtet eine große Bedeutung. Der Einfluss durch die Macht des Staats ist im Zunehmen. Demokratien versprachen die Freiheit und brachten eine neue Bindung an „gewählte“ Machthaber. Abschließend möchte ich den Autor noch selbst zu Wort kommen lassen, wenn er da schreibt: „Ob der Mensch seine Identität durch eine (fälschbare) Unterschrift, durch das (unzuverlässige) Passbild, durch den Maschinenblick in die Iris, durch Spracherkennung oder durch einen unter die Haut gepflanzten Chip nachzuweisen hat: Der enorm technische Aufwand, den wir heute treiben, um uns zu vergewissern, wer derjenige ist, mit dem wir kommunizieren, ist mit der Komplexität unserer Lebensverhältnisse und der Vervielfältigung technischer Möglichkeiten gewachsen. Die reale Person, die man kennt und auf deren Unterschrift man sich verlässt wird zum blassen Schemen. Die eigentliche Identität vermittelt nun der mit Zertifikat gesicherte Datenschlüssel oder die maschinelle Prüfung. Die Entzauberung scheint kein Ende zu haben.“ (Seite 52) }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } STOLLEIS, Michael: „Was ist ein Name?“, Zürich 2021 Es begann in der Frühzeit, dass der Mensch alles mit einem Namen versehen hat. Historisch finde man schon im Alten Testament, dass die Schöpfung benannt wurde: Erde und Meer. „Indem die Menschen seit unvordenklichen Zeiten ihre Welt benannt, klassifiziert und geordnet haben, haben sie sich die Welt „untertan gemacht“. Benennen wird so auch faktisches beherrschen.“ (Seite 10) Ausgehend vom 16. Jahrhundert bis in unsere heutige Zeit wird – nicht nur in Diktaturen – über Namensgebung die Staatsgewalt ausgeweitet und konzentriert. Herrscher wie Maria Theresia von Österreich erkannten dies und nützten es. Zunehmend wurde neben dem Namen auch die Bezifferung, die Vernummerung wichtig, um mehr Details zu besitzen. Unter diesem Motto führte diese österreichische Herrscherin das Grundbuch und die Meldepflicht der Menschen ein. Menschen änderten so ihre Zugehörigkeit; waren sie vor diesen Maßnahmen Untertanen von Klöstern oder Adeligen, wurden sie Staatsbürger, Untertanen des Staates. Das Kunstgebilde „Staat“ wurde immer perfekter und das Bedürfnis nach Ordnung, Klassifizierung und Nummern (Steuernummern, Krankenkassennummern, Rentenversicherungen etc) wurde größer. Namen werden mit Daten verknüpft und das benannte Objekt noch detaillierter aussagefähig. Aber auch „Nichtwissen“ wird durch Medien und wissenschaftlichen Institutionen verbreitet. Speziell in revolutionären Zeiten wurden Dinge und Menschen umbenannt und oft für die Zukunft nicht mehr zugänglich. Neue Zeitrechnungen, Gewichtsmasse und die Existenz von Menschen wird so ausgelöscht oder verändert. „Politische Erst- und Umbenennungen ordnen die Welt immer wieder neu. Das gehört zum Wechsel der Generationen, ist ein Thema der modisch gewordenen political correctness oder auch einfach des Zeitgeistes.“ (Seite 20) Historische Ereignisse werden für die Zukunft erst durch Namensgebung und Vernummerung zu Fakten, die nicht immer den tatsächlichen Ereignissen entsprechen. Manche Dinge sind auch verkommen, wie etwa die Unterschrift. Musste diese in der Vergangenheit noch zusätzlich von einer dritten Person legitimiert werden, so ist sie zunehmend zu Ziffern verkümmert. Der Schwur vor Zeugen wurde zu einer publikumswirksamen Demonstration, wenn etwa Politiker ein Amt antreten. Der Autor zeigt sehr strukturiert die Benennung unserer Welt auf. Einerseits mit Namensgebung und andererseits durch Bezifferung. Auch die Veränderungen und Umbenennungen haben historisch betrachtet eine große Bedeutung. Der Einfluss durch die Macht des Staats ist im Zunehmen. Demokratien versprachen die Freiheit und brachten eine neue Bindung an „gewählte“ Machthaber. Abschließend möchte ich den Autor noch selbst zu Wort kommen lassen, wenn er da schreibt: „Ob der Mensch seine Identität durch eine (fälschbare) Unterschrift, durch das (unzuverlässige) Passbild, durch den Maschinenblick in die Iris, durch Spracherkennung oder durch einen unter die Haut gepflanzten Chip nachzuweisen hat: Der enorm technische Aufwand, den wir heute treiben, um uns zu vergewissern, wer derjenige ist, mit dem wir kommunizieren, ist mit der Komplexität unserer Lebensverhältnisse und der Vervielfältigung technischer Möglichkeiten gewachsen. Die reale Person, die man kennt und auf deren Unterschrift man sich verlässt wird zum blassen Schemen. Die eigentliche Identität vermittelt nun der mit Zertifikat gesicherte Datenschlüssel oder die maschinelle Prüfung. Die Entzauberung scheint kein Ende zu haben.“ (Seite 52) |
2021 |
SCHMITT, Eric Emmanuel (Hrsg.) Madame Pylinska und das Geheimnis von Chopin Buch 2021. @book{SCHMITT2021, title = {Madame Pylinska und das Geheimnis von Chopin}, editor = {Eric Emmanuel SCHMITT}, year = {2021}, date = {2021-12-29}, abstract = {SCHMITT, Eric Emmanuel: „Madame Pylinska und das Geheimnis von Chopin“, München 2021 Ein Buch, das Chopin und seine Musik näher bringt. Aber es ist kein historisches und kein musikwissenschaftliches Buch, sondern ist in die heutige Zeit gesetzt. Im Haushalt der Familie von Eric steht ein Klavier. Es ist praktisch nicht benützt, bis eine Großtante zu Besuch kommt und auf diesem Klavier Chopin spielt. Der damals 11-jährige ist begeistert und beginnt Klavierunterricht zu nehmen. Er will so spielen können wie die Großtante. Es gelingt aber nicht. Als er nach Paris zum Studium übersiedelt nimmt er einen neuen Anlauf. Er bekommt Klavierunterricht bei der Polin Pylinska. Gleich nach Beginn fragt sie ihn, ob er „Polytheist“ sei. Sie selbst sei nur „Monotheistin“, weil sie nur Chopin spiele. Es wird ein ungewöhnlicher Unterricht, der über das reine Klavierspiel hinaus geht. Sie bringt ihm Chopin näher, ordnet aber auch sein Leben. Liebevoll erklärt sie, was Chopin ausdrücken wollte. Wenn es um den internationalen Chopinwettbewerb geht ist sie kritisch „… nichts als lauter Möchtegernchopins, müder Abklatsch, Chopiniewskys!“ (Seite 58) Sie definiert dann auch die verschiedenen Typen von Chopin-Interpreten. Aber auch die Komponisten stellt sie sehr anschaulich dar. Bei Bach meint sie „Bach war ein Zeichner. Chopin ein Maler. … Bach bietet Bleistiftzeichnungen, die man kolorieren kann. Chopin nicht. Im Grunde hat seine Technik etwas Aquarellartiges“ (Seite 19) Der Autor des Buchs schafft es das Verhältnis Chopins zu Polen in wenigen Sätzen zu beschreiben: „Chopin ist 1830 aus Polen geflohen, unmittelbar vor dem Aufstand gegen Russland. Weil es Polen seit 1795, als sein Terretorium zwischen drei Ländern aufgeteilt worden war, nicht mehr auf der Karte gab, hat Chopins Musik die polnische Nation verkörpert. Polen, das war ein Jahrhundert lang Chopin. Er hielt die Flamme aus der Ferne am Brennen, indem er ihr in seinen Mazurken oder Polonaisen ein ruhmreiches ewiges Leben schenkte. 1918 ist Polen wieder Polen geworden, aber nicht für lange, denn die Nazis haben es besetzt und Chopin verboten. Man riskierte Gefängnis, wenn man ein Nocturne anhörte; man kam sonntagnachmittags heimlich in Wohnungen zusammen, um über seine Töne das gedemütigte Vaterland zurückzuerobern. Danach ist der Kommunismus herangebrandet, eine neue russische Geisel deutschen Ursprungs … „ (Seite 86) Als die Klavierlehrerin Frankreich verlässt, um in ihre polnische Heimat zurückzukehren, endet der Unterricht. Jahrzehnte später – Eric ist ein anerkannter Schriftsteller geworden – trifft er sie bei einer Lesung in Polen wieder. Reporter befragen die Dame über das Klavierspiel des Schriftstellers. Sie aber bleibt diplomatisch und er spielt weiter Klavier. Es ist ein kleines Buch, das leicht und angenehm zu lesen ist. Der Autor – Eric Emmanuel Schmitt - ist ein international anerkannter französischer Schriftsteller. 2004 erhielt er unter anderem den Deutschen Bücherpreis. Er ist es, der die Brücke Chopins zwischen Polen und Frankreich schlägt. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } SCHMITT, Eric Emmanuel: „Madame Pylinska und das Geheimnis von Chopin“, München 2021 Ein Buch, das Chopin und seine Musik näher bringt. Aber es ist kein historisches und kein musikwissenschaftliches Buch, sondern ist in die heutige Zeit gesetzt. Im Haushalt der Familie von Eric steht ein Klavier. Es ist praktisch nicht benützt, bis eine Großtante zu Besuch kommt und auf diesem Klavier Chopin spielt. Der damals 11-jährige ist begeistert und beginnt Klavierunterricht zu nehmen. Er will so spielen können wie die Großtante. Es gelingt aber nicht. Als er nach Paris zum Studium übersiedelt nimmt er einen neuen Anlauf. Er bekommt Klavierunterricht bei der Polin Pylinska. Gleich nach Beginn fragt sie ihn, ob er „Polytheist“ sei. Sie selbst sei nur „Monotheistin“, weil sie nur Chopin spiele. Es wird ein ungewöhnlicher Unterricht, der über das reine Klavierspiel hinaus geht. Sie bringt ihm Chopin näher, ordnet aber auch sein Leben. Liebevoll erklärt sie, was Chopin ausdrücken wollte. Wenn es um den internationalen Chopinwettbewerb geht ist sie kritisch „… nichts als lauter Möchtegernchopins, müder Abklatsch, Chopiniewskys!“ (Seite 58) Sie definiert dann auch die verschiedenen Typen von Chopin-Interpreten. Aber auch die Komponisten stellt sie sehr anschaulich dar. Bei Bach meint sie „Bach war ein Zeichner. Chopin ein Maler. … Bach bietet Bleistiftzeichnungen, die man kolorieren kann. Chopin nicht. Im Grunde hat seine Technik etwas Aquarellartiges“ (Seite 19) Der Autor des Buchs schafft es das Verhältnis Chopins zu Polen in wenigen Sätzen zu beschreiben: „Chopin ist 1830 aus Polen geflohen, unmittelbar vor dem Aufstand gegen Russland. Weil es Polen seit 1795, als sein Terretorium zwischen drei Ländern aufgeteilt worden war, nicht mehr auf der Karte gab, hat Chopins Musik die polnische Nation verkörpert. Polen, das war ein Jahrhundert lang Chopin. Er hielt die Flamme aus der Ferne am Brennen, indem er ihr in seinen Mazurken oder Polonaisen ein ruhmreiches ewiges Leben schenkte. 1918 ist Polen wieder Polen geworden, aber nicht für lange, denn die Nazis haben es besetzt und Chopin verboten. Man riskierte Gefängnis, wenn man ein Nocturne anhörte; man kam sonntagnachmittags heimlich in Wohnungen zusammen, um über seine Töne das gedemütigte Vaterland zurückzuerobern. Danach ist der Kommunismus herangebrandet, eine neue russische Geisel deutschen Ursprungs … „ (Seite 86) Als die Klavierlehrerin Frankreich verlässt, um in ihre polnische Heimat zurückzukehren, endet der Unterricht. Jahrzehnte später – Eric ist ein anerkannter Schriftsteller geworden – trifft er sie bei einer Lesung in Polen wieder. Reporter befragen die Dame über das Klavierspiel des Schriftstellers. Sie aber bleibt diplomatisch und er spielt weiter Klavier. Es ist ein kleines Buch, das leicht und angenehm zu lesen ist. Der Autor – Eric Emmanuel Schmitt - ist ein international anerkannter französischer Schriftsteller. 2004 erhielt er unter anderem den Deutschen Bücherpreis. Er ist es, der die Brücke Chopins zwischen Polen und Frankreich schlägt. |
HOPPE, Felicitas Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm Buch 2021. @book{HOPPE2021, title = {Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm}, author = {Felicitas HOPPE}, year = {2021}, date = {2021-12-28}, abstract = {HOPPE, Felicitas: „Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm“, Frankfurt 2021 Im Rahmen der „Europäischen Literaturtage“ in Krems hatte die Autorin aus ihrem Buch gelesen. Es klang spannend und neu. Beim Selbstlesen wurde es aber schwieriger. Es ist ein schwieriger Text. Er setzt die Kenntnis des Original-Nibelungenliedes voraus. Auch stilistisch ist es aus der Zeit gefallen, aber literarisch sicher neu und gut. Das Stück ist, wie die Beschreibung einer Theateraufführung aufgebaut. In den einzelnen Akten wird der Hergang beschrieben, wobei eben auf die neuzeitliche Aufführung auf einer Freilichtbühne Bezug genommen wird. Der erste Akt, der sich „Der Rhein“ nennt , spielt in Worm. Es geht um Differenzen und Konflikte, wie etwa zwischen Brunhild und Kriemhild; zwischen den Männern Hagen und Siegfried, ja auch um die Unterschiede der Flüsse Rhein und Donau. Wie bei einer Fernsehübertragung werden in der Pause Interviews mit den Schauspielern geführt. Dabei wird ein Bezug zwischen der Rolle des jeweiligen Schauspielers/Schauspielerin zu ihrer Person hergestellt. Brunhild wird etwa nicht nur nach ihrer Rolle der starken Frau beschrieben, sondern auch als atheltische und sportliche Person. Spielt der erste Akt am Rhein, so ist der zweite an der Donau. Nach der zweiten Pause, in der wieder Schauspieler befragt werden, kommt ein Akt, der sich „Die Klage“ nennt. Nach dem vorangegangenen Gemetzel, bei dem die meisten Darsteller sterben, hält König Etzel Gericht. Der Berichterstatter für dieses Buch wird zur Rede gestellt. Er war verliebt und es wurde ihm „der größte Auftrag erteilt: die Geschichte der Nibelungen niederzuschreiben.“ (Seite 243) Nur Brunhild ist dem Gemetzel entgangen „Denn während alle anderen unterwegs in den Untergang waren, ist Brunhild einfach zu Hause geblieben.“ (Seite 246) Indirekt kritisiert die Autorin ihre Arbeit, indem sie schreibt „Und weil in der Nibelungenwerkstatt diese fadenscheinigen Schriftsteller sitzen, die immer noch glauben, das Original reiche nicht aus und müsse für die Festspiele auf neuesten Stand gebracht werden. Dabei sind wir uns schon seit Jahren einig darüber, dass das Original nicht tu toppen ist.“ (Seite 100) Vielleicht war es auch ein Anreiz dieses Stück zu schreiben, weil das Original viele nicht gelesen oder nicht verstanden haben. In den Pauseninterviews legt sie einem Schauspieler das in den Mund: „Kein Einziger von uns kann ihnen sagen, worum es in diesem Stück wirklich geht, aber wir lieben es alle. Wir leben davon, dass wir es nicht verstehen.“ (Seite 84) }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } HOPPE, Felicitas: „Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm“, Frankfurt 2021 Im Rahmen der „Europäischen Literaturtage“ in Krems hatte die Autorin aus ihrem Buch gelesen. Es klang spannend und neu. Beim Selbstlesen wurde es aber schwieriger. Es ist ein schwieriger Text. Er setzt die Kenntnis des Original-Nibelungenliedes voraus. Auch stilistisch ist es aus der Zeit gefallen, aber literarisch sicher neu und gut. Das Stück ist, wie die Beschreibung einer Theateraufführung aufgebaut. In den einzelnen Akten wird der Hergang beschrieben, wobei eben auf die neuzeitliche Aufführung auf einer Freilichtbühne Bezug genommen wird. Der erste Akt, der sich „Der Rhein“ nennt , spielt in Worm. Es geht um Differenzen und Konflikte, wie etwa zwischen Brunhild und Kriemhild; zwischen den Männern Hagen und Siegfried, ja auch um die Unterschiede der Flüsse Rhein und Donau. Wie bei einer Fernsehübertragung werden in der Pause Interviews mit den Schauspielern geführt. Dabei wird ein Bezug zwischen der Rolle des jeweiligen Schauspielers/Schauspielerin zu ihrer Person hergestellt. Brunhild wird etwa nicht nur nach ihrer Rolle der starken Frau beschrieben, sondern auch als atheltische und sportliche Person. Spielt der erste Akt am Rhein, so ist der zweite an der Donau. Nach der zweiten Pause, in der wieder Schauspieler befragt werden, kommt ein Akt, der sich „Die Klage“ nennt. Nach dem vorangegangenen Gemetzel, bei dem die meisten Darsteller sterben, hält König Etzel Gericht. Der Berichterstatter für dieses Buch wird zur Rede gestellt. Er war verliebt und es wurde ihm „der größte Auftrag erteilt: die Geschichte der Nibelungen niederzuschreiben.“ (Seite 243) Nur Brunhild ist dem Gemetzel entgangen „Denn während alle anderen unterwegs in den Untergang waren, ist Brunhild einfach zu Hause geblieben.“ (Seite 246) Indirekt kritisiert die Autorin ihre Arbeit, indem sie schreibt „Und weil in der Nibelungenwerkstatt diese fadenscheinigen Schriftsteller sitzen, die immer noch glauben, das Original reiche nicht aus und müsse für die Festspiele auf neuesten Stand gebracht werden. Dabei sind wir uns schon seit Jahren einig darüber, dass das Original nicht tu toppen ist.“ (Seite 100) Vielleicht war es auch ein Anreiz dieses Stück zu schreiben, weil das Original viele nicht gelesen oder nicht verstanden haben. In den Pauseninterviews legt sie einem Schauspieler das in den Mund: „Kein Einziger von uns kann ihnen sagen, worum es in diesem Stück wirklich geht, aber wir lieben es alle. Wir leben davon, dass wir es nicht verstehen.“ (Seite 84) |
Fatland, Erika Hoch oben. Eine Reise durch den Himalaya Buch 2021. @book{Fatland2021, title = {Hoch oben. Eine Reise durch den Himalaya}, author = {Erika Fatland}, year = {2021}, date = {2021-12-19}, abstract = {FATLAND, Erika: „Hoch oben. Eine Reise durch den Himalaya“, Berlin 2021 „Wenn Jemand eine Reise tut, dann hat er was zum Erzählen“. Dieses Sprichwort ist für die Autorin des vorliegenden Buches zu wenig. Sie reiste allein durch alle Länder entlang des Himlaya. Sie ist eine Abenteuerin. Als ich sie bei den Europäischen Literaturtagen kennenlernen durfte, stand mir eine bescheidene junge Frau gegenüber. Man würde nicht vermuten, was sie alles erlebt hat. Auch in ihren Erzählungen wirkt sie bescheiden, aber ihr Buch quillt über von Neuigkeiten, Abenteuern und Erlebnissen. Die Länge der Reise – sie war ein Jahr lang unterwegs – schlägt sich auch im Umfang des Buches nieder: über 600 Seiten, die auf den Leser aber nicht langweilig wirken. Packend führt sie durch die verschiedenen Länder und gibt persönliche Erlebnisse wieder. Man fällt beim Lesen von einer Überraschung in die nächste. Man erlebt verschiedene Welten. Faitland meinte, dass sie 5 Länder bereiste, aber viele Kulturen erlebte. In fast jedem Tal eröffnete sich eine andere Lebensweise. Man kommt durch Teeplantagen und vergangene Königreiche, die in angrenzente Länder wie Indien, Pakistan oder China aufgegangen sind. Viele der Grenzen sind noch nicht geklärt und auf der Landkarte strichliert eingezeichnet. Wichtig sind der Autorin die Menschen. Mit vielen hat sie Kontakt. Jeder Kontakt ergibt eine schöne Geschichte. Ob es sich um eine Prinzessin, eine Chauffeur oder einen Manager einer Plantage handelt: sie erzählen, wie sie leben. Auch in die abgelegenen Täler kommen die neuen Technologien. Es „bahnen sich neue Straßen ihren Weg wie Lindwürmer aus schwarzem Asphalt, auf deren Rücken die Modernität reitet. Ich hatte es gesehen. Ich hatte die Abwanderung der Menschen gesehen und die Mobiltelefone, die in den Bergdörfern des Himalaya mit demgleichen verlockenden, öden Schein in dunklen Abenden leuchten wie überall, wo sich Jugendliche treffen. Alles verändert sich, immer. Das Kleine wird vom Großen geschluckt, kleine Königreiche verschwinden, enge geschlossene Täler öffnen sich, und die Welt strömt hinein, hier wie überall. In einem solchen Tal stoßen die Interessen eines Weltimperiums brutal auf die Interessen eines anderen, und was geschieht dann mit den Menschen, die in diesem Tal leben? … Das Kleine wird vom Großen geschluckt, aber das Kleine lebt weiter.“ (Seite 628/629) Aber trotz allem Eindringen von Modernität konnte Erika Fatland in abgelegenen Tälern, wo keine normalen Touristen hinkommen, noch das Ursprüngliche erleben und sehen. Kathmandu war, als ich Anfang der 1970er Jahre dort war noch ein unterentwickeltes Dorf. Die Landebahn des Flughafens war noch eine Wiese. Heute ist es eine moderne Stadt. Die Autorin ist aber hinaus gegangen in die kleinen und entlegenen Dörfer, um noch die alte Tradition einzufangen, solange es sie noch gibt. Großartig! Es ist ein dickes Buch, aber keine Seite ist zu viel. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } FATLAND, Erika: „Hoch oben. Eine Reise durch den Himalaya“, Berlin 2021 „Wenn Jemand eine Reise tut, dann hat er was zum Erzählen“. Dieses Sprichwort ist für die Autorin des vorliegenden Buches zu wenig. Sie reiste allein durch alle Länder entlang des Himlaya. Sie ist eine Abenteuerin. Als ich sie bei den Europäischen Literaturtagen kennenlernen durfte, stand mir eine bescheidene junge Frau gegenüber. Man würde nicht vermuten, was sie alles erlebt hat. Auch in ihren Erzählungen wirkt sie bescheiden, aber ihr Buch quillt über von Neuigkeiten, Abenteuern und Erlebnissen. Die Länge der Reise – sie war ein Jahr lang unterwegs – schlägt sich auch im Umfang des Buches nieder: über 600 Seiten, die auf den Leser aber nicht langweilig wirken. Packend führt sie durch die verschiedenen Länder und gibt persönliche Erlebnisse wieder. Man fällt beim Lesen von einer Überraschung in die nächste. Man erlebt verschiedene Welten. Faitland meinte, dass sie 5 Länder bereiste, aber viele Kulturen erlebte. In fast jedem Tal eröffnete sich eine andere Lebensweise. Man kommt durch Teeplantagen und vergangene Königreiche, die in angrenzente Länder wie Indien, Pakistan oder China aufgegangen sind. Viele der Grenzen sind noch nicht geklärt und auf der Landkarte strichliert eingezeichnet. Wichtig sind der Autorin die Menschen. Mit vielen hat sie Kontakt. Jeder Kontakt ergibt eine schöne Geschichte. Ob es sich um eine Prinzessin, eine Chauffeur oder einen Manager einer Plantage handelt: sie erzählen, wie sie leben. Auch in die abgelegenen Täler kommen die neuen Technologien. Es „bahnen sich neue Straßen ihren Weg wie Lindwürmer aus schwarzem Asphalt, auf deren Rücken die Modernität reitet. Ich hatte es gesehen. Ich hatte die Abwanderung der Menschen gesehen und die Mobiltelefone, die in den Bergdörfern des Himalaya mit demgleichen verlockenden, öden Schein in dunklen Abenden leuchten wie überall, wo sich Jugendliche treffen. Alles verändert sich, immer. Das Kleine wird vom Großen geschluckt, kleine Königreiche verschwinden, enge geschlossene Täler öffnen sich, und die Welt strömt hinein, hier wie überall. In einem solchen Tal stoßen die Interessen eines Weltimperiums brutal auf die Interessen eines anderen, und was geschieht dann mit den Menschen, die in diesem Tal leben? … Das Kleine wird vom Großen geschluckt, aber das Kleine lebt weiter.“ (Seite 628/629) Aber trotz allem Eindringen von Modernität konnte Erika Fatland in abgelegenen Tälern, wo keine normalen Touristen hinkommen, noch das Ursprüngliche erleben und sehen. Kathmandu war, als ich Anfang der 1970er Jahre dort war noch ein unterentwickeltes Dorf. Die Landebahn des Flughafens war noch eine Wiese. Heute ist es eine moderne Stadt. Die Autorin ist aber hinaus gegangen in die kleinen und entlegenen Dörfer, um noch die alte Tradition einzufangen, solange es sie noch gibt. Großartig! Es ist ein dickes Buch, aber keine Seite ist zu viel. |
GRIESSLER, Margareta 2021. @book{GRIESSLER2021, title = {China. Eine Annäherung}, author = { Margareta GRIESSLER}, year = {2021}, date = {2021-12-08}, abstract = {GRIESSLER, Margareta: „China. Eine Annäherung“, Wien 2007 Obwohl ich nun schon mehrere Jahrzehnte jährlich nach China fahre, habe ich mit diesem Buch wieder Neues gelernt. Sehr systematisch und emotionslos beschreibt die Autorin die Situation Chinas und stellt mit einer historischen Betrachtung ein Verständnis für die Kultur her. Sie versuchte eine gesamtheitliche Betrachtung herzustellen, indem sie Gegenwart und Vergangenheit genauso vereint, wie Wirtschaft, Politik, Kultur und Geographie. Klischees und Medienberichte sind hier ausgeschaltet. Gerade in der heutigen Zeit, wo Handelsrestriktionen kriegsähnlichen Einsatz bekommen ist eine sachliche Darstellung der großen Handelsnation China wichtig um Politik von Fakten zu trennen. Ein sehr gutes Nachschlagwerk das ein besseres Verständnis für das Land und seine Bewohner bietet. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } GRIESSLER, Margareta: „China. Eine Annäherung“, Wien 2007 Obwohl ich nun schon mehrere Jahrzehnte jährlich nach China fahre, habe ich mit diesem Buch wieder Neues gelernt. Sehr systematisch und emotionslos beschreibt die Autorin die Situation Chinas und stellt mit einer historischen Betrachtung ein Verständnis für die Kultur her. Sie versuchte eine gesamtheitliche Betrachtung herzustellen, indem sie Gegenwart und Vergangenheit genauso vereint, wie Wirtschaft, Politik, Kultur und Geographie. Klischees und Medienberichte sind hier ausgeschaltet. Gerade in der heutigen Zeit, wo Handelsrestriktionen kriegsähnlichen Einsatz bekommen ist eine sachliche Darstellung der großen Handelsnation China wichtig um Politik von Fakten zu trennen. Ein sehr gutes Nachschlagwerk das ein besseres Verständnis für das Land und seine Bewohner bietet. |
RANSMAYR, Christoph Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten Buch 2021. @book{RANSMAYR2021, title = {Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten}, author = {Christoph RANSMAYR}, year = {2021}, date = {2021-12-06}, abstract = {RANSMAYR, Christoph: „Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten“, Frankfurt 2021 Vielleicht hätte ich mir dieses Buch nicht gekauft, aber Ransmayr selbst regte mich bei einer Lesung im Rahmen der Europäischen Literaturtage in Krems dazu an. Noch vor Ort kaufte ich es und bat Ransmayr es zu signieren. Ich fragte ihn „Können sie ihren Namen schreiben?“ und zeigte auf das Buch. Die Leute um ihn und auch er selbst lachte. Meine Frage hätte auch bedeuten können „Können sie schreiben?“ Der Icherzähler dieser „kurzen Geschichte vom Töten“ ist ein Hydrotechniker, der in verschiedensten Ländern beim Bau von Wasserkraftwerken im Einsatz ist. Er selbst ist als Sohn eines „Fallmeisters“, das ist ein Mann, der für die Versorgung von Wasserkanälen verantwortlich ist, über die Boote einen Wasserfall umschiffen können. Er ist am Ufer des „Weißen Flusses“ aufgewachsen. Gemeinsam mit seiner Schwester hat er da das Flusswasser kennen und schätzen gelernt. Als er sich gerade in Südamerika auf Einsatz an einer Baustelle befindet, erfährt er von seiner Schwester, dass der Vater ertrunken sei; in einem Boot den Wasserfall hinunter gestürzt sei. Seine Frau, sie stammte von der Adria, hatte ihn schon vorher verlassen. Unter seiner Leitung fand schon vor seinem Unfall einer mit einer voll besetzten Zille statt, bei der alle Insassen, Bewohner des Dorfes, ums Leben kamen. Der Vater – so war die Meinung im Ort – habe alles versucht, um den Unfall zu verhindern. Bei seinen Hilfeversuchen hatte er sich selbst schwer verletzt und wurde zum Helden gekürt. Nach und nach glaubte der Sohn aber anderes herauszufinden. Der Vater ein Mörder? Er hatte seine Familie verloren. War auf Arbeitseinsätzen. Zuerst in Lateinamerika und dann in Asien. Europa zerbröselte in Klein- und Kleinststaaten. Er, der in Rotterdam studiert hatte verlor durch die Ausrufung der Unabhängigkeit Rotterdams und den Gegenreaktionen der anderen Kleinstaaten sein Abschlussdiplom. Es war ungültig geworden und er kündigte seinen Job. Man bot ihm nach einer Übergangszeit von drei Monaten die Stelle seines Vaters als Fallmeister an. Die drei Monate nutzte er, um seine verlorene Familie wieder zu finden. Seine Schwester Mira war in Norddeutschland verheiratet. Elektronisch kündigte er sein Kommen an. Das Netz war überwacht und er wusste nicht, ob seine Nachrichten auch ankamen. Auch in Asien waren die Länder in Kleinstaaten zerfallen und so musste sein Flugzeug oft zwischenlanden. Man brauchte Visa und Genehmigungen. Für eine Strecke, die früher 12 Stunden dauerte, brauchte er fünf Tage. Nachdem er seine Schwester, die ihn als Jugendlichen verführt hatte, besucht hatte, musste er fluchtartig quer durch Europa reisen, um seine Mutter an der Adria zu finden. Ransmayr hat mit diesem Buch großartige Literatur geliefert. Eine Romangeschichte, die sich auch mit Zukunftszenarien wie dem Klimawandel und dem Zerfall der Europäischen Union auseinandersetzt. Eingebettet wird das in eine Familiengeschichte, die – bei allem Weltunheil - einen versöhnlichen Ausgang hat. Einen Ausgang, wie man ihn nicht vermutet. Eine Geschichte, in der, der den Mörder Verfolgende selbst zum Mörder wird. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } RANSMAYR, Christoph: „Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten“, Frankfurt 2021 Vielleicht hätte ich mir dieses Buch nicht gekauft, aber Ransmayr selbst regte mich bei einer Lesung im Rahmen der Europäischen Literaturtage in Krems dazu an. Noch vor Ort kaufte ich es und bat Ransmayr es zu signieren. Ich fragte ihn „Können sie ihren Namen schreiben?“ und zeigte auf das Buch. Die Leute um ihn und auch er selbst lachte. Meine Frage hätte auch bedeuten können „Können sie schreiben?“ Der Icherzähler dieser „kurzen Geschichte vom Töten“ ist ein Hydrotechniker, der in verschiedensten Ländern beim Bau von Wasserkraftwerken im Einsatz ist. Er selbst ist als Sohn eines „Fallmeisters“, das ist ein Mann, der für die Versorgung von Wasserkanälen verantwortlich ist, über die Boote einen Wasserfall umschiffen können. Er ist am Ufer des „Weißen Flusses“ aufgewachsen. Gemeinsam mit seiner Schwester hat er da das Flusswasser kennen und schätzen gelernt. Als er sich gerade in Südamerika auf Einsatz an einer Baustelle befindet, erfährt er von seiner Schwester, dass der Vater ertrunken sei; in einem Boot den Wasserfall hinunter gestürzt sei. Seine Frau, sie stammte von der Adria, hatte ihn schon vorher verlassen. Unter seiner Leitung fand schon vor seinem Unfall einer mit einer voll besetzten Zille statt, bei der alle Insassen, Bewohner des Dorfes, ums Leben kamen. Der Vater – so war die Meinung im Ort – habe alles versucht, um den Unfall zu verhindern. Bei seinen Hilfeversuchen hatte er sich selbst schwer verletzt und wurde zum Helden gekürt. Nach und nach glaubte der Sohn aber anderes herauszufinden. Der Vater ein Mörder? Er hatte seine Familie verloren. War auf Arbeitseinsätzen. Zuerst in Lateinamerika und dann in Asien. Europa zerbröselte in Klein- und Kleinststaaten. Er, der in Rotterdam studiert hatte verlor durch die Ausrufung der Unabhängigkeit Rotterdams und den Gegenreaktionen der anderen Kleinstaaten sein Abschlussdiplom. Es war ungültig geworden und er kündigte seinen Job. Man bot ihm nach einer Übergangszeit von drei Monaten die Stelle seines Vaters als Fallmeister an. Die drei Monate nutzte er, um seine verlorene Familie wieder zu finden. Seine Schwester Mira war in Norddeutschland verheiratet. Elektronisch kündigte er sein Kommen an. Das Netz war überwacht und er wusste nicht, ob seine Nachrichten auch ankamen. Auch in Asien waren die Länder in Kleinstaaten zerfallen und so musste sein Flugzeug oft zwischenlanden. Man brauchte Visa und Genehmigungen. Für eine Strecke, die früher 12 Stunden dauerte, brauchte er fünf Tage. Nachdem er seine Schwester, die ihn als Jugendlichen verführt hatte, besucht hatte, musste er fluchtartig quer durch Europa reisen, um seine Mutter an der Adria zu finden. Ransmayr hat mit diesem Buch großartige Literatur geliefert. Eine Romangeschichte, die sich auch mit Zukunftszenarien wie dem Klimawandel und dem Zerfall der Europäischen Union auseinandersetzt. Eingebettet wird das in eine Familiengeschichte, die – bei allem Weltunheil - einen versöhnlichen Ausgang hat. Einen Ausgang, wie man ihn nicht vermutet. Eine Geschichte, in der, der den Mörder Verfolgende selbst zum Mörder wird. |
KASSABOVA, Kapka Am See. Reise zu meinen Vorfahren in Krieg und Frieden Buch 2021. @book{KASSABOVA2021, title = {Am See. Reise zu meinen Vorfahren in Krieg und Frieden}, author = {Kapka KASSABOVA}, year = {2021}, date = {2021-12-01}, abstract = {KASSABOVA, Kapka: „Am See. Reise zu meinen Vorfahren in Krieg und Frieden“, Wien 2021 Während der „Europäischen Literaturtage 2021“ in Krems machten wir mit der Verfasserin dieses Buches Bekanntschaft. In den vier Jahren unseres Kosovoaufenthalts sind wir oft nach Mazedonien gefahren. Es war ein erster Schritt in westliche Zivilisation, wo man in den Geschäften (fast) alles bekam. Oft waren wir am Ochridsee und waren verliebt in diese Gegend. Auch im Winter fuhren wir hin. Mit dem vorliegenden Buch werden viele der Erinnerungen wieder wach. Auch die geschichtliche Einführung über das Land Mazedonien und seine Veränderungen werden in der Einführung vermittelt. Hier erfährt man, warum Bulgarien Anspruch auf das hat, das aus dem ehemaligen Jugoslawien ohne Kämpfe herausgefallen war, aber den Eintritt in die EU noch immer nicht geschafft hat. Die Autorin geht ihren Vorfahren nach und hier vor allem als Leitfigur ihrer Großmutter Anastassia. Sie selbst ist mit ihren Eltern nach Neuseeland emigriert. Kam aber dann allein wieder nach Europa zurück. Heute lebt sie in Schottland und ist eine anerkannte Schriftfstellerin. Als solche sucht sie ihre Wurzeln in Mazedonein und den umliegenden Ländern am Balkan. Der zentrale Punkt ist der Ochridsee. Zu dem kommt sie zum Recherchieren und bleibt mehrere Wochen. Das Ergebnis dieser Arbeiten ist der erste Teil des vorliegenden Buchs. Wie in einer Fernsehdokumentation werden Gespräche mit Menschen, Verwandten, Bulgaren, Mazedoniern, Albanern und Griechen geführt. So entstehen Blitzlichter, in denen auch die Geschichte der Region aufflackert. Viel war in dieser Aufenthaltszeit zusammengekommen und sie verlässt den Ochridsee, um zu Hause in Schottland alles aufarbeiten zu können. Aber schon bei der Abreise weiss sie, dass sie wiederkommen wird. Das wird dann der zweite Teil des Buchs. Der handelt am höher gelegenen Prespa See. War es im ersten Teil primär das Suchen nach Familienspuren, so ist es im zweiten Teil eine Bestandsaufnahme der Lage dieses Vielvölker-gewirrs. Sie quartierte sich in einem kleinen Hotel am See ein und fährt die Gegend ab, um mit Zeitzeugen zu reden und deren Geschichten wiederzugeben. Sie trifft auch einige, die geflüchtet oder ausgewandert sind, aber der See zieht sie immer wieder zurück. Man erfährt auch, dass nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur Griechen die Türkei verlassen mussten und umgekehrt, sondern auch 60.000 Bulgarien aus Griechenland ausgewiesen wurden. Grenzen wurden von Politikern ohne Bezug zur lokalen Situation gezogen. Experten fuhren die Grenzgebiete ab und stellten an Hand der Sprache fest, wohin das Land zukünftig gehören soll. Sie machten es, indem sie Geldmünzen in die Luft warfen und sahen, wie sich die Kinder darum stritten und in welcher Sprache. Oft wurden die Kinder durch die neuen Machthaber von ihren Familien abgesondert in in Umschulungslager gebracht. Sehr gut erklärt werden auch die religiösen Unterschiede und vor allem wie anders der Islam am Balkan ist mit seinen Derwischen, die auch Alkohol trinken. Oft haben sich die Grenzen geändert. „Innerhalb von vierzig Jahren wurde Ochrid je zweimal von Serbien und Bulgarien beansprucht und annektiert; es wechselte also seit der Befreiung von den Osmanen viermal den Besitzer“ (Seite 71) Viele Kriege gab es. Familien wurden auseinander gerissen. Menschen mussten fliehen oder auswandern. Viele kamen um oder wurden verfolgt. Hier verliefen die Fronten im Ersten und Zweiten Weltkrieg und oft kämpften Familienangehörige gegeneinander. Frankreich hatte orientalische Truppen hier in den Bergen installiert und noch in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts fand ein Schafhirte in einer Höhle französischen Champagner. Manche hat es härter getroffen. „Die Albaner hatten nur drei Jahrzehnte relativer Freiheit erlebt, jene Zeit, nachdem die osmanischen Kolonisatoren gingen und bevor der kommunistische Totalitarismus begann. (Seite 256) Die Zeit des Dikjtators Hoxa ist vorbei, aber Besitzungen und Häuser wurden immer noch nicht zurückgegeben. Sprachen waren oft für ethnische Zugehörigkeiten verantwortlich. Griechisch, Mazedonisch, Bulgarisch, Albanisch, Serbisch. Ein Sprachengewirr. Die Autorin belegt die Dinge mit Beispielen: „Der Familie seiner Frau Elena hatte man verboten Griechisch zu sprechen und Tanas Mutter und Großmutter wagten nicht, mit ihm und seinem Bruder Mazedonisch zu sprechen. Bis heute sprechen Elena und Tanas Albanisch miteinander – die Sprache ihres Unglücks.“ (Seite 129/130) Die Autorin gibt all dies mit Menschenschicksalen wieder. Menschen, die sie bei ihren Aufenthalten getroffen hat. Es ist keine klassische Familiensaga. Es ist mehr ein Bericht über das Entstehen einer solchen. Man folgt beim Lesen des Buches den Recherchen der Autorin und muss aus den Informationen die Familiengeschichte selbst zusammenbauen. Eine unkonventionelle Familiensaga. Fast wie Möbelkauf bei IKEA. Man muss selbst mitarbeiten. Aber es ist trotzdem eine wunderbare Geschichte. PS.: Unverständlich aber bleibt, warum die Autorin so eines guten Buches dem Apostel Paulus eine feministische Behauptung unterstellt, dass „er eine tiefe irrationale Angst vor Frauen“ (Seite 345) hatte. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } KASSABOVA, Kapka: „Am See. Reise zu meinen Vorfahren in Krieg und Frieden“, Wien 2021 Während der „Europäischen Literaturtage 2021“ in Krems machten wir mit der Verfasserin dieses Buches Bekanntschaft. In den vier Jahren unseres Kosovoaufenthalts sind wir oft nach Mazedonien gefahren. Es war ein erster Schritt in westliche Zivilisation, wo man in den Geschäften (fast) alles bekam. Oft waren wir am Ochridsee und waren verliebt in diese Gegend. Auch im Winter fuhren wir hin. Mit dem vorliegenden Buch werden viele der Erinnerungen wieder wach. Auch die geschichtliche Einführung über das Land Mazedonien und seine Veränderungen werden in der Einführung vermittelt. Hier erfährt man, warum Bulgarien Anspruch auf das hat, das aus dem ehemaligen Jugoslawien ohne Kämpfe herausgefallen war, aber den Eintritt in die EU noch immer nicht geschafft hat. Die Autorin geht ihren Vorfahren nach und hier vor allem als Leitfigur ihrer Großmutter Anastassia. Sie selbst ist mit ihren Eltern nach Neuseeland emigriert. Kam aber dann allein wieder nach Europa zurück. Heute lebt sie in Schottland und ist eine anerkannte Schriftfstellerin. Als solche sucht sie ihre Wurzeln in Mazedonein und den umliegenden Ländern am Balkan. Der zentrale Punkt ist der Ochridsee. Zu dem kommt sie zum Recherchieren und bleibt mehrere Wochen. Das Ergebnis dieser Arbeiten ist der erste Teil des vorliegenden Buchs. Wie in einer Fernsehdokumentation werden Gespräche mit Menschen, Verwandten, Bulgaren, Mazedoniern, Albanern und Griechen geführt. So entstehen Blitzlichter, in denen auch die Geschichte der Region aufflackert. Viel war in dieser Aufenthaltszeit zusammengekommen und sie verlässt den Ochridsee, um zu Hause in Schottland alles aufarbeiten zu können. Aber schon bei der Abreise weiss sie, dass sie wiederkommen wird. Das wird dann der zweite Teil des Buchs. Der handelt am höher gelegenen Prespa See. War es im ersten Teil primär das Suchen nach Familienspuren, so ist es im zweiten Teil eine Bestandsaufnahme der Lage dieses Vielvölker-gewirrs. Sie quartierte sich in einem kleinen Hotel am See ein und fährt die Gegend ab, um mit Zeitzeugen zu reden und deren Geschichten wiederzugeben. Sie trifft auch einige, die geflüchtet oder ausgewandert sind, aber der See zieht sie immer wieder zurück. Man erfährt auch, dass nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur Griechen die Türkei verlassen mussten und umgekehrt, sondern auch 60.000 Bulgarien aus Griechenland ausgewiesen wurden. Grenzen wurden von Politikern ohne Bezug zur lokalen Situation gezogen. Experten fuhren die Grenzgebiete ab und stellten an Hand der Sprache fest, wohin das Land zukünftig gehören soll. Sie machten es, indem sie Geldmünzen in die Luft warfen und sahen, wie sich die Kinder darum stritten und in welcher Sprache. Oft wurden die Kinder durch die neuen Machthaber von ihren Familien abgesondert in in Umschulungslager gebracht. Sehr gut erklärt werden auch die religiösen Unterschiede und vor allem wie anders der Islam am Balkan ist mit seinen Derwischen, die auch Alkohol trinken. Oft haben sich die Grenzen geändert. „Innerhalb von vierzig Jahren wurde Ochrid je zweimal von Serbien und Bulgarien beansprucht und annektiert; es wechselte also seit der Befreiung von den Osmanen viermal den Besitzer“ (Seite 71) Viele Kriege gab es. Familien wurden auseinander gerissen. Menschen mussten fliehen oder auswandern. Viele kamen um oder wurden verfolgt. Hier verliefen die Fronten im Ersten und Zweiten Weltkrieg und oft kämpften Familienangehörige gegeneinander. Frankreich hatte orientalische Truppen hier in den Bergen installiert und noch in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts fand ein Schafhirte in einer Höhle französischen Champagner. Manche hat es härter getroffen. „Die Albaner hatten nur drei Jahrzehnte relativer Freiheit erlebt, jene Zeit, nachdem die osmanischen Kolonisatoren gingen und bevor der kommunistische Totalitarismus begann. (Seite 256) Die Zeit des Dikjtators Hoxa ist vorbei, aber Besitzungen und Häuser wurden immer noch nicht zurückgegeben. Sprachen waren oft für ethnische Zugehörigkeiten verantwortlich. Griechisch, Mazedonisch, Bulgarisch, Albanisch, Serbisch. Ein Sprachengewirr. Die Autorin belegt die Dinge mit Beispielen: „Der Familie seiner Frau Elena hatte man verboten Griechisch zu sprechen und Tanas Mutter und Großmutter wagten nicht, mit ihm und seinem Bruder Mazedonisch zu sprechen. Bis heute sprechen Elena und Tanas Albanisch miteinander – die Sprache ihres Unglücks.“ (Seite 129/130) Die Autorin gibt all dies mit Menschenschicksalen wieder. Menschen, die sie bei ihren Aufenthalten getroffen hat. Es ist keine klassische Familiensaga. Es ist mehr ein Bericht über das Entstehen einer solchen. Man folgt beim Lesen des Buches den Recherchen der Autorin und muss aus den Informationen die Familiengeschichte selbst zusammenbauen. Eine unkonventionelle Familiensaga. Fast wie Möbelkauf bei IKEA. Man muss selbst mitarbeiten. Aber es ist trotzdem eine wunderbare Geschichte. PS.: Unverständlich aber bleibt, warum die Autorin so eines guten Buches dem Apostel Paulus eine feministische Behauptung unterstellt, dass „er eine tiefe irrationale Angst vor Frauen“ (Seite 345) hatte. |
WALI, Najem Die Balkanroute Buch 2021. @book{WALI2021, title = {Die Balkanroute}, author = {Najem WALI }, year = {2021}, date = {2021-11-24}, abstract = {WALI, Najem: „Die Balkanroute“, Berlin 2017 Najem Wali durfte ich bei den „Europäischen Literaturtagen“ in Krems kennenlernen. Das Buch über die Balkanroute habe ich gewählt, weil der Autor selbst – dem Krieg im Irak entfliehend – über diese Route in den Westen kam und seither in Deutschland wohnt. Inzwischen sind fast 40 Jahre vergangen und die Fluchtrouten sind sicher schwieriger geworden. Er selbst wird in Deutschland immer noch als Iraker angesehen und seine Familie im Irak sieht ihn als Deutschen. Das vorliegende Buch nimmt aber einen unerwarteten Anfang. Sehr verständlich und gut lesbar wird in den ersten Abschnitten über Wanderungen und Fluchten berichtet. Wali geht dabei auf Zeiten des Propheten Abraham zurück. Abraham, der von allen Eingott-Religionen (Juden, Muslimen und Katholiken) anerkannt wird musste fliehen. „Der starke Mann brach sein Zeltlager ab und verstreute seine Herde in alle Winde.“ (Seite 17) In der Fremde wurden die Frauen zum Heiraten aus der Heimat nachgeholt. Eine Tradition, die türkische Migranten im Westen noch heute betreiben: die Bräute werden aus Anatolien nachgeholt. Babylon und das Zwischenstromland bot bessere Lebensbedingungen. Eine Wohlstandsflucht, wie wir sie auch heute kennen. Helenen, Griechen; immer wieder kam es zu Wanderbewegungen. Im 6. Jahrhundert v.Chr. dann eine Invasion durch die Perser. Alexander der Große stammte aus Mazedonien und eroberte Ländereien entlang der Balkanroute. Odysseus war viele Jahre unterwegs. König Gilgamesch „legte seine prachtvollen Gewänder ab und kleidete sich in Tierhäute, und er begibt sich auf eine lange Wanderschaft, um in der Fremde das Geheimnis des Lebens und der Unsterblichkeit zu finden.“ (Seite 53) Immer wieder ging es entlang der Balkanroute, aber in beide Richtungen. Die Kreuzritter zogen vom Westen in den Osten. Eigentlich entstanden die Kreuzzüge, so erfährt man bei Wali, aus einem Hilferuf des byzantinischen Kaisers Alexios I., um ihm gegen die Muslime und Türken zu helfen. Abenteurer und Ritter sahen darin eine Chance. Muslime wurden aus den ihnen heiligen Städten in Jerusalem vertrieben, aber in den 200 Jahren der Kreuzzüge wurden auch die orthodoxen Glaubensbrüder und Konstantinopel vernichtet. So wie bei heutigen Fluchthelfern profitierten schon damals die Helfer. Das waren europäische Küstenstädte, die den Transport der Ritter und ihrer Söldner gegen Bezahlung übernahmen. Dann stellt Wali einen Wanderer aus dem 14. Jahrhundert vor: Ibn Battuta. Er ist allein gereist und hat dabei 120.000 Kilometer zurückgelegt. Eigentlich wollte er nur eine Pilgerreise von seiner Heimat Marokko nach Mekka unternehmen, war aber dann 24 Jahre unterwegs. Er wanderte weiter; in den Iran, Irak, nach Indien und China. Seine Reiseberichte gingen verloren und wurden erst im 19. Jahrhundert in Ägypten wieder entdeckt. Don Passos fuhr die Balkanroute Anfang des 20. Jahrhunderts im Orientexpress von Venedig nach Istanbul und weiter nach Tiflis, Bagdad und Teheran. Hans Christian Anderson reiste die Strecke und betätigte sich als ausgezeichneter Reiseerzähler. Nur dreißig Seiten werden den heutigen Flüchtlingen auf der Balkanroute gewidmet. Zwei Reisen unternahm der Autor dazu. Er stellte sich als Übersetzer vom arabischen ins spanische einer spanischen medizinischen Hilfsgruppe zur Verfügung und schildert seine Erfahrungen und Eindrücke an der geschlossenen Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien. Er schildert Menschenschicksale, weil die Leute glücklich waren, wenn sie von sich erzählen konnten. Glücksich waren auch die Einheimischen der angrenzenden Dörfer. Sie machten mit den Flüchtlingen Geschäfte, die sie sonst in ihrer abgeschiedenen Lage nie gemacht hätten. Alle Hotels und Pensionen waren ausgebucht und von Mitarbeitern aus internationalen Hilfsorganisationen und Journalisten belegt. Später unternahm der Autor eine zweite Reise auf die Insel Lesbos, auf der die aus der Türkei mit dem Schlauchboot ankommenden Flüchtlinge wie in einem Gefängnis gehalten wurden. Die Lager wurden vom Militär verwaltet, was den oft vor Militärrepressalien geflüchteten Menschen weitere Angst einjagte. Die Ausstattung war katastrophal: „Auf dem felsigen Boden, auf dem die Menschen schlafen, sind Scharen von Skorpionen und Schlangen unterwegs, es gibt weder Elektrizität noch sauberes Wasser, Toiletten und Waschräume sind verdreckt, und immer mehr Menschen leiden an Krankheiten …“ (Seite 163) Im letzten Kapitel springt die Erzählung zur Gründung der Türkei und dem Untergang des osmanischen Reiches zurück. 1916 kam es zum Kleinasienabkommen, in dem alle Balkanländer selbstständig wurden und das osmanische Reich aufgeteilt wurde. Diese Aufteilung löste eine große Völkerwanderung aus. „Ein Abkommen, das die Religionszugehörigkeit zur Grundlage seiner Anwendung machte – und nicht etwa die ethnische Herkunft oder Muttersprache, nicht den Geburtsort oder persönlichen Besitz – und das zur Folge hatte, dass die griechischen Christen, die bislang in der Türkei gelebt hatten, nach Griechenland umgesiedelt wurden und gleichzeitig die muslimischen Einwohner, die in Griechenland beheimatet waren, in die Türkei emigrieren mussten, ob sie wollten oder nicht.“ (Seite 169) Wieder entstanden Flucht- und Wanderungsrouten. Diesmal in beide Richtungen. Das betraf eine halbe Million Muslime in Griechenland und 1,2 Millionen Griechen auf türkischem Gebiet. Dieses Buch liefert eine sehr gute geschichtliche Einführung, die man unter dem Titel „Balkanroute“ nicht vermuten würde, weil man als naiver Leser nur an die Jetztzeit denkt. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } WALI, Najem: „Die Balkanroute“, Berlin 2017 Najem Wali durfte ich bei den „Europäischen Literaturtagen“ in Krems kennenlernen. Das Buch über die Balkanroute habe ich gewählt, weil der Autor selbst – dem Krieg im Irak entfliehend – über diese Route in den Westen kam und seither in Deutschland wohnt. Inzwischen sind fast 40 Jahre vergangen und die Fluchtrouten sind sicher schwieriger geworden. Er selbst wird in Deutschland immer noch als Iraker angesehen und seine Familie im Irak sieht ihn als Deutschen. Das vorliegende Buch nimmt aber einen unerwarteten Anfang. Sehr verständlich und gut lesbar wird in den ersten Abschnitten über Wanderungen und Fluchten berichtet. Wali geht dabei auf Zeiten des Propheten Abraham zurück. Abraham, der von allen Eingott-Religionen (Juden, Muslimen und Katholiken) anerkannt wird musste fliehen. „Der starke Mann brach sein Zeltlager ab und verstreute seine Herde in alle Winde.“ (Seite 17) In der Fremde wurden die Frauen zum Heiraten aus der Heimat nachgeholt. Eine Tradition, die türkische Migranten im Westen noch heute betreiben: die Bräute werden aus Anatolien nachgeholt. Babylon und das Zwischenstromland bot bessere Lebensbedingungen. Eine Wohlstandsflucht, wie wir sie auch heute kennen. Helenen, Griechen; immer wieder kam es zu Wanderbewegungen. Im 6. Jahrhundert v.Chr. dann eine Invasion durch die Perser. Alexander der Große stammte aus Mazedonien und eroberte Ländereien entlang der Balkanroute. Odysseus war viele Jahre unterwegs. König Gilgamesch „legte seine prachtvollen Gewänder ab und kleidete sich in Tierhäute, und er begibt sich auf eine lange Wanderschaft, um in der Fremde das Geheimnis des Lebens und der Unsterblichkeit zu finden.“ (Seite 53) Immer wieder ging es entlang der Balkanroute, aber in beide Richtungen. Die Kreuzritter zogen vom Westen in den Osten. Eigentlich entstanden die Kreuzzüge, so erfährt man bei Wali, aus einem Hilferuf des byzantinischen Kaisers Alexios I., um ihm gegen die Muslime und Türken zu helfen. Abenteurer und Ritter sahen darin eine Chance. Muslime wurden aus den ihnen heiligen Städten in Jerusalem vertrieben, aber in den 200 Jahren der Kreuzzüge wurden auch die orthodoxen Glaubensbrüder und Konstantinopel vernichtet. So wie bei heutigen Fluchthelfern profitierten schon damals die Helfer. Das waren europäische Küstenstädte, die den Transport der Ritter und ihrer Söldner gegen Bezahlung übernahmen. Dann stellt Wali einen Wanderer aus dem 14. Jahrhundert vor: Ibn Battuta. Er ist allein gereist und hat dabei 120.000 Kilometer zurückgelegt. Eigentlich wollte er nur eine Pilgerreise von seiner Heimat Marokko nach Mekka unternehmen, war aber dann 24 Jahre unterwegs. Er wanderte weiter; in den Iran, Irak, nach Indien und China. Seine Reiseberichte gingen verloren und wurden erst im 19. Jahrhundert in Ägypten wieder entdeckt. Don Passos fuhr die Balkanroute Anfang des 20. Jahrhunderts im Orientexpress von Venedig nach Istanbul und weiter nach Tiflis, Bagdad und Teheran. Hans Christian Anderson reiste die Strecke und betätigte sich als ausgezeichneter Reiseerzähler. Nur dreißig Seiten werden den heutigen Flüchtlingen auf der Balkanroute gewidmet. Zwei Reisen unternahm der Autor dazu. Er stellte sich als Übersetzer vom arabischen ins spanische einer spanischen medizinischen Hilfsgruppe zur Verfügung und schildert seine Erfahrungen und Eindrücke an der geschlossenen Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien. Er schildert Menschenschicksale, weil die Leute glücklich waren, wenn sie von sich erzählen konnten. Glücksich waren auch die Einheimischen der angrenzenden Dörfer. Sie machten mit den Flüchtlingen Geschäfte, die sie sonst in ihrer abgeschiedenen Lage nie gemacht hätten. Alle Hotels und Pensionen waren ausgebucht und von Mitarbeitern aus internationalen Hilfsorganisationen und Journalisten belegt. Später unternahm der Autor eine zweite Reise auf die Insel Lesbos, auf der die aus der Türkei mit dem Schlauchboot ankommenden Flüchtlinge wie in einem Gefängnis gehalten wurden. Die Lager wurden vom Militär verwaltet, was den oft vor Militärrepressalien geflüchteten Menschen weitere Angst einjagte. Die Ausstattung war katastrophal: „Auf dem felsigen Boden, auf dem die Menschen schlafen, sind Scharen von Skorpionen und Schlangen unterwegs, es gibt weder Elektrizität noch sauberes Wasser, Toiletten und Waschräume sind verdreckt, und immer mehr Menschen leiden an Krankheiten …“ (Seite 163) Im letzten Kapitel springt die Erzählung zur Gründung der Türkei und dem Untergang des osmanischen Reiches zurück. 1916 kam es zum Kleinasienabkommen, in dem alle Balkanländer selbstständig wurden und das osmanische Reich aufgeteilt wurde. Diese Aufteilung löste eine große Völkerwanderung aus. „Ein Abkommen, das die Religionszugehörigkeit zur Grundlage seiner Anwendung machte – und nicht etwa die ethnische Herkunft oder Muttersprache, nicht den Geburtsort oder persönlichen Besitz – und das zur Folge hatte, dass die griechischen Christen, die bislang in der Türkei gelebt hatten, nach Griechenland umgesiedelt wurden und gleichzeitig die muslimischen Einwohner, die in Griechenland beheimatet waren, in die Türkei emigrieren mussten, ob sie wollten oder nicht.“ (Seite 169) Wieder entstanden Flucht- und Wanderungsrouten. Diesmal in beide Richtungen. Das betraf eine halbe Million Muslime in Griechenland und 1,2 Millionen Griechen auf türkischem Gebiet. Dieses Buch liefert eine sehr gute geschichtliche Einführung, die man unter dem Titel „Balkanroute“ nicht vermuten würde, weil man als naiver Leser nur an die Jetztzeit denkt. |
GRAS, Cedric Stalins Alpinisten. Der Fall Abalakow Artikel 2021. @article{GRAS2021, title = {Stalins Alpinisten. Der Fall Abalakow}, author = {Cedric GRAS}, year = {2021}, date = {2021-11-14}, abstract = {GRAS, Cedric: „Stalins Alpinisten. Der Fall Abalakow“, Innsbruck Wien 2021 Eines vorweg: Fast Niemand im Westen wird mit dem Titel dieses Buches etwas anfangen können. Niemand hier weiß wer Abalakow war. Ich habe mit niedriger Erwartungshaltung zu lesen begonnen und wurde in den Bann gezogen. Diese Geschichte öffnet ein unbekanntes Zeitfenster. Erst der politische Umbruch der UdSSR hat es möglich gemacht. Die Archive aus Stalins Zeit wurden geöffnet und so bekommt man als Leser einen Einblick in die Zeit der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts. Es ist zwar die Geschichte der Bergsteiger, aber genauso ein Zeugnis der gesellschaftspolitischen Situation. Ein Franzose, ein Geograf und begeisterter Alpinist hat das vorliegende Buch geschrieben. „Für die Recherchen dieser Erzählung wollte ich alles mit eigenen Augen sehen, angefangen beim Geburtshaus der Brüder Abalakow. So bin ich nach Krasnojarsk gefahren.“ (Seite 214) Er hat Berge besucht und teilweise selbst bestiegen, weshalb es so eine hautnahe und spannende Erzählung geworden ist. Der Altersunterschied der Abalakowbrüder ist nur ein Jahr: Der eine – Witali – wurde Maschinenbauingenieur, sein Bruder Jewgeni wurde Künstler. Sie sind beide begeisterte Bergsteiger und verdienen ihre ersten Sporen im Kaukasus. Die Sowjetunion will die Berge des Landes erforschen lassen. Es ist aber kein Bergsteigen wie im Westen, sondern – dem kommunistischen Denken entsprechend – ein kollektives. Multidisziplinäre Expeditionen erforschen das Land. Viele der Bergriesen waren in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts noch nicht bestiegen. Laufend werden auch neue entdeckt, wie der 7600 Meter hohe und dann nach dem Führer Pik Stalin benannt. 1933 wird so eine Mannschaft für die Besteigung des neu gefunden Riesen zusammengestellt. Der als Künstler schon bekannte Jewgeni wird in das Team aufgenommen. Allein die Anmarschroute beträgt 700 Kilometer. In seinem Tagebuch schreibt Jewgeni „Der Pamir ist eine der kontinentalsten und abgelegensten Gegenden der Welt.“ (Seite 35) Dabei treffen sie auch auf den längsten Gletscher der Welt. Der Künstler war der Einzige, der den Gipfel erreichte. Als nächstes wird der Pik Lenin bestiegen. Die Brüder sind inzwischen verheiratet und Jewgeni hat eine Tochter. Im Sommer sind sie aber weiter in den Bergen unterwegs und die Familien bleiben allein in Moskau zurück. Bergsteigen ist in der UdSSR nicht nur ein Vergnügen, sondern auch Arbeit für die Wissenschaft. Es wird kartografiert und Gesteinsproben aus Felswänden für einen eventuellen Abbau gesammelt. Ab 1936 wird das Bergsteigen genau kontrolliert. In diesem Jahr machen die Brüder auch ihre letzte gemeinsame Besteigung. Dann trennen sich ihre Wege und sie werden auch sehr unterschiedlich behandelt. Der eine wird als Verräter eingesperrt, gefoltert und entging nur knapp dem Tod. 1937 war die Wende der „konterrevolutionären Alpinisten“, wie es der Autor des Buches nennt. Berge werden in großen Gruppen bestiegen. Bis zu 2000 Mann werden in Richtung Gipfel geschickt. Parallel dazu werden immer mehr alteingesessene Bergsteiger verhaftet, eingesperrt oder ermordet. So traf es auch Witali. In akribischer Kleinarbeit geht der Buchautor in russischen Archiven viele Akten und Dokumentationen durch und erstellt so die Leidensgeschichte des einen. Viele Freunde tätigten Falschaussagen und belasteten andere, um sich selbst eine bessere Position zu schaffen. Wieder freigekommen arbeitet Witali weiter, bringt sein Wissen ein und will auch noch einen höheren Berg besteigen. Sein Bruder wird aber für so eine Expedition nominiert, zu er aber nicht mehr kommt: in der Nacht nach der Nominierung wird er tot aufgefunden. Witali arbeitet weiter darauf hin den höchsten Berg der Welt besteigen zu dürfen. Er, der Künstler und Bergsteiger wechselt in der Sommersaison ins Alpinisten-Fach und im Winter betätigt er sich als Künstler. Nach dem Tod Stalins ändert sich die Situation und viele werden rehabilitiert. Darunter auch Witali. Mit den Chinesen ist eine gemeinsame Besteigung im Himalaya geplant. Man beginnt in russischen Gebirgen, muss aber dann die chinesische Kooperation wegen Unruhen in Tibet abbrechen. Unter Gorbatschow geht es 1960 zum dritten Mal auf den Pik Lenin. Seine Frau Valentina ist ebenfalls aktiv. Die ganze Familie hat sich den Bergen verschrieben. Sohn Oleg wird „Meister des Sports im Alpinismus“ und die Tochter Galina Schifahrerin. Die Besteigung des Pik Kommunism – wie der Berg jetzt heißt - musste abgebrochen werden. Noch im Alter von 60 Jahren ist das Ehepaar in den Bergen unterwegs. Mit 75 Jahren wohnt er in seiner sibirischen Heimat in Krasnojarsk und widmet sich dem weniger anstrengenden Wildwasserfahren. Seinen Lebenstraum, den Mount Everest zu besteigen, kann er sich nicht erfüllen, aber er ist maßgeblich an der Vorbereitung der Ausrüstung für eine Everest-Mission beteiligt. Seine Erfindungen waren erfolgreich und noch heute tragen viel Russen Rucksäcke mit seinem Namen. Nach erfolgreicher Besteigung ist er beim Empfang der sowjetischen Bergsteiger am Moskau Flughafen dabei. Selbst war es ihm nicht vergönnt. Witali starb im 80. Lebensjahr. Er wurde nicht wie sein Bruder am Nowodewitschi Friedhof beigesetzt, sondern weit weg von Moskau. Neben ihm im Grab liegt sein Sohn, der 1993 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, seine Frau Valentina und 1995 die an Krebs verstorebene Tochter. Das vorliegende Buch bringt die Geschichte auch in den Westen. In einem sehr spannend geschriebenen Buch kann man das Leben der zwei berühmten sowjetischen Bergsteiger mitverfolgen. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {article} } GRAS, Cedric: „Stalins Alpinisten. Der Fall Abalakow“, Innsbruck Wien 2021 Eines vorweg: Fast Niemand im Westen wird mit dem Titel dieses Buches etwas anfangen können. Niemand hier weiß wer Abalakow war. Ich habe mit niedriger Erwartungshaltung zu lesen begonnen und wurde in den Bann gezogen. Diese Geschichte öffnet ein unbekanntes Zeitfenster. Erst der politische Umbruch der UdSSR hat es möglich gemacht. Die Archive aus Stalins Zeit wurden geöffnet und so bekommt man als Leser einen Einblick in die Zeit der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts. Es ist zwar die Geschichte der Bergsteiger, aber genauso ein Zeugnis der gesellschaftspolitischen Situation. Ein Franzose, ein Geograf und begeisterter Alpinist hat das vorliegende Buch geschrieben. „Für die Recherchen dieser Erzählung wollte ich alles mit eigenen Augen sehen, angefangen beim Geburtshaus der Brüder Abalakow. So bin ich nach Krasnojarsk gefahren.“ (Seite 214) Er hat Berge besucht und teilweise selbst bestiegen, weshalb es so eine hautnahe und spannende Erzählung geworden ist. Der Altersunterschied der Abalakowbrüder ist nur ein Jahr: Der eine – Witali – wurde Maschinenbauingenieur, sein Bruder Jewgeni wurde Künstler. Sie sind beide begeisterte Bergsteiger und verdienen ihre ersten Sporen im Kaukasus. Die Sowjetunion will die Berge des Landes erforschen lassen. Es ist aber kein Bergsteigen wie im Westen, sondern – dem kommunistischen Denken entsprechend – ein kollektives. Multidisziplinäre Expeditionen erforschen das Land. Viele der Bergriesen waren in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts noch nicht bestiegen. Laufend werden auch neue entdeckt, wie der 7600 Meter hohe und dann nach dem Führer Pik Stalin benannt. 1933 wird so eine Mannschaft für die Besteigung des neu gefunden Riesen zusammengestellt. Der als Künstler schon bekannte Jewgeni wird in das Team aufgenommen. Allein die Anmarschroute beträgt 700 Kilometer. In seinem Tagebuch schreibt Jewgeni „Der Pamir ist eine der kontinentalsten und abgelegensten Gegenden der Welt.“ (Seite 35) Dabei treffen sie auch auf den längsten Gletscher der Welt. Der Künstler war der Einzige, der den Gipfel erreichte. Als nächstes wird der Pik Lenin bestiegen. Die Brüder sind inzwischen verheiratet und Jewgeni hat eine Tochter. Im Sommer sind sie aber weiter in den Bergen unterwegs und die Familien bleiben allein in Moskau zurück. Bergsteigen ist in der UdSSR nicht nur ein Vergnügen, sondern auch Arbeit für die Wissenschaft. Es wird kartografiert und Gesteinsproben aus Felswänden für einen eventuellen Abbau gesammelt. Ab 1936 wird das Bergsteigen genau kontrolliert. In diesem Jahr machen die Brüder auch ihre letzte gemeinsame Besteigung. Dann trennen sich ihre Wege und sie werden auch sehr unterschiedlich behandelt. Der eine wird als Verräter eingesperrt, gefoltert und entging nur knapp dem Tod. 1937 war die Wende der „konterrevolutionären Alpinisten“, wie es der Autor des Buches nennt. Berge werden in großen Gruppen bestiegen. Bis zu 2000 Mann werden in Richtung Gipfel geschickt. Parallel dazu werden immer mehr alteingesessene Bergsteiger verhaftet, eingesperrt oder ermordet. So traf es auch Witali. In akribischer Kleinarbeit geht der Buchautor in russischen Archiven viele Akten und Dokumentationen durch und erstellt so die Leidensgeschichte des einen. Viele Freunde tätigten Falschaussagen und belasteten andere, um sich selbst eine bessere Position zu schaffen. Wieder freigekommen arbeitet Witali weiter, bringt sein Wissen ein und will auch noch einen höheren Berg besteigen. Sein Bruder wird aber für so eine Expedition nominiert, zu er aber nicht mehr kommt: in der Nacht nach der Nominierung wird er tot aufgefunden. Witali arbeitet weiter darauf hin den höchsten Berg der Welt besteigen zu dürfen. Er, der Künstler und Bergsteiger wechselt in der Sommersaison ins Alpinisten-Fach und im Winter betätigt er sich als Künstler. Nach dem Tod Stalins ändert sich die Situation und viele werden rehabilitiert. Darunter auch Witali. Mit den Chinesen ist eine gemeinsame Besteigung im Himalaya geplant. Man beginnt in russischen Gebirgen, muss aber dann die chinesische Kooperation wegen Unruhen in Tibet abbrechen. Unter Gorbatschow geht es 1960 zum dritten Mal auf den Pik Lenin. Seine Frau Valentina ist ebenfalls aktiv. Die ganze Familie hat sich den Bergen verschrieben. Sohn Oleg wird „Meister des Sports im Alpinismus“ und die Tochter Galina Schifahrerin. Die Besteigung des Pik Kommunism – wie der Berg jetzt heißt - musste abgebrochen werden. Noch im Alter von 60 Jahren ist das Ehepaar in den Bergen unterwegs. Mit 75 Jahren wohnt er in seiner sibirischen Heimat in Krasnojarsk und widmet sich dem weniger anstrengenden Wildwasserfahren. Seinen Lebenstraum, den Mount Everest zu besteigen, kann er sich nicht erfüllen, aber er ist maßgeblich an der Vorbereitung der Ausrüstung für eine Everest-Mission beteiligt. Seine Erfindungen waren erfolgreich und noch heute tragen viel Russen Rucksäcke mit seinem Namen. Nach erfolgreicher Besteigung ist er beim Empfang der sowjetischen Bergsteiger am Moskau Flughafen dabei. Selbst war es ihm nicht vergönnt. Witali starb im 80. Lebensjahr. Er wurde nicht wie sein Bruder am Nowodewitschi Friedhof beigesetzt, sondern weit weg von Moskau. Neben ihm im Grab liegt sein Sohn, der 1993 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, seine Frau Valentina und 1995 die an Krebs verstorebene Tochter. Das vorliegende Buch bringt die Geschichte auch in den Westen. In einem sehr spannend geschriebenen Buch kann man das Leben der zwei berühmten sowjetischen Bergsteiger mitverfolgen. |
TANDASCHWILI, Tamar Als Medea Rache übte und die Liebe fand Buch 2021. @book{TANDASCHWILI2021, title = {Als Medea Rache übte und die Liebe fand}, author = {TANDASCHWILI, Tamar}, year = {2021}, date = {2021-11-09}, abstract = {TANDASCHWILI, Tamar: „Als Medea Rache übte und die Liebe fand“, Salzburg Wien 2021 Die georgische Autorin beschäftigt sich in diesem romanhaft verarbeiteten Buch mit der Vergewaltigung und Benachteiligung von Frauen und Transgendern. Beim Lesen hat man als Westeuropäer Schwierigkeiten mit den Namen und kann nur schwer feststellen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Die Vornamen sind für den westlichen Sprachgebrauch nicht bestimmbar. Auch der Aufbau und die Struktur des Buches ist sehr chaotisch und für den Leser ist der Verlauf der Erzählung nur schwer nachvollziehbar. Teilweise ist es so, als wären die Manuskriptblätter hinuntergefallen und wirr zusammengelegt worden. Etwas Klarheit wird auf den letzten beiden Seiten geschaffen, in der sich Medea outet: „Nachdem meine Tochter von einem Auto angefahren wurde und schwerbehindert war, legte ich mein Nonnengelübde ab. Nach fünf Jahren im Kloster vergiftete ich den Archimandriten, kastrierte einen Geschäftsmann, der zu Gast war, setzte meinen geliebten Hund in einer Amphore bei und wendete mich erst dann wieder dem weltlichen Leben zu, als sich mein Ehemann, der seinerzeit ein Mädchen vergewaltigt hatte, im Yogakurs durch Luftanhalten das Leben nahm. Sechs Monate, nachdem ich mein Nonnengewand abgelegt hatte, adoptierte ich die Pflegerin meiner Tochter, eine Transfrau, baute auf meiner Datscha ein Gewächshaus für Bio-Gemüse und verliebte mich wahnsinnig in eine Journalistin.“ (Seite 142/143) }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } TANDASCHWILI, Tamar: „Als Medea Rache übte und die Liebe fand“, Salzburg Wien 2021 Die georgische Autorin beschäftigt sich in diesem romanhaft verarbeiteten Buch mit der Vergewaltigung und Benachteiligung von Frauen und Transgendern. Beim Lesen hat man als Westeuropäer Schwierigkeiten mit den Namen und kann nur schwer feststellen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Die Vornamen sind für den westlichen Sprachgebrauch nicht bestimmbar. Auch der Aufbau und die Struktur des Buches ist sehr chaotisch und für den Leser ist der Verlauf der Erzählung nur schwer nachvollziehbar. Teilweise ist es so, als wären die Manuskriptblätter hinuntergefallen und wirr zusammengelegt worden. Etwas Klarheit wird auf den letzten beiden Seiten geschaffen, in der sich Medea outet: „Nachdem meine Tochter von einem Auto angefahren wurde und schwerbehindert war, legte ich mein Nonnengelübde ab. Nach fünf Jahren im Kloster vergiftete ich den Archimandriten, kastrierte einen Geschäftsmann, der zu Gast war, setzte meinen geliebten Hund in einer Amphore bei und wendete mich erst dann wieder dem weltlichen Leben zu, als sich mein Ehemann, der seinerzeit ein Mädchen vergewaltigt hatte, im Yogakurs durch Luftanhalten das Leben nahm. Sechs Monate, nachdem ich mein Nonnengewand abgelegt hatte, adoptierte ich die Pflegerin meiner Tochter, eine Transfrau, baute auf meiner Datscha ein Gewächshaus für Bio-Gemüse und verliebte mich wahnsinnig in eine Journalistin.“ (Seite 142/143) |
FREUND, René Niemand weiß, wie spät es ist Buch 2021. @book{FREUND2021e, title = {Niemand weiß, wie spät es ist}, author = {René FREUND}, year = {2021}, date = {2021-10-29}, abstract = {FREUND, René: „Niemand weiß, wie spät es ist“, München 2018 Noras Vater ist gestorben. Nora wurde für die Erbabhandlung zum Notar bestellt. Sie wohnt, wie ihr Vater, in Paris. Er ist Deutscher und die Mutter – sie verstarb als Nora vier Jahre alt war - kam aus Österreich. Bei der Öffnung des Testaments wird auch ein junger österreichischer Notariatskollege dazu geholt. Nora versteht nicht warum, aber bald stellt sich der Grund heraus. Nora ist zwar die Erbin, muss aber vorher einige Pflichten erfüllen. Sie muss mit der Urne des Vaters durch Österreich nach genau vorgegebenen Strecken wandern und dann die Urne beisetzen. Der junge Notar wird sie begleiten und der Pariser Notar wird zur jeweiligen Etappe Anweisungen des verstorbenen Vaters schicken. Die erste Reaktion von Nora ist, dass sie das Erbe nicht annimmt. Da weiht sie der Notar ein, dass in diesem Falle das Erbe an einen Pharmakonzern ginge, der das Geld zum Ankauf von Tieren, die für Versuche gebraucht werden, verwenden solle. Nora sieht darin eine Erpressung und nimmt das Testament. Die Anweisungen des schon verstorbenen Vaters sind Videos und eMails, die er vor seinem Tod aufgenommen hat und die der Notar zur jeweiligen Wanderungsorientierung schickt. „Und ich bin mir sicher, dass ich dich erschrecke, weil ich ja tot bin, wenn du das hier siehst. Fühlt sich auch für mich komisch an zu sagen, „weil ich ja tot bin“, denn natürlich wissen alle, dass sie mal sterben müssen, aber so wirklich glauben tut es doch niemand. Man kann es sich auch so schwer vorstellen, tot zu sein, also nicht zu sein, so schwer wie man sich vorstellen kann was vor der Geburt war.“ (Seite 83) Diese Mitteilungen des verstorbenen Vaters sind teilweise sehr philosophisch und handeln – wie es für einen Menschen, der den Tod erwartet – vom Sterben. „Der Tod ist ein Skandal, hat Canetti gesagt. Das ist ein großer Unsinn. Der Tod ist eine simple Tatsache. Der Skandal ist das Leben. Es geht einfach weiter.“ (Seite 192) Der Abschied von der Tochter erfolgt so erst im Nachhinein. „Wir waren ein tolles Team, du und ich. Tut mir leid, dass ich dich allein lasse. Immerhin, manche Dinge sind das erste und das letzte Mal gleichzeitig in einem Leben. Sterben zum Beispiel.“ (Seite 193) Den Ausgang will ich – wie bei einem Kriminalroman – hier nicht vorwegnehmen. Es ist eine sehr kitschige, aber rührende Geschichte. Die Konzepte der Freund-Romane sind immer sehr lustig, unterhaltsam und abwechslungsreich. Der Stil ist geradlinig und einfach. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } FREUND, René: „Niemand weiß, wie spät es ist“, München 2018 Noras Vater ist gestorben. Nora wurde für die Erbabhandlung zum Notar bestellt. Sie wohnt, wie ihr Vater, in Paris. Er ist Deutscher und die Mutter – sie verstarb als Nora vier Jahre alt war - kam aus Österreich. Bei der Öffnung des Testaments wird auch ein junger österreichischer Notariatskollege dazu geholt. Nora versteht nicht warum, aber bald stellt sich der Grund heraus. Nora ist zwar die Erbin, muss aber vorher einige Pflichten erfüllen. Sie muss mit der Urne des Vaters durch Österreich nach genau vorgegebenen Strecken wandern und dann die Urne beisetzen. Der junge Notar wird sie begleiten und der Pariser Notar wird zur jeweiligen Etappe Anweisungen des verstorbenen Vaters schicken. Die erste Reaktion von Nora ist, dass sie das Erbe nicht annimmt. Da weiht sie der Notar ein, dass in diesem Falle das Erbe an einen Pharmakonzern ginge, der das Geld zum Ankauf von Tieren, die für Versuche gebraucht werden, verwenden solle. Nora sieht darin eine Erpressung und nimmt das Testament. Die Anweisungen des schon verstorbenen Vaters sind Videos und eMails, die er vor seinem Tod aufgenommen hat und die der Notar zur jeweiligen Wanderungsorientierung schickt. „Und ich bin mir sicher, dass ich dich erschrecke, weil ich ja tot bin, wenn du das hier siehst. Fühlt sich auch für mich komisch an zu sagen, „weil ich ja tot bin“, denn natürlich wissen alle, dass sie mal sterben müssen, aber so wirklich glauben tut es doch niemand. Man kann es sich auch so schwer vorstellen, tot zu sein, also nicht zu sein, so schwer wie man sich vorstellen kann was vor der Geburt war.“ (Seite 83) Diese Mitteilungen des verstorbenen Vaters sind teilweise sehr philosophisch und handeln – wie es für einen Menschen, der den Tod erwartet – vom Sterben. „Der Tod ist ein Skandal, hat Canetti gesagt. Das ist ein großer Unsinn. Der Tod ist eine simple Tatsache. Der Skandal ist das Leben. Es geht einfach weiter.“ (Seite 192) Der Abschied von der Tochter erfolgt so erst im Nachhinein. „Wir waren ein tolles Team, du und ich. Tut mir leid, dass ich dich allein lasse. Immerhin, manche Dinge sind das erste und das letzte Mal gleichzeitig in einem Leben. Sterben zum Beispiel.“ (Seite 193) Den Ausgang will ich – wie bei einem Kriminalroman – hier nicht vorwegnehmen. Es ist eine sehr kitschige, aber rührende Geschichte. Die Konzepte der Freund-Romane sind immer sehr lustig, unterhaltsam und abwechslungsreich. Der Stil ist geradlinig und einfach. |
HANDKE, Peter 2021. @book{HANDKE2021b, title = { „Versuch über den geglückten Tag. Ein Wintertagtraum“, in „Wer sagt denn, dass die Welt schon entdeckt ist?“}, author = {Peter HANDKE}, year = {2021}, date = {2021-10-24}, abstract = {HANDKE, Peter: „Versuch über den geglückten Tag. Ein Wintertagtraum“, in „Wer sagt denn, dass die Welt schon entdeckt ist?“, Berlin 2019 Ein philosophierender Handke stellt sich mit dieser Erzählung vor. Er stellt sich der Diskussion, was ein geglückter Tag sei. Er unterstellt dabei, dass die meisten so einen Tag schon erlebt haben. Allerdings schränkt er gleich wieder ein und unterscheidet zwischen „schönem“ und „geglücktem“ Tag. Der Leser wird auch aufgefordert sich selbst einen geglückten Tag vorzustellen. Selbstkritisch stellt er auch fest, dass er im „Älterwerden die Tages-, Lebensaugenblicke weniger halten, fassen und würdigen“ (Seite 453) kann. Viele Menschen „beginnen am Morgen mit den Vorsätzen für den einzelnen Tag und stellen am Abend in der Regel dessen Scheitern fest.“ (Seite 457) Die Diskussion bezieht sich auch auf die Länge des „glücklichen Tages.“ Genügt ein Augenblick des Glücks, um ihn so zu nennen, oder muss er durchgängig glücklich sein? Entscheidet man für den Augenblick, dann wird das Leben im Jetzt entscheidend. Auch sei ein „vollkommener“ Tag etwas anderes als ein glücklicher. Der gläubige Autor bringt auch Gott als Einflussfaktor ins Spiel. PS: Mit der Zusatzinformation aus einer Zeitschrift habe ich das JETZT als glückliches Element in eine persönliche Aktion aufgenommen und schreibe auf die Dauer eines Monats jeden Tag drei Dinge auf, für die ich dankbar – glücklich – war: „30 Tage 3 Dinge, für die ich dankbar bin“ }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } HANDKE, Peter: „Versuch über den geglückten Tag. Ein Wintertagtraum“, in „Wer sagt denn, dass die Welt schon entdeckt ist?“, Berlin 2019 Ein philosophierender Handke stellt sich mit dieser Erzählung vor. Er stellt sich der Diskussion, was ein geglückter Tag sei. Er unterstellt dabei, dass die meisten so einen Tag schon erlebt haben. Allerdings schränkt er gleich wieder ein und unterscheidet zwischen „schönem“ und „geglücktem“ Tag. Der Leser wird auch aufgefordert sich selbst einen geglückten Tag vorzustellen. Selbstkritisch stellt er auch fest, dass er im „Älterwerden die Tages-, Lebensaugenblicke weniger halten, fassen und würdigen“ (Seite 453) kann. Viele Menschen „beginnen am Morgen mit den Vorsätzen für den einzelnen Tag und stellen am Abend in der Regel dessen Scheitern fest.“ (Seite 457) Die Diskussion bezieht sich auch auf die Länge des „glücklichen Tages.“ Genügt ein Augenblick des Glücks, um ihn so zu nennen, oder muss er durchgängig glücklich sein? Entscheidet man für den Augenblick, dann wird das Leben im Jetzt entscheidend. Auch sei ein „vollkommener“ Tag etwas anderes als ein glücklicher. Der gläubige Autor bringt auch Gott als Einflussfaktor ins Spiel. PS: Mit der Zusatzinformation aus einer Zeitschrift habe ich das JETZT als glückliches Element in eine persönliche Aktion aufgenommen und schreibe auf die Dauer eines Monats jeden Tag drei Dinge auf, für die ich dankbar – glücklich – war: „30 Tage 3 Dinge, für die ich dankbar bin“ |
RUSSWURM, Vera Der Ameisenhaufen Buch 2021. @book{RUSSWURM2021, title = {Der Ameisenhaufen}, author = {Vera RUSSWURM}, year = {2021}, date = {2021-10-23}, abstract = {RUSSWURM, Vera: „Der Ameisenhaufen“, Wien 2016 Sie ist eine sehr erfolgreiche Fernsehmoderatorin und auch sympathisch. Jetzt ist sie auch Buchautorin. Freunde haben es ihr empfohlen „Schreib doch einmal, wie es hinter den Kulissen bei der Entwicklung eines quotenverdächtigen Showformats zugeht.“ Heißt es im Vorwort. Herausgekommen ist ein Verschnitt zwischen einem Krimi und einer Beschreibung, wie es in einem Fernsehproduktionsbetrieb hergeht. Ersteres ist nicht sehr geglückt. Zweiteres für Laien schon. Ohne den Dieb, der in diesem Roman gesucht wird, vorwegzunehmen – das soll der Leser selbst finden und bis zum Schluss auf Spannung gehalten werden. In die große Literatur wird Russwurm aber nicht eingehen. Besser ist es, sie bleibt bei ihren Stärken, die sie im Fernsehen ausspielt. Das vorliegende Buch ist eine Story, in der sich ein Produktionsfirmenbesitzer selbst verwirklichen will. Er erfindet eine Show, bei der sehr schlimme Kindergartenkinder Erwachsene zur Verzweiflung bringen sollen. Die schlimmsten werden dabei als die besten gewertet. Gewinnen müssen aber die für die Show ernannten Laien-Erzieher. Ursprünglich sollten es Promis sein, die aber viel Geld kosten. Die anscheinend für die beschriebene Firma zu teuer sind. Interessant war aber das Preisgeld. Der Gewinner soll eine Million Euro bekommen. Da Jemand in der Firma eingebrochen und das Geld gestohlen hat, können die prominenten Freizeiterzieher nicht mehr engagiert werden und der Boss ernennt hauseigene Mitarbeiter, die sich dieses Preisgeld verdienen können. Aber auch der Dieb wird gesucht und fast Jeder/Jede verdächtigt Jenen/Jede. Ein interessantes Profil entsteht. Der Leser lernt so die unterschiedlichsten Menschentypen in dieser Branche kennen. Die Show – sie nennt sich so wie das Buch – heißt „Ameisenhaufen“ und muss nach einigen Serien wegen des Rückgangs der Zuseherzahlen eingestellt werden. Da ist auch die Autorin Vera Russwurm besser geraten bei ihren erfolgreichen Shows zu bleiben, denn diese werden nicht so schnell eingestellt. Dazu ist sie zu gut. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } RUSSWURM, Vera: „Der Ameisenhaufen“, Wien 2016 Sie ist eine sehr erfolgreiche Fernsehmoderatorin und auch sympathisch. Jetzt ist sie auch Buchautorin. Freunde haben es ihr empfohlen „Schreib doch einmal, wie es hinter den Kulissen bei der Entwicklung eines quotenverdächtigen Showformats zugeht.“ Heißt es im Vorwort. Herausgekommen ist ein Verschnitt zwischen einem Krimi und einer Beschreibung, wie es in einem Fernsehproduktionsbetrieb hergeht. Ersteres ist nicht sehr geglückt. Zweiteres für Laien schon. Ohne den Dieb, der in diesem Roman gesucht wird, vorwegzunehmen – das soll der Leser selbst finden und bis zum Schluss auf Spannung gehalten werden. In die große Literatur wird Russwurm aber nicht eingehen. Besser ist es, sie bleibt bei ihren Stärken, die sie im Fernsehen ausspielt. Das vorliegende Buch ist eine Story, in der sich ein Produktionsfirmenbesitzer selbst verwirklichen will. Er erfindet eine Show, bei der sehr schlimme Kindergartenkinder Erwachsene zur Verzweiflung bringen sollen. Die schlimmsten werden dabei als die besten gewertet. Gewinnen müssen aber die für die Show ernannten Laien-Erzieher. Ursprünglich sollten es Promis sein, die aber viel Geld kosten. Die anscheinend für die beschriebene Firma zu teuer sind. Interessant war aber das Preisgeld. Der Gewinner soll eine Million Euro bekommen. Da Jemand in der Firma eingebrochen und das Geld gestohlen hat, können die prominenten Freizeiterzieher nicht mehr engagiert werden und der Boss ernennt hauseigene Mitarbeiter, die sich dieses Preisgeld verdienen können. Aber auch der Dieb wird gesucht und fast Jeder/Jede verdächtigt Jenen/Jede. Ein interessantes Profil entsteht. Der Leser lernt so die unterschiedlichsten Menschentypen in dieser Branche kennen. Die Show – sie nennt sich so wie das Buch – heißt „Ameisenhaufen“ und muss nach einigen Serien wegen des Rückgangs der Zuseherzahlen eingestellt werden. Da ist auch die Autorin Vera Russwurm besser geraten bei ihren erfolgreichen Shows zu bleiben, denn diese werden nicht so schnell eingestellt. Dazu ist sie zu gut. |
de WAAL, Edmund Der Hase mit den Bernsteinaugen Buch 2021. @book{WAAL2021, title = {Der Hase mit den Bernsteinaugen}, author = {WAAL, Edmund de}, year = {2021}, date = {2021-10-18}, abstract = {WAAL de, Edmund: „Der Hase mit den Bernsteinaugen“, München 2020 In den ersten 100 Seiten findet man sich als Leser schwer zurecht. Es geht um Netsuke, kleine japanische Figuren. Viele Leser wissen gar nicht, dass es diese gibt. Der Autor entpuppt sich als Experte und kann viel darüber erzählen. Man fühlt sich fast erschlagen von diesen Informationen. Der Autor weiß wie es so einem Leser geht, wenn er auf Seite 281 sagt „man empfindet, wenn man eine Seite umblättert und bemerkt, dass man liest, ohne zu verstehen. Man muss zurückblättern und von vorn beginnen, und die Worte scheinen noch unvertrauter und klingen seltsam im Kopf.“ (Seite 281) Diesen Ratschlag empfehle ich beim Lesen, denn das Buch wird zunehmend spannend und verständlich. Da ist es dann wert die ersten Seiten nochmals zu lesen und letztlich auch zu verstehen. Die in den vorderen Seiten geschriebenen Worte werden verständlich und nicht wie der Autor sagt „noch unvertrauter“. Jedenfalls stellen die Netsuke, diese japanischen kleinen Figuren, den roten Faden durch das Buch und die Familiengeschichte dar. Der Autor ist selbst auch handelnde Person in dieser Familiensaga. Er, der jüngste der Familie, machte sich auf den Weg, um das Leben seiner Vorfahren zu erkunden und letztlich auch in diesem Buch festzuhalten. Die Familiendynastie der Ephrussi hat ihren Ursprung in der Ukraine als bekanntes und anerkanntes Handelsunternehmen mit dem Schwerpunkt auf Weizen. Dann expandierte das Unternehmen und schuf Aussenstellen in London, Wien und Paris. Verschiedene Familienmitglieder übersiedelten nach Wien und Paris und kamen auch dort zu Wohlstand und Ansehen. Als sie 1863 nach Wien kamen lebten hier etwa achttausend Juden. 1867 gab der österreichische Kaiser den Juden das Bürgerrecht und 1890 lebten bereits 118000 Juden in Wien. Da es sich um eine jüdische Familie handelt, ging im Dritten Reich alles verloren. Die Ephrussis waren sehr reich und den Rothschilds ebenbürdig. „1914, vor dem Krieg, hatte Viktor ein Vermögen von fünfundzwanzig Millionen Kronen besessen, etliche Häuser in ganz Wien, das Palais Ephrussi, eine Sammlung Alter Meister und ein Jahreseinkommen von etlichen hunderttausend Kronen. Das entspricht grob geschätzt mehr als dreihundert Millionen Euro.“ (Seite 212) Alle mussten wieder von vorne beginnen. Sie flüchteten und siedlten sich in England, Mexiko und New York an. Nur die Netsuke blieben, weil sie das Dienstmädchen Anna vor den Nazis in ihrer Schürzentasche entführte und in ihrer Matratze versteckte. In den 50er Jahren kamen sie im Koffer eines Onkels nach Japan. Von dort erbte sie der Neffe und Buchautor und verwendete sie als Leitfaden für das vorliegende Buch. Der Autor ist ein de Waal. Sein Großvater heiratete Elisabeth, die Großmutter des Autors. Er ist es, der mit Hilfe seines Vaters und seines in Tokio wohnenden Onkels das Familienleben wieder aufrollt. Er fährt nach Paris, in die Ukraine und nach Japan um nachzuforschen. Am Ende seiner Besichtigungstour kam er nach Odessa, wo die Macht des Clans begann. Hier muss er resümierend feststellen, dass seine Vorfahren nicht geflüchtet sind. Hier gab es alles an Kultur, was sie auch in Wien und Paris erlebten. Trotzdem waren sie globale Menschen. „Charles starb als Russe in Paris. Virktor hielt das für falsch; er war 50 Jahre lang ein Russe in Wien, dann Österreicher, dann Bürger des Deutschen Reiches, dann staatenlos. Elisabeth behielt 50 Jahre lang in England die niederländische Staatsbürgerschaft. Und Iggie war Österreicher, dann Amerikaner, dann ein in Japan lebender Österreicher.“ (Seite 325) Der Onkel Iggie war eine Fundquelle für Edmunds Familienforschung. Iggie war erst in Japan sesshaft geworden. „Er war zweiundvierzig, hatte in Wien, Frankfurt, Paris, New York und Hollywood gelebt, war mit der Armee durch Frankreich nach Deutschland gezogen …“ (Seite 302) Durch die Beschreibung dieses Onkels erfährt man auch von der Situation Japans nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Land ausgebombt und von den Amerikanern besetzt war. Großmutter Elisabeth war eine der ersten weiblichen Jurastudentinnen an der Universität Wien. Ihr Fachwissen setzte sie für die Wiedergutmachung ihrer Familie ein. Wenige Jahre nach dem Krieg war sie die erste der Familie, die nach Wien kam. Sie erzählt, wie schwierig es war von der österreichischen Regierung anerkannt zu werden. Wie man mit ehemaligen Nazis umging und wie man Juden nicht zurück haben wollte enttäuschte sie. „Die nach dem Krieg neu errichtete demokratische Republik Österreich amnestierte 1948 neunzig Prozent der NSDAP Mitglieder, 1957 auch Angehörige der SS und Gestapo“. (Seite 285) Das Vermögen der Ephrussis kam nur in kleinen Schritten und wurde sofort in das Notwendigste für die Familien, wie Schulgeld, gesteckt. Als sie ihr Elternhaus, das Palais gegenüber der Votivkirche besuchte, war dort eine amerikanische Militärbehörde untergebracht. Gegen eine geringe Abstandszahlung verzichteten sie auf weitere Ansprüche. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } WAAL de, Edmund: „Der Hase mit den Bernsteinaugen“, München 2020 In den ersten 100 Seiten findet man sich als Leser schwer zurecht. Es geht um Netsuke, kleine japanische Figuren. Viele Leser wissen gar nicht, dass es diese gibt. Der Autor entpuppt sich als Experte und kann viel darüber erzählen. Man fühlt sich fast erschlagen von diesen Informationen. Der Autor weiß wie es so einem Leser geht, wenn er auf Seite 281 sagt „man empfindet, wenn man eine Seite umblättert und bemerkt, dass man liest, ohne zu verstehen. Man muss zurückblättern und von vorn beginnen, und die Worte scheinen noch unvertrauter und klingen seltsam im Kopf.“ (Seite 281) Diesen Ratschlag empfehle ich beim Lesen, denn das Buch wird zunehmend spannend und verständlich. Da ist es dann wert die ersten Seiten nochmals zu lesen und letztlich auch zu verstehen. Die in den vorderen Seiten geschriebenen Worte werden verständlich und nicht wie der Autor sagt „noch unvertrauter“. Jedenfalls stellen die Netsuke, diese japanischen kleinen Figuren, den roten Faden durch das Buch und die Familiengeschichte dar. Der Autor ist selbst auch handelnde Person in dieser Familiensaga. Er, der jüngste der Familie, machte sich auf den Weg, um das Leben seiner Vorfahren zu erkunden und letztlich auch in diesem Buch festzuhalten. Die Familiendynastie der Ephrussi hat ihren Ursprung in der Ukraine als bekanntes und anerkanntes Handelsunternehmen mit dem Schwerpunkt auf Weizen. Dann expandierte das Unternehmen und schuf Aussenstellen in London, Wien und Paris. Verschiedene Familienmitglieder übersiedelten nach Wien und Paris und kamen auch dort zu Wohlstand und Ansehen. Als sie 1863 nach Wien kamen lebten hier etwa achttausend Juden. 1867 gab der österreichische Kaiser den Juden das Bürgerrecht und 1890 lebten bereits 118000 Juden in Wien. Da es sich um eine jüdische Familie handelt, ging im Dritten Reich alles verloren. Die Ephrussis waren sehr reich und den Rothschilds ebenbürdig. „1914, vor dem Krieg, hatte Viktor ein Vermögen von fünfundzwanzig Millionen Kronen besessen, etliche Häuser in ganz Wien, das Palais Ephrussi, eine Sammlung Alter Meister und ein Jahreseinkommen von etlichen hunderttausend Kronen. Das entspricht grob geschätzt mehr als dreihundert Millionen Euro.“ (Seite 212) Alle mussten wieder von vorne beginnen. Sie flüchteten und siedlten sich in England, Mexiko und New York an. Nur die Netsuke blieben, weil sie das Dienstmädchen Anna vor den Nazis in ihrer Schürzentasche entführte und in ihrer Matratze versteckte. In den 50er Jahren kamen sie im Koffer eines Onkels nach Japan. Von dort erbte sie der Neffe und Buchautor und verwendete sie als Leitfaden für das vorliegende Buch. Der Autor ist ein de Waal. Sein Großvater heiratete Elisabeth, die Großmutter des Autors. Er ist es, der mit Hilfe seines Vaters und seines in Tokio wohnenden Onkels das Familienleben wieder aufrollt. Er fährt nach Paris, in die Ukraine und nach Japan um nachzuforschen. Am Ende seiner Besichtigungstour kam er nach Odessa, wo die Macht des Clans begann. Hier muss er resümierend feststellen, dass seine Vorfahren nicht geflüchtet sind. Hier gab es alles an Kultur, was sie auch in Wien und Paris erlebten. Trotzdem waren sie globale Menschen. „Charles starb als Russe in Paris. Virktor hielt das für falsch; er war 50 Jahre lang ein Russe in Wien, dann Österreicher, dann Bürger des Deutschen Reiches, dann staatenlos. Elisabeth behielt 50 Jahre lang in England die niederländische Staatsbürgerschaft. Und Iggie war Österreicher, dann Amerikaner, dann ein in Japan lebender Österreicher.“ (Seite 325) Der Onkel Iggie war eine Fundquelle für Edmunds Familienforschung. Iggie war erst in Japan sesshaft geworden. „Er war zweiundvierzig, hatte in Wien, Frankfurt, Paris, New York und Hollywood gelebt, war mit der Armee durch Frankreich nach Deutschland gezogen …“ (Seite 302) Durch die Beschreibung dieses Onkels erfährt man auch von der Situation Japans nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Land ausgebombt und von den Amerikanern besetzt war. Großmutter Elisabeth war eine der ersten weiblichen Jurastudentinnen an der Universität Wien. Ihr Fachwissen setzte sie für die Wiedergutmachung ihrer Familie ein. Wenige Jahre nach dem Krieg war sie die erste der Familie, die nach Wien kam. Sie erzählt, wie schwierig es war von der österreichischen Regierung anerkannt zu werden. Wie man mit ehemaligen Nazis umging und wie man Juden nicht zurück haben wollte enttäuschte sie. „Die nach dem Krieg neu errichtete demokratische Republik Österreich amnestierte 1948 neunzig Prozent der NSDAP Mitglieder, 1957 auch Angehörige der SS und Gestapo“. (Seite 285) Das Vermögen der Ephrussis kam nur in kleinen Schritten und wurde sofort in das Notwendigste für die Familien, wie Schulgeld, gesteckt. Als sie ihr Elternhaus, das Palais gegenüber der Votivkirche besuchte, war dort eine amerikanische Militärbehörde untergebracht. Gegen eine geringe Abstandszahlung verzichteten sie auf weitere Ansprüche. |
FREUND, René Ans Meer Buch 2021. @book{FREUND2021d, title = {Ans Meer}, author = {René FREUND}, year = {2021}, date = {2021-10-10}, abstract = {FREUND, René: „Ans Meer“, Wien 2018 Ein sehr nettes und humorvolles Buch. Einfach, nicht hoch literarisch, aber schön zum Lesen. Der Busfahrer Anton ist – obwohl schon im fortgeschrittenen Alter – von seiner Mutter stark abhängig. Schüchtern und Frauen untergeben wurde er erzogen. Doch dann lernte er seine Nachbarin kennen und nach langsamen Annäherungen verliebten sich die beiden. Anton war Busfahrer. Täglich fuhr er dieselbe Strecke und brachte Menschen und Schüler in die Stadt von wo er sie später wieder abholte. Er kannte alle seine Passagiere und erzog sie auch dazu, dass sie grüßten. Eine seiner Fahrgäste war eine Frau, die im Rollstuhl saß. Ihre Tochter, die zur Schule ging, begleitete sie immer und schob den Rollstuhl. Dann ergab es sich: die Frau hatte unheilbar Krebs. Sie wollte aber noch einmal in ihr Geburtsdorf an der oberen italienischen Adria. Dorthin, wo sie aufgewachsen war. Wo ihre Eltern ein Gasthaus hatten. Wo sie am Meer gelebt hat. Das wollte sie noch einmal sehen, aber kein Taxi nahm sie. Anton, der gerade Schwierigkeiten mit seiner Firma hatte, bot sich dann an, die Frau mit dem Linienbus dorthin zu führen. Viele der mitfahrenden Schülerinnen und Schüler entschieden sich mitzukommen. Anton legte Wert darauf, dass es alle freiwillig machen. Während der Fahrt entdeckten sie ganz hinten im Bus eine Frau mit Alzheimer, die dort eingeschlafen war und so auch mitkam. Die Gruppe organisierte sich. Sie waren der Gefahr ausgesetzt, von der Polizei gestoppt zu werden. Der Vater zweier mitfahrender Kinder hatte die Polizei schon alarmiert. Der Busfahrer schaffte es aber über die italienische Grenze. An einem Parkplatz machten sie Rast. Alle stiegen aus. Ein Hippiepärchen näherte sich dem Bus und entführten diesen. Inzwischen hatte sich die Freundin von Anton auf die Suche nach ihrem Geliebten gemacht. Mit einem Ortungssystem fand sie heraus, wo er unterwegs war. Mit dem schnellen Auto ihres Bruder folgte sie dem Bus und traf am Parkplatz ein. Letztlich setzte die Gruppe die Fahrt mit diesem Auto fort. Später sahen sie, wie der entführte Bus, der jetzt von dem Hippiepärchen gefahren wurde, von einer Polizeieskorte gestopt wurde. Sie aber kamen ungeschoren und unverdächtig durch und erreichten das Ziel, das Dorf San Marco. Nochmals sah die zum Sterben verurteilte Frau ihre Heimat und erklärte alles der Gruppe, bis zwei Polizisten eintrafen. Sie waren Schulfreunde der Rollstuhlfahrerin. Anton wurde freundlich festgenommen. Im folgenden Gerichtsverfahren sagten alle positiv über Anton aus. Ja, der Rechtsanwaltsvater der beiden mitgefahrenen Schüler war der Verteidiger. Die Richterin meinte, dass es „als Juristin ihre Aufgabe, sich nicht nach Gefühlen, sondern nach dem Gestz leiten zu lassen.“ (Seite 138) So sprach sie ein sehr mildes Urteil, das Anton bald abgesessen hatte. Die Rollstuhlfahrerin war inzwischen verstorben und das Busunternehmen nahm Anton wieder auf. Kitschig, aber schön. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } FREUND, René: „Ans Meer“, Wien 2018 Ein sehr nettes und humorvolles Buch. Einfach, nicht hoch literarisch, aber schön zum Lesen. Der Busfahrer Anton ist – obwohl schon im fortgeschrittenen Alter – von seiner Mutter stark abhängig. Schüchtern und Frauen untergeben wurde er erzogen. Doch dann lernte er seine Nachbarin kennen und nach langsamen Annäherungen verliebten sich die beiden. Anton war Busfahrer. Täglich fuhr er dieselbe Strecke und brachte Menschen und Schüler in die Stadt von wo er sie später wieder abholte. Er kannte alle seine Passagiere und erzog sie auch dazu, dass sie grüßten. Eine seiner Fahrgäste war eine Frau, die im Rollstuhl saß. Ihre Tochter, die zur Schule ging, begleitete sie immer und schob den Rollstuhl. Dann ergab es sich: die Frau hatte unheilbar Krebs. Sie wollte aber noch einmal in ihr Geburtsdorf an der oberen italienischen Adria. Dorthin, wo sie aufgewachsen war. Wo ihre Eltern ein Gasthaus hatten. Wo sie am Meer gelebt hat. Das wollte sie noch einmal sehen, aber kein Taxi nahm sie. Anton, der gerade Schwierigkeiten mit seiner Firma hatte, bot sich dann an, die Frau mit dem Linienbus dorthin zu führen. Viele der mitfahrenden Schülerinnen und Schüler entschieden sich mitzukommen. Anton legte Wert darauf, dass es alle freiwillig machen. Während der Fahrt entdeckten sie ganz hinten im Bus eine Frau mit Alzheimer, die dort eingeschlafen war und so auch mitkam. Die Gruppe organisierte sich. Sie waren der Gefahr ausgesetzt, von der Polizei gestoppt zu werden. Der Vater zweier mitfahrender Kinder hatte die Polizei schon alarmiert. Der Busfahrer schaffte es aber über die italienische Grenze. An einem Parkplatz machten sie Rast. Alle stiegen aus. Ein Hippiepärchen näherte sich dem Bus und entführten diesen. Inzwischen hatte sich die Freundin von Anton auf die Suche nach ihrem Geliebten gemacht. Mit einem Ortungssystem fand sie heraus, wo er unterwegs war. Mit dem schnellen Auto ihres Bruder folgte sie dem Bus und traf am Parkplatz ein. Letztlich setzte die Gruppe die Fahrt mit diesem Auto fort. Später sahen sie, wie der entführte Bus, der jetzt von dem Hippiepärchen gefahren wurde, von einer Polizeieskorte gestopt wurde. Sie aber kamen ungeschoren und unverdächtig durch und erreichten das Ziel, das Dorf San Marco. Nochmals sah die zum Sterben verurteilte Frau ihre Heimat und erklärte alles der Gruppe, bis zwei Polizisten eintrafen. Sie waren Schulfreunde der Rollstuhlfahrerin. Anton wurde freundlich festgenommen. Im folgenden Gerichtsverfahren sagten alle positiv über Anton aus. Ja, der Rechtsanwaltsvater der beiden mitgefahrenen Schüler war der Verteidiger. Die Richterin meinte, dass es „als Juristin ihre Aufgabe, sich nicht nach Gefühlen, sondern nach dem Gestz leiten zu lassen.“ (Seite 138) So sprach sie ein sehr mildes Urteil, das Anton bald abgesessen hatte. Die Rollstuhlfahrerin war inzwischen verstorben und das Busunternehmen nahm Anton wieder auf. Kitschig, aber schön. |
Helfer, Monika Die Bagage Buch 2021. @book{Helfer2021b, title = {Die Bagage}, author = {Monika Helfer}, year = {2021}, date = {2021-10-07}, abstract = {HELFER, Monika: „Die Bagage“, München 2021 Werden Bücher in den Medien hoch gepriesen bin ich oft skeptisch und lies sie erst später. So ging es mir mit diesem Buch. Ich hätte es früher lesen sollen. Es ist eine gelungene Ahnenforschung. Die zentrale Figur ist die Großmutter der Autorin. Als ihr Großvater im Ersten Weltkrieg eingerückt war bekam sie ein Kind. Es wurde ihr nachgesagt, dass es nicht vom ehelichen Vater war. Dieses Kind war die Mutter der Autorin. Deswegen investierte sie in Ahnenforschung und schrieb letztlich dieses sehr gute Buch. Als der Vater aus dem Krieg heimkommt stellt er den Bürgermeister, den er bat auf seine Frau aufzupassen, zur Rede. Von wem dieses Kind – die Mutter der Autorin – sei. Der Bürgermeister, der nach Ende der Monarchie nicht mehr Bürgermeister war, will das Gerücht entkräften und lügt letztlich, indem er sagt, er sei der Vater. Erst am Totenbett von Josef, dem Familienoberhaupt, gesteht der Bürgermeister, dass das nicht wahr sei. Seine Frau sei eine sehr ehrwürdige und treue Frau. Bei dem Buch geht es nicht nur um die Beziehung und die Familie der Großmutter. Es ist auch eine Schilderung der Lebensverhältnisse von zwei Generationen. Es schließt in diesem Sinne an den Vorarlberger Bauern und Schriftsteller Franz Michael Felder an, der die Lebensumstände des 19. Jahrhunderts beschrieb. Die Familie der Großmutter lebte im hintersten Tal. Es war eine arme Familie. Sie schlugen sich durchs Leben. Als die Großeltern starben hatten es die Kinder noch schwerer. Teilweise zogen sie sich gegenseitig auf. Die halbwüchsigen Buben übernahmen die Lebensmittelbeschaffung durch Wildern. Es war eine im Dorf verachtete Familie. Auch der Pfarrer wetterte gegen sie. Sie waren die „Bagage“. Die wildernden Buben wurden aber mit Hochachtung „Bagage“ genannt. „Keiner im Dorf, der die Bagage nicht bewundert hätte. Die Bagage war erst richtig geworden nach dem Tod ihrer Eltern.“ (Seite 155) Die Großmutter hatte sieben Kinder und starb mit 32 Jahren, ihre Mutter hatte auch mehrere Kinder und Monika Helfer vier. Die Tochter Paula starb mit jungen Jahren. Den letzten Absatz des vorliegenden Buches widmet sie dieser Tochter und einem Besuch bei deren Grab. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } HELFER, Monika: „Die Bagage“, München 2021 Werden Bücher in den Medien hoch gepriesen bin ich oft skeptisch und lies sie erst später. So ging es mir mit diesem Buch. Ich hätte es früher lesen sollen. Es ist eine gelungene Ahnenforschung. Die zentrale Figur ist die Großmutter der Autorin. Als ihr Großvater im Ersten Weltkrieg eingerückt war bekam sie ein Kind. Es wurde ihr nachgesagt, dass es nicht vom ehelichen Vater war. Dieses Kind war die Mutter der Autorin. Deswegen investierte sie in Ahnenforschung und schrieb letztlich dieses sehr gute Buch. Als der Vater aus dem Krieg heimkommt stellt er den Bürgermeister, den er bat auf seine Frau aufzupassen, zur Rede. Von wem dieses Kind – die Mutter der Autorin – sei. Der Bürgermeister, der nach Ende der Monarchie nicht mehr Bürgermeister war, will das Gerücht entkräften und lügt letztlich, indem er sagt, er sei der Vater. Erst am Totenbett von Josef, dem Familienoberhaupt, gesteht der Bürgermeister, dass das nicht wahr sei. Seine Frau sei eine sehr ehrwürdige und treue Frau. Bei dem Buch geht es nicht nur um die Beziehung und die Familie der Großmutter. Es ist auch eine Schilderung der Lebensverhältnisse von zwei Generationen. Es schließt in diesem Sinne an den Vorarlberger Bauern und Schriftsteller Franz Michael Felder an, der die Lebensumstände des 19. Jahrhunderts beschrieb. Die Familie der Großmutter lebte im hintersten Tal. Es war eine arme Familie. Sie schlugen sich durchs Leben. Als die Großeltern starben hatten es die Kinder noch schwerer. Teilweise zogen sie sich gegenseitig auf. Die halbwüchsigen Buben übernahmen die Lebensmittelbeschaffung durch Wildern. Es war eine im Dorf verachtete Familie. Auch der Pfarrer wetterte gegen sie. Sie waren die „Bagage“. Die wildernden Buben wurden aber mit Hochachtung „Bagage“ genannt. „Keiner im Dorf, der die Bagage nicht bewundert hätte. Die Bagage war erst richtig geworden nach dem Tod ihrer Eltern.“ (Seite 155) Die Großmutter hatte sieben Kinder und starb mit 32 Jahren, ihre Mutter hatte auch mehrere Kinder und Monika Helfer vier. Die Tochter Paula starb mit jungen Jahren. Den letzten Absatz des vorliegenden Buches widmet sie dieser Tochter und einem Besuch bei deren Grab. |
HELFER, Monika Die Bagage Buch 2021. @book{HELFER2021, title = {Die Bagage}, author = {Monika HELFER}, year = {2021}, date = {2021-10-07}, abstract = {HELFER, Monika: „Die Bagage“, München 2021 Werden Bücher in den Medien hoch gepriesen bin ich oft skeptisch und lies sie erst später. So ging es mir mit diesem Buch. Ich hätte es früher lesen sollen. Es ist eine gelungene Ahnenforschung. Die zentrale Figur ist die Großmutter der Autorin. Als ihr Großvater im Ersten Weltkrieg eingerückt war bekam sie ein Kind. Es wurde ihr nachgesagt, dass es nicht vom ehelichen Vater war. Dieses Kind war die Mutter der Autorin. Deswegen investierte sie in Ahnenforschung und schrieb letztlich dieses sehr gute Buch. Als der Vater aus dem Krieg heimkommt stellt er den Bürgermeister, den er bat auf seine Frau aufzupassen, zur Rede. Von wem dieses Kind – die Mutter der Autorin – sei. Der Bürgermeister, der nach Ende der Monarchie nicht mehr Bürgermeister war, will das Gerücht entkräften und lügt letztlich, indem er sagt, er sei der Vater. Erst am Totenbett von Josef, dem Familienoberhaupt, gesteht der Bürgermeister, dass das nicht wahr sei. Seine Frau sei eine sehr ehrwürdige und treue Frau. Bei dem Buch geht es nicht nur um die Beziehung und die Familie der Großmutter. Es ist auch eine Schilderung der Lebensverhältnisse von zwei Generationen. Es schließt in diesem Sinne an den Vorarlberger Bauern und Schriftsteller Franz Michael Felder an, der die Lebensumstände des 19. Jahrhunderts beschrieb. Die Familie der Großmutter lebte im hintersten Tal. Es war eine arme Familie. Sie schlugen sich durchs Leben. Als die Großeltern starben hatten es die Kinder noch schwerer. Teilweise zogen sie sich gegenseitig auf. Die halbwüchsigen Buben übernahmen die Lebensmittelbeschaffung durch Wildern. Es war eine im Dorf verachtete Familie. Auch der Pfarrer wetterte gegen sie. Sie waren die „Bagage“. Die wildernden Buben wurden aber mit Hochachtung „Bagage“ genannt. „Keiner im Dorf, der die Bagage nicht bewundert hätte. Die Bagage war erst richtig geworden nach dem Tod ihrer Eltern.“ (Seite 155) Die Großmutter hatte sieben Kinder und starb mit 32 Jahren, ihre Mutter hatte auch mehrere Kinder und Monika Helfer vier. Die Tochter Paula starb mit jungen Jahren. Den letzten Absatz des vorliegenden Buches widmet sie dieser Tochter und einem Besuch bei deren Grab. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } HELFER, Monika: „Die Bagage“, München 2021 Werden Bücher in den Medien hoch gepriesen bin ich oft skeptisch und lies sie erst später. So ging es mir mit diesem Buch. Ich hätte es früher lesen sollen. Es ist eine gelungene Ahnenforschung. Die zentrale Figur ist die Großmutter der Autorin. Als ihr Großvater im Ersten Weltkrieg eingerückt war bekam sie ein Kind. Es wurde ihr nachgesagt, dass es nicht vom ehelichen Vater war. Dieses Kind war die Mutter der Autorin. Deswegen investierte sie in Ahnenforschung und schrieb letztlich dieses sehr gute Buch. Als der Vater aus dem Krieg heimkommt stellt er den Bürgermeister, den er bat auf seine Frau aufzupassen, zur Rede. Von wem dieses Kind – die Mutter der Autorin – sei. Der Bürgermeister, der nach Ende der Monarchie nicht mehr Bürgermeister war, will das Gerücht entkräften und lügt letztlich, indem er sagt, er sei der Vater. Erst am Totenbett von Josef, dem Familienoberhaupt, gesteht der Bürgermeister, dass das nicht wahr sei. Seine Frau sei eine sehr ehrwürdige und treue Frau. Bei dem Buch geht es nicht nur um die Beziehung und die Familie der Großmutter. Es ist auch eine Schilderung der Lebensverhältnisse von zwei Generationen. Es schließt in diesem Sinne an den Vorarlberger Bauern und Schriftsteller Franz Michael Felder an, der die Lebensumstände des 19. Jahrhunderts beschrieb. Die Familie der Großmutter lebte im hintersten Tal. Es war eine arme Familie. Sie schlugen sich durchs Leben. Als die Großeltern starben hatten es die Kinder noch schwerer. Teilweise zogen sie sich gegenseitig auf. Die halbwüchsigen Buben übernahmen die Lebensmittelbeschaffung durch Wildern. Es war eine im Dorf verachtete Familie. Auch der Pfarrer wetterte gegen sie. Sie waren die „Bagage“. Die wildernden Buben wurden aber mit Hochachtung „Bagage“ genannt. „Keiner im Dorf, der die Bagage nicht bewundert hätte. Die Bagage war erst richtig geworden nach dem Tod ihrer Eltern.“ (Seite 155) Die Großmutter hatte sieben Kinder und starb mit 32 Jahren, ihre Mutter hatte auch mehrere Kinder und Monika Helfer vier. Die Tochter Paula starb mit jungen Jahren. Den letzten Absatz des vorliegenden Buches widmet sie dieser Tochter und einem Besuch bei deren Grab. |
Freund, René Liebe unter Fischen Buch 2021. @book{Freund2021c, title = {Liebe unter Fischen}, author = {René Freund}, year = {2021}, date = {2021-10-01}, abstract = {FREUND, René: „Liebe unter Fischen“, Wien 2013 Am Cover des Buches ist eine Schleife angebracht auf der steht „Wer Glattauers Gut gegen Nordwind geliebt hat, wird auch an dieser herrlich komischen Liebesgeschichte seine Freude haben.“ Zwei völlig verschiedene Dichter werden da gegenübergestellt. Nun, sie kommen aus demselben Stall, aus demselben Verlag. Einer soll den anderen „ziehen“? Und doch sind beide Bücher grundverschieden. Ist das eine literarisch höher? Aber zum Freund-Roman: Ein Dichter beschreibt sich selbst. Er hat schon zwei Erfolgsbücher am Markt. Die Verlegerin, die neben ihm keinen Erfolg aufzuweisen hat, braucht ein weiteres Buch und muss eine Pleite ihres Verlags abwenden, indem sie ein Buch ankündigt, das noch gar nicht geschrieben ist und das der Dichter selbst nicht schreiben will. Er steckt in einer Krise: geht nicht aus dem Haus, trinkt zu viel Alkohol, versinkt im eigenen Schmutz …. Er schiebt sein Versagen auf seine Erziehung zurück: „Und ich habe keine Angst vor den dunklen Seiten des Lebens. Weniger jedenfalls als die meisten Menschen, die ich kenne, mich eingeschlossen. Sie wissen um die Distanz, die ich zu allen hege, auch oder vor allem zu mir selbst. Das hat sicher auch mit meiner Vergangenheit zu tun, mein Vater und so, Sie kennen das ja. Ich lebe in einem Raumanzug, gefertigt aus Ironie, genäht mit Zynismus, beschichtet mit Fremdheit. Ich komme da nur raus, wenn ich trinke oder wenn ich schreibe. Zuletzt war nur noch das Trinken geblieben.“ (Seite 58) Die Verlegerin versucht alles und will ihn in eine Hütte in den Bergen schicken, damit er zu sich selbst findet. Dort erlebt er eine neue Welt: „… wie armselig ist doch unsere elektronische Welt geworden! … das Leben nach ein paar Tagen ohne Strom, ohne Geräte, ohne Fernseher, ohne Radio, ohne Handy, Computer. … Der ganze Lärm ist plötzlich weg, das permanente Gequatsche, der sich in den Vordergrund drängende Unsinn, mit dem wir unsere Tage einlullen, anfüllen, zumüllen. Wenn das alles verschwindet ist es plötzlich still! Ich fühle mich in Kontakt. … In Kontakt mit allem. Sogar mit mir!!“ (Seite 74) Die Verlegerin schickt eine Freundin – eine erfolglose Schauspielerin – zur Hütte. Sie gibt sich als Biologin, Expertin für Fische, aus. Sie übt sich in einem slowakischen Akzent. Ihre Aufgabe ist es, den Dichter zum Schreiben zu führen. Die Beiden verlieben sich. Sie schämt sich ihres Jobs und reist ab. Der Dichter ist unglücklich. Der Förster der Region wirkt als Vermittler und reist mit der „Slowakin“ dem, nach Berlin heimgekehrten, Dichter nach. Es kommt zu einem Happy End. Kitschig? Vielleicht. Aber locker und flott geschrieben. Eine einfache und leichte Lektüre. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } FREUND, René: „Liebe unter Fischen“, Wien 2013 Am Cover des Buches ist eine Schleife angebracht auf der steht „Wer Glattauers Gut gegen Nordwind geliebt hat, wird auch an dieser herrlich komischen Liebesgeschichte seine Freude haben.“ Zwei völlig verschiedene Dichter werden da gegenübergestellt. Nun, sie kommen aus demselben Stall, aus demselben Verlag. Einer soll den anderen „ziehen“? Und doch sind beide Bücher grundverschieden. Ist das eine literarisch höher? Aber zum Freund-Roman: Ein Dichter beschreibt sich selbst. Er hat schon zwei Erfolgsbücher am Markt. Die Verlegerin, die neben ihm keinen Erfolg aufzuweisen hat, braucht ein weiteres Buch und muss eine Pleite ihres Verlags abwenden, indem sie ein Buch ankündigt, das noch gar nicht geschrieben ist und das der Dichter selbst nicht schreiben will. Er steckt in einer Krise: geht nicht aus dem Haus, trinkt zu viel Alkohol, versinkt im eigenen Schmutz …. Er schiebt sein Versagen auf seine Erziehung zurück: „Und ich habe keine Angst vor den dunklen Seiten des Lebens. Weniger jedenfalls als die meisten Menschen, die ich kenne, mich eingeschlossen. Sie wissen um die Distanz, die ich zu allen hege, auch oder vor allem zu mir selbst. Das hat sicher auch mit meiner Vergangenheit zu tun, mein Vater und so, Sie kennen das ja. Ich lebe in einem Raumanzug, gefertigt aus Ironie, genäht mit Zynismus, beschichtet mit Fremdheit. Ich komme da nur raus, wenn ich trinke oder wenn ich schreibe. Zuletzt war nur noch das Trinken geblieben.“ (Seite 58) Die Verlegerin versucht alles und will ihn in eine Hütte in den Bergen schicken, damit er zu sich selbst findet. Dort erlebt er eine neue Welt: „… wie armselig ist doch unsere elektronische Welt geworden! … das Leben nach ein paar Tagen ohne Strom, ohne Geräte, ohne Fernseher, ohne Radio, ohne Handy, Computer. … Der ganze Lärm ist plötzlich weg, das permanente Gequatsche, der sich in den Vordergrund drängende Unsinn, mit dem wir unsere Tage einlullen, anfüllen, zumüllen. Wenn das alles verschwindet ist es plötzlich still! Ich fühle mich in Kontakt. … In Kontakt mit allem. Sogar mit mir!!“ (Seite 74) Die Verlegerin schickt eine Freundin – eine erfolglose Schauspielerin – zur Hütte. Sie gibt sich als Biologin, Expertin für Fische, aus. Sie übt sich in einem slowakischen Akzent. Ihre Aufgabe ist es, den Dichter zum Schreiben zu führen. Die Beiden verlieben sich. Sie schämt sich ihres Jobs und reist ab. Der Dichter ist unglücklich. Der Förster der Region wirkt als Vermittler und reist mit der „Slowakin“ dem, nach Berlin heimgekehrten, Dichter nach. Es kommt zu einem Happy End. Kitschig? Vielleicht. Aber locker und flott geschrieben. Eine einfache und leichte Lektüre. |
MARKOVIC, Barbi (Hrsg.) 2021. @book{MARKOVIC2021, title = {Die verschissene Zeit}, editor = {Barbi MARKOVIC}, year = {2021}, date = {2021-09-28}, abstract = {MARKOVIC, Barbi: „Die verschissene Zeit“, Salzburg Wien 2021 Miomir hat eine Zeitmaschine erfunden, mit der er auf der Zeitachse nach vorne und zurück springen konnte. In den 90er Jahre war Krieg. Serbien hatte den Kosovo bombardiert. Die Amerikaner haben dann als Rache Serbien bombardiert und in Belgrad, dem Ort der Handlung dieses Romans, gab es Fliegeralarme. Vanja, die zentrale Proponentin, ihr Bruder Marko und dessen Freundin Kasandra waren in der Nähe des Hauses des Zeitmaschinenerfinders. Sie wollten gerade einbrechen. Da kam es zu einer hellen Erleuchtung. Miomir erklärt den Dreien fünf Jahre später, dass seine Maschine sich überhitzte und die Zeit nicht zurückgedreht hatte – er wollte in die Zeit vor dem Krieg ins Jahr 1990 – sondern nach vorne: ins Jahr 1999. Das merkten die Drei bereits seit längerem, dass sie sich an Nichts zwischen 1995 und 1999 erinnern können. Schlimmer noch sei, dass der Fehler der Zeitmaschine die Welt oder die Region um Belgrad immer in den 90er Jahren pendeln lassen würde. Man würde nie aus der schlechten Zeit und dem Kriegsgeschehen herauskommen. Sie würden in einer Warteschleife hängen bleiben. „Menschen warten und protestieren. In den Supermärkten fehlen Produkte, im Essen fehlen Zutaten, in den Köpfen Informationen und Orientierungspunkte. Busfahrer*innen, Lehrer*innen, Ärzt*innen und alle anderen Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes sind fast immer im Streik. Die Schüler*innen warten auf ihren Unterricht, Staatsbürger*innen warten auf bessere Zeiten, die Wirtschaft wartet auf Aufhebung der Sanktionen, auf Öffnung der Grenzen. Menschen warten auf das Ende des Krieges, das Fernsehpublikum wartet auf die Klärung der Lügen (und versteckt sich zugleich davor). Eure Eltern, Großeltern, Verwandten stehen in langen, unkalkulierbaren Schlangen für Öl, Mehl, Geld, Dokumenten, Benzin, Zigaretten an.“ (Seite 63/64) Wann immer sie in einem anderen Jahr ankommen können sie sich an bestimmte Dinge erinnern, aber nicht an alles. „Man würde denken, in der eigenen Vergangenheit kennt man sich zumindest aus, da geht man hin, und alles wiederholt sich, so wie es war, aber es ist komplizierter. In einem Menschenleben gibt es viele Tage, bis zu 34675, sehr selten mehr, und an einen konkreten kannst du dich meistens nur ungefähr erinnern.“ (Seite 134) Vanja hatte 1999 ein Tagebuch geschrieben, aus dem zitiert wird. Ein Tagebuch, das die Geschehnisse des Krieges, das Bombardement Belgrads schildert. Wie die Bevölkerung in den Kellern Zuflucht suchte. Die Autorin beschreibt die Zeit von Jugendlichen in einem Belgrader Vorort. Eine Zeit und einen Ort, den andere Länder nicht kennen. Auch stilistisch geht sie eigene Wege. Sprachausdrücke, die woanders nicht verwendet werden (?). Eine harte Sprache, gespickt mit vielen Schimpfwörtern. Eine vulgäre Sprache, die die Situation aber beschreibt und unterstreicht. Barbi Markovic gibt in diesem Roman den einfachen Leuten eine Stimme. „Ja, es geht NIE um uns! Wozu habt ihr unsere Generation in die Welt gesetzt, um uns zu vernachlässigen und zu ignorieren. In unseren Familien sind wir unwichtig, weil die Zeiten schwer sind. Das Land produziert unser Scheitern und nimmt unsere beschissenen Leben in Kauf, weil Armut und Krieg und Wahnsinn herrschen. Es geht nicht um uns in den Geschichten, weil unsere Lebenserfahrung eine Nischenerfahrung ist. In den Werbungen werden andere Leute angesprochen, in Filmen andere Schicksale gezeigt. Es GEHT tatsächlich NIEMANDEM UM UNS, ABER UNS, UNS GEHT ES EXTREM UM UNS.“ (Seite 216) Aber auch die Zukunft bringt keine Verbesserung für die einfachen Leute. Zwar ist der Krieg vorbei, aber die Brutalität und Armut bleibt. Als die drei Jugendlichen das Spiel des „Alt Jugoslawischen“ Technikers durchschauen, schalten sie ihn aus und lassen sich durch die Maschine ins Jahr 2001 versetzen. Sie hoffen, dass die schlechte Zeit vorbei sei. Da kommen sie aber auf einem Platz in Belgrad an, wo ein Schwuler verprügelt wird, wo Brutalität wie in den 90ern herrscht. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } MARKOVIC, Barbi: „Die verschissene Zeit“, Salzburg Wien 2021 Miomir hat eine Zeitmaschine erfunden, mit der er auf der Zeitachse nach vorne und zurück springen konnte. In den 90er Jahre war Krieg. Serbien hatte den Kosovo bombardiert. Die Amerikaner haben dann als Rache Serbien bombardiert und in Belgrad, dem Ort der Handlung dieses Romans, gab es Fliegeralarme. Vanja, die zentrale Proponentin, ihr Bruder Marko und dessen Freundin Kasandra waren in der Nähe des Hauses des Zeitmaschinenerfinders. Sie wollten gerade einbrechen. Da kam es zu einer hellen Erleuchtung. Miomir erklärt den Dreien fünf Jahre später, dass seine Maschine sich überhitzte und die Zeit nicht zurückgedreht hatte – er wollte in die Zeit vor dem Krieg ins Jahr 1990 – sondern nach vorne: ins Jahr 1999. Das merkten die Drei bereits seit längerem, dass sie sich an Nichts zwischen 1995 und 1999 erinnern können. Schlimmer noch sei, dass der Fehler der Zeitmaschine die Welt oder die Region um Belgrad immer in den 90er Jahren pendeln lassen würde. Man würde nie aus der schlechten Zeit und dem Kriegsgeschehen herauskommen. Sie würden in einer Warteschleife hängen bleiben. „Menschen warten und protestieren. In den Supermärkten fehlen Produkte, im Essen fehlen Zutaten, in den Köpfen Informationen und Orientierungspunkte. Busfahrer*innen, Lehrer*innen, Ärzt*innen und alle anderen Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes sind fast immer im Streik. Die Schüler*innen warten auf ihren Unterricht, Staatsbürger*innen warten auf bessere Zeiten, die Wirtschaft wartet auf Aufhebung der Sanktionen, auf Öffnung der Grenzen. Menschen warten auf das Ende des Krieges, das Fernsehpublikum wartet auf die Klärung der Lügen (und versteckt sich zugleich davor). Eure Eltern, Großeltern, Verwandten stehen in langen, unkalkulierbaren Schlangen für Öl, Mehl, Geld, Dokumenten, Benzin, Zigaretten an.“ (Seite 63/64) Wann immer sie in einem anderen Jahr ankommen können sie sich an bestimmte Dinge erinnern, aber nicht an alles. „Man würde denken, in der eigenen Vergangenheit kennt man sich zumindest aus, da geht man hin, und alles wiederholt sich, so wie es war, aber es ist komplizierter. In einem Menschenleben gibt es viele Tage, bis zu 34675, sehr selten mehr, und an einen konkreten kannst du dich meistens nur ungefähr erinnern.“ (Seite 134) Vanja hatte 1999 ein Tagebuch geschrieben, aus dem zitiert wird. Ein Tagebuch, das die Geschehnisse des Krieges, das Bombardement Belgrads schildert. Wie die Bevölkerung in den Kellern Zuflucht suchte. Die Autorin beschreibt die Zeit von Jugendlichen in einem Belgrader Vorort. Eine Zeit und einen Ort, den andere Länder nicht kennen. Auch stilistisch geht sie eigene Wege. Sprachausdrücke, die woanders nicht verwendet werden (?). Eine harte Sprache, gespickt mit vielen Schimpfwörtern. Eine vulgäre Sprache, die die Situation aber beschreibt und unterstreicht. Barbi Markovic gibt in diesem Roman den einfachen Leuten eine Stimme. „Ja, es geht NIE um uns! Wozu habt ihr unsere Generation in die Welt gesetzt, um uns zu vernachlässigen und zu ignorieren. In unseren Familien sind wir unwichtig, weil die Zeiten schwer sind. Das Land produziert unser Scheitern und nimmt unsere beschissenen Leben in Kauf, weil Armut und Krieg und Wahnsinn herrschen. Es geht nicht um uns in den Geschichten, weil unsere Lebenserfahrung eine Nischenerfahrung ist. In den Werbungen werden andere Leute angesprochen, in Filmen andere Schicksale gezeigt. Es GEHT tatsächlich NIEMANDEM UM UNS, ABER UNS, UNS GEHT ES EXTREM UM UNS.“ (Seite 216) Aber auch die Zukunft bringt keine Verbesserung für die einfachen Leute. Zwar ist der Krieg vorbei, aber die Brutalität und Armut bleibt. Als die drei Jugendlichen das Spiel des „Alt Jugoslawischen“ Technikers durchschauen, schalten sie ihn aus und lassen sich durch die Maschine ins Jahr 2001 versetzen. Sie hoffen, dass die schlechte Zeit vorbei sei. Da kommen sie aber auf einem Platz in Belgrad an, wo ein Schwuler verprügelt wird, wo Brutalität wie in den 90ern herrscht. |
Katherina ROGENHOFER, Florian SCHLEDERER Ändert sich nichts, ändert sich alles. Warum wir jetzt für unseren Planeten kämpfen müssen Buch 2021. @book{ROGENHOFER2021, title = {Ändert sich nichts, ändert sich alles. Warum wir jetzt für unseren Planeten kämpfen müssen}, author = {Katherina ROGENHOFER, Florian SCHLEDERER}, year = {2021}, date = {2021-09-21}, abstract = {ROGENHOFER, Katherina; SCHLEDERER, Florian: „Ändert sich nichts, ändert sich alles. Warum wir jetzt für unseren Planeten kämpfen müssen“, Wien 2021 Aufmerksam hat mich auf dieses Buch unser Bundespräsident gemacht. Eine Tageszeitung fragte Politiker, was sie im Sommerurlaub lesen werden. Van der Bellen sagte, er habe dieses Buch eingepackt. Erst beim Lesen wusste ich, warum er das tat: er wird mehrmals als Vorbild gelobt. Den Titel des Buches fand ich spannend und auch wollte ich die Gedankenwelt meiner Enkelkinder und Kinder besser verstehen und kaufte es. In der Einleitung erklärt die Autorin die Situation der Klimakrise sehr anschaulich mit einer Bootfahrt, auf der sich Menschen aus verschiedenen Erdteilen befinden. Da sind die Reichen hinten im Boot. Sie bauen starke Motoren, um schneller fahren zu können. Sie feiern ihre Erfolge und bauen weiter. Vorne sitzen die Armen. Sie haben nur Ruder. Die Reichen rufen ihnen zu schneller zu rudern. Die Reichen schneiden sich aus dem Boot Teile heraus, um bequeme Sitze daraus zu fertigen. Wasser dringt ein. Eine Frau warnt, dass das Boot einem Wasserfall zufährt. Sie errechnet in wie vielen Minuten sie kentern werden. Die Reichen meinen, sie hätten alles im Griff und diskutieren sogar einen noch stärkeren Motor einzubauen, dann könnten sie über den Wasserfall fliegen. Sehr anschaulich wird so die Situation der Welt heute erklärt. Dann setzt die Autorin erklärend alles in Basiswissen und Fakten um. Der Lauf des Buches wird durch persönliche Dinge der Schreiberin unterbrochen. Etwa, wie ihre Mutter eine Gehirnblutung bekommt und sie mit ihrem Vater bangt. Wie schnell sich unser Leben durch einen Vorfall ändern kann. Sie erzählt aber auch, wie sie in Indien im Regenwald ein Praktikum machte und dann in einem UNO Büro in Bonn arbeitete. So bekommt man den persönlichen Background der Autorin vermittelt. Auch die familiäre Situation: die alleinerziehende Mutter, weil der Vater die ganze Woche in der Ukraine arbeitet und nur ein Wochenendvater war. Die Autorin nimmt viele Gebiete aufs Korn. Unbestritten bleibt das Thema Klimawandel. Da ist sie ausgebildet und engagiert. Da muss man ihr Recht geben und auch etwas Angst bekommen. Als Leser beginnt man auch nachzudenken, wo man selbst aktiv sein könnte. Was man unterlassen könnte. Als Einzelner/Einzelne kann man diese Probleme nicht lösen, aber man kann einen Beitrag leisten. So wie die Erbsünde in der Religion tragen wir aber einen negativen Fußabdruck mit uns, der nicht von uns direkt ausgelöst wurde. Der Hauptakteur sind die Wirtschaft und die Politik. Die Wirtschaft muss sich umstellen und die Politik hat es versäumt Maßnahmen und Gesetze auf die Reihe zu bringen. Vielen Aussagen im Kapitel Wirtschaft und Politik kann ich aber nicht zustimmen. Da übersieht die Autorin, dass wir in einer Demokratie leben. Das wir verschiedene Ansichten in unserer Gesellschaft haben und die Politik darauf Rücksicht nehmen muss. Dass wir eben nicht in einer Diktatur leben. Sie stellt aber Forderungen auf, nach denen mit Gesetzen und Verordnungen eingegriffen werden muss. Das Steuersystem verändert werden soll. Irgendwie erinnert mich das an Neo-Kommunismus. An Maßnahmen, die etwa China, während der COVID Pandemie verordnet hatte. Zwar erfolgreich, aber diktatorisch. Umgekehrt schreibt sie sich Erfolge mit der Friday for Future Organisation zugute, die sicher nicht daher kommen. So etwa das letzte Wahlergebnis Österreichs, wo – so die Meinung der Autorin – die kleinen Parteien, die auf Klimapolitik gesetzt hatten, Gewinne erzielten. Ich las dieses Buch am Meer sitzend. Einen Kilometer von der Grenze zur Mönchrepublik Athos entfernt. Mehrere Jahrzehnte habe ich dieses Gebiet schon besucht und war nicht nur aus meditativen Gründen, sondern auch wegen der intakten Natur dort. Die Mönche haben nur angebaut was sie brauchen. Sie hatten keinen Strom und keine Autos. Sie waren also keine Umweltverschmutzer und haben das Weltklima sicher nicht negativ beeinflusst. Einmal täglich hat ein Schiff Pilger und Besucher vom griechischen Festland auf die Halbinsel gebracht. Wenn ich während des Lesens auf das Meer hinausblicke, musste ich feststellen, dass sich das geändert hat. Laufend fuhren Schnellboote vorbei. Fast jedes Kloster besitzt so eines. Sie holen damit ihre Pilger und Besucher ab und bringen sie auf schnellem Weg ans Ziel zu ihrem Kloster. Am öffentlichen Schiff sehe ich nicht nur wegen COVID19 weniger Passagiere. Bald wird man die öffentliche Schifffahrt einstellen und sagen, alle sollen mit diesen kleinen Booten kommen. Früher gab es ein Rundfahrtboot, das entlangfuhr und die einzelnen Klöster erklärte. Heute bieten mehrere Unternehmen solche Rundfahrten an und dabei gibt es weniger Touristen. Also ein umgekehrter Effekt, als in diesem Buch. Bei uns: hin zum öffentlichen und weg vom Individualverkehr. Hier umgekehrt. Generell wird man nach dem Lesen dieses Buches sensibler gegenüber der Umwelt. Der politische Zugang, wie er über viele Seiten ausgetragen wird, könnte sich die Autorin ersparen und lieber bei der Sache „Umwelt“ bleiben. Auf alle Fälle ist das Gelesene nachhaltig! }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } ROGENHOFER, Katherina; SCHLEDERER, Florian: „Ändert sich nichts, ändert sich alles. Warum wir jetzt für unseren Planeten kämpfen müssen“, Wien 2021 Aufmerksam hat mich auf dieses Buch unser Bundespräsident gemacht. Eine Tageszeitung fragte Politiker, was sie im Sommerurlaub lesen werden. Van der Bellen sagte, er habe dieses Buch eingepackt. Erst beim Lesen wusste ich, warum er das tat: er wird mehrmals als Vorbild gelobt. Den Titel des Buches fand ich spannend und auch wollte ich die Gedankenwelt meiner Enkelkinder und Kinder besser verstehen und kaufte es. In der Einleitung erklärt die Autorin die Situation der Klimakrise sehr anschaulich mit einer Bootfahrt, auf der sich Menschen aus verschiedenen Erdteilen befinden. Da sind die Reichen hinten im Boot. Sie bauen starke Motoren, um schneller fahren zu können. Sie feiern ihre Erfolge und bauen weiter. Vorne sitzen die Armen. Sie haben nur Ruder. Die Reichen rufen ihnen zu schneller zu rudern. Die Reichen schneiden sich aus dem Boot Teile heraus, um bequeme Sitze daraus zu fertigen. Wasser dringt ein. Eine Frau warnt, dass das Boot einem Wasserfall zufährt. Sie errechnet in wie vielen Minuten sie kentern werden. Die Reichen meinen, sie hätten alles im Griff und diskutieren sogar einen noch stärkeren Motor einzubauen, dann könnten sie über den Wasserfall fliegen. Sehr anschaulich wird so die Situation der Welt heute erklärt. Dann setzt die Autorin erklärend alles in Basiswissen und Fakten um. Der Lauf des Buches wird durch persönliche Dinge der Schreiberin unterbrochen. Etwa, wie ihre Mutter eine Gehirnblutung bekommt und sie mit ihrem Vater bangt. Wie schnell sich unser Leben durch einen Vorfall ändern kann. Sie erzählt aber auch, wie sie in Indien im Regenwald ein Praktikum machte und dann in einem UNO Büro in Bonn arbeitete. So bekommt man den persönlichen Background der Autorin vermittelt. Auch die familiäre Situation: die alleinerziehende Mutter, weil der Vater die ganze Woche in der Ukraine arbeitet und nur ein Wochenendvater war. Die Autorin nimmt viele Gebiete aufs Korn. Unbestritten bleibt das Thema Klimawandel. Da ist sie ausgebildet und engagiert. Da muss man ihr Recht geben und auch etwas Angst bekommen. Als Leser beginnt man auch nachzudenken, wo man selbst aktiv sein könnte. Was man unterlassen könnte. Als Einzelner/Einzelne kann man diese Probleme nicht lösen, aber man kann einen Beitrag leisten. So wie die Erbsünde in der Religion tragen wir aber einen negativen Fußabdruck mit uns, der nicht von uns direkt ausgelöst wurde. Der Hauptakteur sind die Wirtschaft und die Politik. Die Wirtschaft muss sich umstellen und die Politik hat es versäumt Maßnahmen und Gesetze auf die Reihe zu bringen. Vielen Aussagen im Kapitel Wirtschaft und Politik kann ich aber nicht zustimmen. Da übersieht die Autorin, dass wir in einer Demokratie leben. Das wir verschiedene Ansichten in unserer Gesellschaft haben und die Politik darauf Rücksicht nehmen muss. Dass wir eben nicht in einer Diktatur leben. Sie stellt aber Forderungen auf, nach denen mit Gesetzen und Verordnungen eingegriffen werden muss. Das Steuersystem verändert werden soll. Irgendwie erinnert mich das an Neo-Kommunismus. An Maßnahmen, die etwa China, während der COVID Pandemie verordnet hatte. Zwar erfolgreich, aber diktatorisch. Umgekehrt schreibt sie sich Erfolge mit der Friday for Future Organisation zugute, die sicher nicht daher kommen. So etwa das letzte Wahlergebnis Österreichs, wo – so die Meinung der Autorin – die kleinen Parteien, die auf Klimapolitik gesetzt hatten, Gewinne erzielten. Ich las dieses Buch am Meer sitzend. Einen Kilometer von der Grenze zur Mönchrepublik Athos entfernt. Mehrere Jahrzehnte habe ich dieses Gebiet schon besucht und war nicht nur aus meditativen Gründen, sondern auch wegen der intakten Natur dort. Die Mönche haben nur angebaut was sie brauchen. Sie hatten keinen Strom und keine Autos. Sie waren also keine Umweltverschmutzer und haben das Weltklima sicher nicht negativ beeinflusst. Einmal täglich hat ein Schiff Pilger und Besucher vom griechischen Festland auf die Halbinsel gebracht. Wenn ich während des Lesens auf das Meer hinausblicke, musste ich feststellen, dass sich das geändert hat. Laufend fuhren Schnellboote vorbei. Fast jedes Kloster besitzt so eines. Sie holen damit ihre Pilger und Besucher ab und bringen sie auf schnellem Weg ans Ziel zu ihrem Kloster. Am öffentlichen Schiff sehe ich nicht nur wegen COVID19 weniger Passagiere. Bald wird man die öffentliche Schifffahrt einstellen und sagen, alle sollen mit diesen kleinen Booten kommen. Früher gab es ein Rundfahrtboot, das entlangfuhr und die einzelnen Klöster erklärte. Heute bieten mehrere Unternehmen solche Rundfahrten an und dabei gibt es weniger Touristen. Also ein umgekehrter Effekt, als in diesem Buch. Bei uns: hin zum öffentlichen und weg vom Individualverkehr. Hier umgekehrt. Generell wird man nach dem Lesen dieses Buches sensibler gegenüber der Umwelt. Der politische Zugang, wie er über viele Seiten ausgetragen wird, könnte sich die Autorin ersparen und lieber bei der Sache „Umwelt“ bleiben. Auf alle Fälle ist das Gelesene nachhaltig! |
HENISCH, Peter Der Jahrhundertroman Buch 2021. @book{HENISCH2021, title = {Der Jahrhundertroman}, author = {Peter HENISCH}, year = {2021}, date = {2021-09-17}, abstract = {HENISCH, Peter: „Der Jahrhundert Roman“, Salzburg Wien 2021 Viele alte Menschen wollen dann, im sich dem Ende zu neigenden Leben, noch eine große Sache machen. Für einen Schriftsteller ist es „der große Roman“. Der anerkannte österreichische Dichter Henisch versucht es auch. Er steckt aber seinen Wunsch in einen Protagonisten und lässt diesem erzählen, wie er einen großen „Jahrhundert Roman“ schreiben will. Als ehemaliger Bibliothekar und Buchhändler hat er die Bücher einer stillgelegten Bibliothek erworben und verwaltet sie in einem Depot. Aus diesem Material formt er einen Roman über das 20. Jahrhundert aus Aussagen und Erlebnissen von Schriftstellern. Er hat alles handschriftlich abgefasst und findet in einer Studentin, die als Aushilfskellnerin in seinem Stammcafé arbeitet, eine Schreibkraft, die seine Aufzeichnungen in den Computer überträgt. Sie, die zum Studium nach Wien gekommen war und mit ihrer Familie gebrochen hat, braucht das Geld und nimmt den Auftrag, eine Seite für zwei Euro zu tippen, an. Schließlich stellt sie aber fest, dass sie diese Schrift nicht entziffern kann. Lange reagiert sie nicht. Als sie gesteht, die Schrift nicht lesen zu können, bietet der Verfasser an, ihr die ersten Seiten vorzulesen und sie würde sich dann an die Schreibschrift gewöhnen. Dabei stellt Roch – der Dichter – fest, dass die Seiten durcheinander gekommen sind und der Anfang fehle. Allein versucht er dann eine Ordnung zu finden. Die ersten Seiten tauchen nicht auf und so belässt er es bei einer nichtsequentiellen Reihung. Zu jedem Dichter, zu jeder Schriftstellerin, erzählt er Hintergrundgeschichten: • Wie Peymann, der Burgtheaterdirektor, Thomas Bernhard bittet ein alternatives Stück zum Gedenkjahr 1938 zu schreiben. Bernhard will aber nach Mallorca fahren. Letztlich wirft er das Ticket in den Papierkorb und schreibt „Heldenplatz“. • Dotterer wird als Wehrmachtsoffizier des Hitlerregimes dargestellt, der im Nachhinein mit dieser Zeit nichts zu tun haben will. Roch unterlegt im nach seiner Festnahme den Satz „Je ne suis pas allemand, je suis autrichien.“ (Seite 154) Seine Haushälterin schreibt ihm einen Referenzbrief, in dem sie aussagt, er habe nie das Hitlerregime angehimmelt und war kein Nazi. • Die Schwester von Ingeborg Bachmann motiviert diese, bei einem öffentlichen Wettbewerb für einen Text der österreichischen Bundeshymne einen Text einzureichen. Mit dem ausgeschriebenen Preisgeld könnten sie ihre Verhältnisse aufbessern. Ingeborg tat es nicht und sie hätte auch die Einreichfrist versäumt. Ihr Text – der in Ansätzen noch erhalten ist – wäre aber moderner gewesen… • Friedericke Mayröcker war viele Jahre Englischlehrerin an einer Hauptschule in Favoriten. Erst spät konnte sie vom Einkommen als Dichterin leben. • Der Mödlinger Rechtsanwalt Albert Drach wird ebenfalls erst spät „entdeckt“. Dass er den Büchner-Preis bekam, konnte er nicht mehr realisieren. Er war dement geworden. Im Buch wird eine Geschichte erzählt, bei der er mit seiner jüngeren Frau Pilze suchen war und dann irrtümlich auf die Autobahn kam. Durch den Einsatz der Polizei wird er gerettet. Er war gegen die fahrenden Autos marschiert. • Über Kafka wird eine Liebesgeschichte mit einer Übersetzerin erzählt. Sie schreiben sich romantische Briefe. Kafka hat aber Angst vor einem persönlichen Treffen, „denn er weiß, dass er brieflich viel überzeugender ist als physisch.“ (Seite 244) • Über Christine Nöstlinger weiß Roch zu berichten, dass sie als Kind in der Mitte der Straße, auf den Straßenbahnschienen gegangen ist, um mit einem Fuß im Bezirk Ottakring und mit dem anderen in Hernals zu sein. Auch Hemingway hatte sie angerufen. Nöstlinger aber meinte Qualtinger verstelle seine Stimme und mache ihr einen Streich. Bei dieser Geschichte überführt in die junge Studentin, denn das passte in der Zeitachse nicht zusammen. • Elfriede Jelinek ging mit ihrer Freundin Elfriede Gerstl oft in ein Hutgeschäft, um verschiedene Modelle zu probieren und oft nichts zu kaufen. Sehr zum Ärgernis der jeweiligen Verkäuferin. Der Jahrhundert-Roman ist also eine unsystematische Aufzählung von Dichtern. Entstanden durch das in Ordnung gebrachte Manuskript. Viele von diesen österreichischen Dichtern kannte der Dichter Roch noch aus der Zeit, in der er mit seiner Frau eine Buchhandlung betrieb. Mit Lisa, der Studentin, brachte Henisch neben dem Jahrhundert Roman auch das Flüchtlingsproblem ein. Lisas beste Freundin ist ein Flüchtlingskind aus Syrien. Sie ist mit ihrer Familie aus dem Kriegsgebiet geflüchtet. Zuerst erzählt sie Roch von diesem Mädchen und wie es nach Österreich kam. Und dann erfährt sie aus den Nachrichten, dass ihre Freundin abgeschoben werden soll. Lisa macht sich um die Freundin Semira Sorgen, weil sie telefonisch nicht erreichbar ist. Sie konnte nicht wissen, dass die Untergetauchte ihr Telefon in der Donau versenkt hatte, um von der fahndenden Polizei nicht geortet werden zu können. Lisa fährt von Wien nach Linz, um die Freundin im verfallenen Haus ihres Großvaters zu suchen. Sie war trotz des kalten Winters dort, aber nicht mehr auffindbar. Der Freund aus der Wiener Wohngemeinschaft ruft an und berichtet, dass Semira dort eingetroffen sei. Sofort fährt sie nach Wien zurück. Die Wohngemeinschaft will aber nicht, dass die Polizei hier suchen kommt und so nebenbei Rauschgift und Hanfproduktion findet. Die Beiden müssen einen anderen Platz finden. Lisa sieht ihn im Depot des Jahrhundert-Roman-Dichters. Sie packen die wichtigsten Dinge ein und finden dabei die fehlenden Manuskriptseiten. Als die Mädchen beim Depot ankommen, wird Roch gerade von der Rettung abtransportiert. Lisa kann ihm noch sagen, dass die ersten Seiten gefunden sind. Der Schluss ist also ein Happyend und keines. Es kann aber auch umgekehrt sein. Der alte Mann könnte vielleicht noch viele Jahre leben und das Flüchtlingskind von der Polizei geschnappt werden. Oder auch nicht. Es bleibt dem Weiterdenken des Lesers überlassen. Ob dieser Roman schreibende Dichter Peter Henisch auch ein Depot mit Büchern hat, aus denen er die Informationen für sein vorliegendes Werk nehmen konnte? Sicher hat er eine große Bibliothek. So wie jeder Dichter. Dichter konsumieren und schreiben Bücher. Der vorliegende Jahrhundert Roman ist eine ausgewählte Melange über Dichter des 20.jahrhunderts. Vieles davon ist recherchiert, aber vieles ist auch erfunden. So erfunden, dass es in die jeweilige Zeit passt. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } HENISCH, Peter: „Der Jahrhundert Roman“, Salzburg Wien 2021 Viele alte Menschen wollen dann, im sich dem Ende zu neigenden Leben, noch eine große Sache machen. Für einen Schriftsteller ist es „der große Roman“. Der anerkannte österreichische Dichter Henisch versucht es auch. Er steckt aber seinen Wunsch in einen Protagonisten und lässt diesem erzählen, wie er einen großen „Jahrhundert Roman“ schreiben will. Als ehemaliger Bibliothekar und Buchhändler hat er die Bücher einer stillgelegten Bibliothek erworben und verwaltet sie in einem Depot. Aus diesem Material formt er einen Roman über das 20. Jahrhundert aus Aussagen und Erlebnissen von Schriftstellern. Er hat alles handschriftlich abgefasst und findet in einer Studentin, die als Aushilfskellnerin in seinem Stammcafé arbeitet, eine Schreibkraft, die seine Aufzeichnungen in den Computer überträgt. Sie, die zum Studium nach Wien gekommen war und mit ihrer Familie gebrochen hat, braucht das Geld und nimmt den Auftrag, eine Seite für zwei Euro zu tippen, an. Schließlich stellt sie aber fest, dass sie diese Schrift nicht entziffern kann. Lange reagiert sie nicht. Als sie gesteht, die Schrift nicht lesen zu können, bietet der Verfasser an, ihr die ersten Seiten vorzulesen und sie würde sich dann an die Schreibschrift gewöhnen. Dabei stellt Roch – der Dichter – fest, dass die Seiten durcheinander gekommen sind und der Anfang fehle. Allein versucht er dann eine Ordnung zu finden. Die ersten Seiten tauchen nicht auf und so belässt er es bei einer nichtsequentiellen Reihung. Zu jedem Dichter, zu jeder Schriftstellerin, erzählt er Hintergrundgeschichten: • Wie Peymann, der Burgtheaterdirektor, Thomas Bernhard bittet ein alternatives Stück zum Gedenkjahr 1938 zu schreiben. Bernhard will aber nach Mallorca fahren. Letztlich wirft er das Ticket in den Papierkorb und schreibt „Heldenplatz“. • Dotterer wird als Wehrmachtsoffizier des Hitlerregimes dargestellt, der im Nachhinein mit dieser Zeit nichts zu tun haben will. Roch unterlegt im nach seiner Festnahme den Satz „Je ne suis pas allemand, je suis autrichien.“ (Seite 154) Seine Haushälterin schreibt ihm einen Referenzbrief, in dem sie aussagt, er habe nie das Hitlerregime angehimmelt und war kein Nazi. • Die Schwester von Ingeborg Bachmann motiviert diese, bei einem öffentlichen Wettbewerb für einen Text der österreichischen Bundeshymne einen Text einzureichen. Mit dem ausgeschriebenen Preisgeld könnten sie ihre Verhältnisse aufbessern. Ingeborg tat es nicht und sie hätte auch die Einreichfrist versäumt. Ihr Text – der in Ansätzen noch erhalten ist – wäre aber moderner gewesen… • Friedericke Mayröcker war viele Jahre Englischlehrerin an einer Hauptschule in Favoriten. Erst spät konnte sie vom Einkommen als Dichterin leben. • Der Mödlinger Rechtsanwalt Albert Drach wird ebenfalls erst spät „entdeckt“. Dass er den Büchner-Preis bekam, konnte er nicht mehr realisieren. Er war dement geworden. Im Buch wird eine Geschichte erzählt, bei der er mit seiner jüngeren Frau Pilze suchen war und dann irrtümlich auf die Autobahn kam. Durch den Einsatz der Polizei wird er gerettet. Er war gegen die fahrenden Autos marschiert. • Über Kafka wird eine Liebesgeschichte mit einer Übersetzerin erzählt. Sie schreiben sich romantische Briefe. Kafka hat aber Angst vor einem persönlichen Treffen, „denn er weiß, dass er brieflich viel überzeugender ist als physisch.“ (Seite 244) • Über Christine Nöstlinger weiß Roch zu berichten, dass sie als Kind in der Mitte der Straße, auf den Straßenbahnschienen gegangen ist, um mit einem Fuß im Bezirk Ottakring und mit dem anderen in Hernals zu sein. Auch Hemingway hatte sie angerufen. Nöstlinger aber meinte Qualtinger verstelle seine Stimme und mache ihr einen Streich. Bei dieser Geschichte überführt in die junge Studentin, denn das passte in der Zeitachse nicht zusammen. • Elfriede Jelinek ging mit ihrer Freundin Elfriede Gerstl oft in ein Hutgeschäft, um verschiedene Modelle zu probieren und oft nichts zu kaufen. Sehr zum Ärgernis der jeweiligen Verkäuferin. Der Jahrhundert-Roman ist also eine unsystematische Aufzählung von Dichtern. Entstanden durch das in Ordnung gebrachte Manuskript. Viele von diesen österreichischen Dichtern kannte der Dichter Roch noch aus der Zeit, in der er mit seiner Frau eine Buchhandlung betrieb. Mit Lisa, der Studentin, brachte Henisch neben dem Jahrhundert Roman auch das Flüchtlingsproblem ein. Lisas beste Freundin ist ein Flüchtlingskind aus Syrien. Sie ist mit ihrer Familie aus dem Kriegsgebiet geflüchtet. Zuerst erzählt sie Roch von diesem Mädchen und wie es nach Österreich kam. Und dann erfährt sie aus den Nachrichten, dass ihre Freundin abgeschoben werden soll. Lisa macht sich um die Freundin Semira Sorgen, weil sie telefonisch nicht erreichbar ist. Sie konnte nicht wissen, dass die Untergetauchte ihr Telefon in der Donau versenkt hatte, um von der fahndenden Polizei nicht geortet werden zu können. Lisa fährt von Wien nach Linz, um die Freundin im verfallenen Haus ihres Großvaters zu suchen. Sie war trotz des kalten Winters dort, aber nicht mehr auffindbar. Der Freund aus der Wiener Wohngemeinschaft ruft an und berichtet, dass Semira dort eingetroffen sei. Sofort fährt sie nach Wien zurück. Die Wohngemeinschaft will aber nicht, dass die Polizei hier suchen kommt und so nebenbei Rauschgift und Hanfproduktion findet. Die Beiden müssen einen anderen Platz finden. Lisa sieht ihn im Depot des Jahrhundert-Roman-Dichters. Sie packen die wichtigsten Dinge ein und finden dabei die fehlenden Manuskriptseiten. Als die Mädchen beim Depot ankommen, wird Roch gerade von der Rettung abtransportiert. Lisa kann ihm noch sagen, dass die ersten Seiten gefunden sind. Der Schluss ist also ein Happyend und keines. Es kann aber auch umgekehrt sein. Der alte Mann könnte vielleicht noch viele Jahre leben und das Flüchtlingskind von der Polizei geschnappt werden. Oder auch nicht. Es bleibt dem Weiterdenken des Lesers überlassen. Ob dieser Roman schreibende Dichter Peter Henisch auch ein Depot mit Büchern hat, aus denen er die Informationen für sein vorliegendes Werk nehmen konnte? Sicher hat er eine große Bibliothek. So wie jeder Dichter. Dichter konsumieren und schreiben Bücher. Der vorliegende Jahrhundert Roman ist eine ausgewählte Melange über Dichter des 20.jahrhunderts. Vieles davon ist recherchiert, aber vieles ist auch erfunden. So erfunden, dass es in die jeweilige Zeit passt. |
FREUND, René Mein Vater, der Deserteur. Eine Familiengeschichte Buch 2021. @book{FREUND2021b, title = {Mein Vater, der Deserteur. Eine Familiengeschichte}, author = {René FREUND}, year = {2021}, date = {2021-09-05}, abstract = {FREUND, René: „Mein Vater, ein Deserteur. Eine Familiengeschichte“, Wien 2014 Der Autor arbeitet die Kriegsvergangenheit seines Vaters auf. Er fand ein Tagebuch mit Aufzeichnung der Militärzeit des Vaters. Zusätzlich fuhr er mit seiner Familie nach Frankreich, um die Wege seines Vaters nachzuzeichnen. Die Welt war aber eine andere geworden. Freund stellt die Zeit des Zweiten Weltkriegs der heutigen, des 21. Jahrhunderts, gegenüber. Es ist interessant, dass erst die nachfolgenden Generationen das Problem aufarbeiten. „Wir Kinder der Kriegskinder sind die Ersten, die nicht direkt durch den Krieg traumatisiert wurden. Unsere Eltern oder Großeltern haben viel Schreckliches verdrängt, mit Wiederaufbau und Wirtschaftswunder übertönt, doch sie sind alle im Krieg hängengeblieben. Natürlich mit unterschiedlicher Intensität. Sie wollten untereinander nicht über das Erlebte sprechen, und mit ihren Kindern auch nicht. Darum kommt von ihnen – seit Jahrzehnten! – der Ruf nach dem Schlussstrich. Sie wollen von der Vergangenheit endlich nicht mehr behelligt werde. Doch wir Kinder und Enkelkinder und Urenkelkinder sind neugierig. Wir wollen verstehen. Wir stellen Fragen.“ (Seite 201) Für jene Leser, die den Krieg (Gott sei Dank) nicht erlebt hatten, werden nochmals Fakten wiederholt, aus denen man die Tragweite des Geschehens ersehen kann. Etwa die Landung der Invasionstruppen in der Normandie mit 6000 Schiffen, 12000 Flugzeugen und 170.000 Soldaten. An manchen Abschnitten sind beim Landen 70 Prozent der Angreifer gefallen. 70.000 französische Zivilisten starben durch alliierte Truppen. „Der Preis der Freiheit war hoch.“ Der amerikanische Präsident meinte gegenüber Churchill „Wie bedauerlich zu erwartende Verluste unter den Zivilisten auch sein mögen, so bin ich nicht bereit, dem militärischen Handeln der verantwortlichen Kommandeure aus der Ferne irgendwelche Zügel anzulegen, die aus deren Sicht die Erfolge von „Overlord“ schmälern oder zusätzliche Verluste unter unseren alliierten Invasionstruppen verursachen könnten.“ (Seite 77) Diesen enormen logistischen Aufwand der Alliierten bei der Stürmung Europas stellt der Autor dem Austausch einer Küche gegenüber. Wie viele Dinge man da berücksichtigen muss und wie klein ist diese Administration im Vergleich zur Erstürmung Europas. „Seit ich mich auf die Spuren meines Vaters begeben habe, seit ich mir so richtig bewusst geworden bin, um welchen Preis unsere Freiheit erkauft wurde, macht mich die Art und Weise, wie wir mit dieser Freiheit umgehen, noch wütender.“ (Seite 198) Freund setzt sich auch mit der Definition „Deserteur“ auseinander. War sein Vater ein Held? Fühlte er sich als Deserteur? 15.000 Deserteure wurden von der deutschen Wehrmacht getötet. Hatte der damals 19-jährige Vater Angst? Fragen, die man aus heutiger Sicht nicht mehr beantworten kann. Da dieses Buch eine Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte ist, werden viele Dinge auch besser verständlich. Am Klassenfoto des Vaters wurden über vielen Mitschülern schwarze Kreuze gezeichnet. Schwarze Kreuze für jene Mitschüler, die im Krieg gefallen sind. Gefallen unmittelbar nach dem Schulabschluss. Während der Vater im Krieg war, ist dessen Vater gestorben und seine Mutter zog sich mit den Kindern aufs Land zurück. In der Stadt zu leben war durch die vielen Luftangriffe zu gefährlich geworden. Im Luftschutzkeller hatte sie den Kindern als Ersatz von Helmen Kochtöpfe aufgesetzt. René Freund setzt sich sehr gut mit der Vergangenheit unserer Väter und unserer Zeit auseinander. Er gewichtet und setzt Handlungen in die Situation der jeweiligen Periode. „Wir sind wahnsinnig gut darin, das Verhalten der Menschen „damals“ mit unseren moralischen Kriterien von heute zu beurteilen. Und natürlich aus der Sicherheit von heute. Mutig ist das nicht gerade. …. Die Frage „Wie hätte ich mich damals verhalten?“ führt direkt zu der für uns viel wichtigeren Frage: Wie verhalte ich mich heute?“ (Seite 199) Der Vater kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft, was ihm wahrscheinlich eine Exekution ersparte. Dort trat er schon als Schauspieler auf, denn das wollte er werden und als er wieder zu Hause war bekam er diese Ausbildung. Karriere machte er aber indirekt: als Direktor des österreichischen Fernsehens und später in der Filmbranche. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } FREUND, René: „Mein Vater, ein Deserteur. Eine Familiengeschichte“, Wien 2014 Der Autor arbeitet die Kriegsvergangenheit seines Vaters auf. Er fand ein Tagebuch mit Aufzeichnung der Militärzeit des Vaters. Zusätzlich fuhr er mit seiner Familie nach Frankreich, um die Wege seines Vaters nachzuzeichnen. Die Welt war aber eine andere geworden. Freund stellt die Zeit des Zweiten Weltkriegs der heutigen, des 21. Jahrhunderts, gegenüber. Es ist interessant, dass erst die nachfolgenden Generationen das Problem aufarbeiten. „Wir Kinder der Kriegskinder sind die Ersten, die nicht direkt durch den Krieg traumatisiert wurden. Unsere Eltern oder Großeltern haben viel Schreckliches verdrängt, mit Wiederaufbau und Wirtschaftswunder übertönt, doch sie sind alle im Krieg hängengeblieben. Natürlich mit unterschiedlicher Intensität. Sie wollten untereinander nicht über das Erlebte sprechen, und mit ihren Kindern auch nicht. Darum kommt von ihnen – seit Jahrzehnten! – der Ruf nach dem Schlussstrich. Sie wollen von der Vergangenheit endlich nicht mehr behelligt werde. Doch wir Kinder und Enkelkinder und Urenkelkinder sind neugierig. Wir wollen verstehen. Wir stellen Fragen.“ (Seite 201) Für jene Leser, die den Krieg (Gott sei Dank) nicht erlebt hatten, werden nochmals Fakten wiederholt, aus denen man die Tragweite des Geschehens ersehen kann. Etwa die Landung der Invasionstruppen in der Normandie mit 6000 Schiffen, 12000 Flugzeugen und 170.000 Soldaten. An manchen Abschnitten sind beim Landen 70 Prozent der Angreifer gefallen. 70.000 französische Zivilisten starben durch alliierte Truppen. „Der Preis der Freiheit war hoch.“ Der amerikanische Präsident meinte gegenüber Churchill „Wie bedauerlich zu erwartende Verluste unter den Zivilisten auch sein mögen, so bin ich nicht bereit, dem militärischen Handeln der verantwortlichen Kommandeure aus der Ferne irgendwelche Zügel anzulegen, die aus deren Sicht die Erfolge von „Overlord“ schmälern oder zusätzliche Verluste unter unseren alliierten Invasionstruppen verursachen könnten.“ (Seite 77) Diesen enormen logistischen Aufwand der Alliierten bei der Stürmung Europas stellt der Autor dem Austausch einer Küche gegenüber. Wie viele Dinge man da berücksichtigen muss und wie klein ist diese Administration im Vergleich zur Erstürmung Europas. „Seit ich mich auf die Spuren meines Vaters begeben habe, seit ich mir so richtig bewusst geworden bin, um welchen Preis unsere Freiheit erkauft wurde, macht mich die Art und Weise, wie wir mit dieser Freiheit umgehen, noch wütender.“ (Seite 198) Freund setzt sich auch mit der Definition „Deserteur“ auseinander. War sein Vater ein Held? Fühlte er sich als Deserteur? 15.000 Deserteure wurden von der deutschen Wehrmacht getötet. Hatte der damals 19-jährige Vater Angst? Fragen, die man aus heutiger Sicht nicht mehr beantworten kann. Da dieses Buch eine Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte ist, werden viele Dinge auch besser verständlich. Am Klassenfoto des Vaters wurden über vielen Mitschülern schwarze Kreuze gezeichnet. Schwarze Kreuze für jene Mitschüler, die im Krieg gefallen sind. Gefallen unmittelbar nach dem Schulabschluss. Während der Vater im Krieg war, ist dessen Vater gestorben und seine Mutter zog sich mit den Kindern aufs Land zurück. In der Stadt zu leben war durch die vielen Luftangriffe zu gefährlich geworden. Im Luftschutzkeller hatte sie den Kindern als Ersatz von Helmen Kochtöpfe aufgesetzt. René Freund setzt sich sehr gut mit der Vergangenheit unserer Väter und unserer Zeit auseinander. Er gewichtet und setzt Handlungen in die Situation der jeweiligen Periode. „Wir sind wahnsinnig gut darin, das Verhalten der Menschen „damals“ mit unseren moralischen Kriterien von heute zu beurteilen. Und natürlich aus der Sicherheit von heute. Mutig ist das nicht gerade. …. Die Frage „Wie hätte ich mich damals verhalten?“ führt direkt zu der für uns viel wichtigeren Frage: Wie verhalte ich mich heute?“ (Seite 199) Der Vater kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft, was ihm wahrscheinlich eine Exekution ersparte. Dort trat er schon als Schauspieler auf, denn das wollte er werden und als er wieder zu Hause war bekam er diese Ausbildung. Karriere machte er aber indirekt: als Direktor des österreichischen Fernsehens und später in der Filmbranche. |
PLUHAR, Erika Hedwig heißt man doch nicht mehr Buch 2021. @book{PLUHAR2021, title = {Hedwig heißt man doch nicht mehr}, author = {Erika PLUHAR}, year = {2021}, date = {2021-08-29}, abstract = {PLUHAR, Erika: „Hedwig heißt man doch nicht mehr“, Salzburg Wien 2021 In ihrer blumigen und direkten Sprache erzählt Erika Pluhar in diesem Buch, wie Hedwig, eine 50-jährige Frau aus Portugal nach Wien kommt, um das Erbe ihrer Großmutter anzutreten. Sie war bei der Großmutter aufgewachsen. Als zwölfjähriges Mädchen kamen ihre Eltern bei einem Zugunglück ums Leben und sie landete bei ihrer Oma. Hedwig lebte viele Jahre allein mit ihrer Oma. Sie besucht die Schule und studiert später an der Universität Publizistik. Da tritt erstmals ein Mann in ihr Leben: Eugen, ein Dozent am Institut gefällt ihr und sie ihm. Er führt sie in ein neues Leben. Mit Lügen muss sie von zu Hause, von der Oma wegbleiben, um ihren Eugen zu besuchen, der in einem Hotelzimmer wohnt, weil er seine Familie verlassen hatte. Dieser Eugen führte mich als Leser in einen Teil meiner eigenen Vergangenheit. Eugen war – so schien es mir beim Lesen – ein Kollege von mir. Wir führten mitsammen ein Forschungsprojekt durch und schrieben gemeinsam ein Buch. Er war auch einmal der Freund der Autorin und nur so konnte es sein, dass er eine Rolle in diesem Buch bekam. Hedwig beendet ihr Studium und findet bei einer Zeitung eine nicht erstrebenswerte Anstellung. Auch das Leben mit dem Freund Eugen veränderte sich und die Liebe erlosch. Zwar hatten sie noch zu dritt – Oma, Eugen und Hedwig – den Studienabschluss gefeiert, aber Hedwig brach zu neuen Ufern auf. Ja sie floh. Sie verließ heimlich die Oma, der sie ihre Jugendjahre verdanken hätte sollen. Sie brach aus diesem Leben aus. Versteckte unter dem Bett den Koffer, in dem sie ihr Hab und Gut zur Abreise sammelte. Zeitig am Morgen, als die Oma noch schlief, verließ sie das Haus. Hinterließ keine Adresse. Fuhr mit dem Zug zu ihrer Schulfreundin nach Berlin. Dort tauchte sie wieder ins journalistische Leben ein. Später dann wurde sie Pressereferentin bei einem Buchverlag. Sie war glücklich und doch trat wieder ein Mann in ihr Leben: ein Portugiese, mit dem sie nach Lissabon übersiedelte. Sie lernte portugiesisch und mit Hilfe des einflussreichen Freundes fand sie wieder einen Job als Journalistin. Eine Kollegin, die zur Freundin wurde, half ihr die Sprachbarriere zu überwinden. Gemeinsam fanden sie einen Hund. Sie taufte ihn Anton. Die Beziehung zum Freund verdüsterte sich. Er hatte immer weniger Zeit für sie. Sie kündigt ihren Job, der sie nicht zufrieden stellte. So war sie viel zu Hause. Plötzlich stand eine Frau vor der Tür, die sich als Freundin ihres Lebensgefährten ausgab und in Hedwig die Haushälterin sah. Weinend packte sie ihre Koffer und verließ noch am selben Tag diese Wohnung. Mit ihrem Hund Anton zog sie bei der Freundin ein. Der verlassene Freund zeigte sich aber anständig und zahlte eine Wohnung und überwies monatliche einen Betrag. Der Hund wurde so zu ihrem Lebensmittelpunkt. Viele Männer gab es im hier erzählten Lebensabschnitt von Hedwig, aber sehr emotionell wurde es, als sie sich von ihrem verstorbenen Hund Anton verabschiedet. Das lässt die Augen keines Lesers trocken bleiben. Wenig später übersiedelt die Freundin nach Brasilien und sie bleibt allein zurück. Sie verfällt. Pflegt sich nicht mehr. Trinkt zu viel. Nimmt Beruhigungsmedikamente. Geht nicht mehr aus. Nur das Notwendigste einzukaufen. Eigentlich sieht sie keinen Sinn mehr im Leben. Bei einem ihrer Einkaufswege erkennt sie trotz Ungepflegtheit eine entfernte Verwandte aus Wien. Man tauscht die Telefonnummern aus. Dies erlaubt es dann, dass sich ihr Cousin telefonisch meldet und mitteilt, dass die Oma schon vor 1 ½ Jahren verstorben sei. Laut Testament habe sie die Wiener Wohnung geerbt. Sie bricht wieder auf und kehrt nach Wien zurück, um diese Wohnung zu beziehen. Die Geschichte ist in Form eines Briefes an die verstorbene Oma geschrieben. In der Wiener Wohnung schreibt sie ihr Leben nieder. Das schlechte Gewissen gegenüber ihrer Oma will sie so abstreifen. In ihren Schreibpausen, die sie in einem Restaurant verbringt, lernt sie einen Mann kennen. Das Verhältnis wird intensiver und sie befreunden sich. Das Buch aber endet mit dem letzten Briefeintrag an die Oma: dem Umzug nach Wien. Erika Pluhar ist eine gute Erzählerin. Keine spektakulären Stories, aber sehr viel menschliches kann sie vermitteln und greift dabei auf eigene Erfahrungen zurück. Nur so kann sie authentisch das Leben in Portugal, wo sie oft war, beschreiben. Durch Zufall wurde auch ich in einen Abschnitt geführt, der mein Leben ausmachte: die Universität Wien und mein leider verstorbener Freund Eugen. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } PLUHAR, Erika: „Hedwig heißt man doch nicht mehr“, Salzburg Wien 2021 In ihrer blumigen und direkten Sprache erzählt Erika Pluhar in diesem Buch, wie Hedwig, eine 50-jährige Frau aus Portugal nach Wien kommt, um das Erbe ihrer Großmutter anzutreten. Sie war bei der Großmutter aufgewachsen. Als zwölfjähriges Mädchen kamen ihre Eltern bei einem Zugunglück ums Leben und sie landete bei ihrer Oma. Hedwig lebte viele Jahre allein mit ihrer Oma. Sie besucht die Schule und studiert später an der Universität Publizistik. Da tritt erstmals ein Mann in ihr Leben: Eugen, ein Dozent am Institut gefällt ihr und sie ihm. Er führt sie in ein neues Leben. Mit Lügen muss sie von zu Hause, von der Oma wegbleiben, um ihren Eugen zu besuchen, der in einem Hotelzimmer wohnt, weil er seine Familie verlassen hatte. Dieser Eugen führte mich als Leser in einen Teil meiner eigenen Vergangenheit. Eugen war – so schien es mir beim Lesen – ein Kollege von mir. Wir führten mitsammen ein Forschungsprojekt durch und schrieben gemeinsam ein Buch. Er war auch einmal der Freund der Autorin und nur so konnte es sein, dass er eine Rolle in diesem Buch bekam. Hedwig beendet ihr Studium und findet bei einer Zeitung eine nicht erstrebenswerte Anstellung. Auch das Leben mit dem Freund Eugen veränderte sich und die Liebe erlosch. Zwar hatten sie noch zu dritt – Oma, Eugen und Hedwig – den Studienabschluss gefeiert, aber Hedwig brach zu neuen Ufern auf. Ja sie floh. Sie verließ heimlich die Oma, der sie ihre Jugendjahre verdanken hätte sollen. Sie brach aus diesem Leben aus. Versteckte unter dem Bett den Koffer, in dem sie ihr Hab und Gut zur Abreise sammelte. Zeitig am Morgen, als die Oma noch schlief, verließ sie das Haus. Hinterließ keine Adresse. Fuhr mit dem Zug zu ihrer Schulfreundin nach Berlin. Dort tauchte sie wieder ins journalistische Leben ein. Später dann wurde sie Pressereferentin bei einem Buchverlag. Sie war glücklich und doch trat wieder ein Mann in ihr Leben: ein Portugiese, mit dem sie nach Lissabon übersiedelte. Sie lernte portugiesisch und mit Hilfe des einflussreichen Freundes fand sie wieder einen Job als Journalistin. Eine Kollegin, die zur Freundin wurde, half ihr die Sprachbarriere zu überwinden. Gemeinsam fanden sie einen Hund. Sie taufte ihn Anton. Die Beziehung zum Freund verdüsterte sich. Er hatte immer weniger Zeit für sie. Sie kündigt ihren Job, der sie nicht zufrieden stellte. So war sie viel zu Hause. Plötzlich stand eine Frau vor der Tür, die sich als Freundin ihres Lebensgefährten ausgab und in Hedwig die Haushälterin sah. Weinend packte sie ihre Koffer und verließ noch am selben Tag diese Wohnung. Mit ihrem Hund Anton zog sie bei der Freundin ein. Der verlassene Freund zeigte sich aber anständig und zahlte eine Wohnung und überwies monatliche einen Betrag. Der Hund wurde so zu ihrem Lebensmittelpunkt. Viele Männer gab es im hier erzählten Lebensabschnitt von Hedwig, aber sehr emotionell wurde es, als sie sich von ihrem verstorbenen Hund Anton verabschiedet. Das lässt die Augen keines Lesers trocken bleiben. Wenig später übersiedelt die Freundin nach Brasilien und sie bleibt allein zurück. Sie verfällt. Pflegt sich nicht mehr. Trinkt zu viel. Nimmt Beruhigungsmedikamente. Geht nicht mehr aus. Nur das Notwendigste einzukaufen. Eigentlich sieht sie keinen Sinn mehr im Leben. Bei einem ihrer Einkaufswege erkennt sie trotz Ungepflegtheit eine entfernte Verwandte aus Wien. Man tauscht die Telefonnummern aus. Dies erlaubt es dann, dass sich ihr Cousin telefonisch meldet und mitteilt, dass die Oma schon vor 1 ½ Jahren verstorben sei. Laut Testament habe sie die Wiener Wohnung geerbt. Sie bricht wieder auf und kehrt nach Wien zurück, um diese Wohnung zu beziehen. Die Geschichte ist in Form eines Briefes an die verstorbene Oma geschrieben. In der Wiener Wohnung schreibt sie ihr Leben nieder. Das schlechte Gewissen gegenüber ihrer Oma will sie so abstreifen. In ihren Schreibpausen, die sie in einem Restaurant verbringt, lernt sie einen Mann kennen. Das Verhältnis wird intensiver und sie befreunden sich. Das Buch aber endet mit dem letzten Briefeintrag an die Oma: dem Umzug nach Wien. Erika Pluhar ist eine gute Erzählerin. Keine spektakulären Stories, aber sehr viel menschliches kann sie vermitteln und greift dabei auf eigene Erfahrungen zurück. Nur so kann sie authentisch das Leben in Portugal, wo sie oft war, beschreiben. Durch Zufall wurde auch ich in einen Abschnitt geführt, der mein Leben ausmachte: die Universität Wien und mein leider verstorbener Freund Eugen. |
Köhlmeier, Michael Bruder und Schwester Lenobel Buch 2021. @book{Köhlmeier2021, title = {Bruder und Schwester Lenobel}, author = {Michael Köhlmeier}, year = {2021}, date = {2021-08-21}, abstract = {KÖHLMEIER, Michael: „Bruder und Schwester Lenobel“, München 2020 Ein sehr langatmiges Werk. Über 500 Seiten braucht der Autor, um das Seelenleben von Bruder und Schwester und der Ehefrau des Bruders zu beschreiben. Weit entfernt er sich oft vom Leitthema und lässt den „Bruder“, der von Beruf Psychiater ist, eine Wand am Naschmarkt streichen. Er zahlt den dort engagierten Anstreicher, dass er ihm diese Arbeit machen lässt. Sie tauschen die Kleidung und den Stundenlohn bekommt der pausierende Maler. Sehr detailliert wird diese Szene beschrieben. Es ist dies nur ein Beispiel des Abdriftens vom Thema. Zum Thema selbst: Die Schwester des Psychiaters, des Bruders wohnt in Irland. Sie ist eine weit gereiste Frau, die schon oft in ihrem Leben übersiedelt ist. Ganz anders der Bruder. Außer einer Hochzeitsreise nach den USA kam er noch nicht herum. Plötzlich ist er verschwunden. Die Schwägerin ruft die Schwester zu Hilfe. Sie kommt aus Dublin angereist nach Wien. Vom Bruder erfährt man als Leser - aus einem Dialog mit seinem Freund - von seiner großen Liebe, einem Seitensprung, den er erst mit über 50 Jahren erlebte. Zwar sind die beiden Geschwister – der Bruder und die Schwester Lenobel – die Hauptpersonen des Romans, aber es kommt auch deren Umgebung zu Wort: ein Freund der Familie, die Kinder und deren Freunde. So zieht sich die Geschichte über viele Menschenschicksale hin. Der Vater wird wieder „gesichtet“. Er ist als Halbjude nach Israel ausgewandert, wo er aber nicht Fuß fassen konnte. „Das war er: ein weitgereister Jude, der keine Sprache verstand außer der seinen und keine andere sprach, nicht einmal die Allerweltsprache. Und warum nicht? Weil er nicht aus unser aller Welt kam? Eine Prüfung, Hebräisch von Arabisch zu unterscheiden, hätte er nicht bestanden.“ (Seite 539) Um die Qualität des Schriftstellerischen darzustellen, möchte ich hier einen kleinen Diskurs über die Zeit wiedergeben (und selbst das ist nur ein kurzer Auszug aus einem wesentlich Größeren): „Man bildet sich ein, man merkt auch wie die Zeit vergeht, aber das ist eine Illusion. Die Zeit versteckt sich hinter den Dingen, mit denen sie angefüllt wird, und wenn wir sagen, die Zeit vergeht mehr oder weniger schnell, sprechen wir in Wahrheit nicht von der Zeit, sondern von den Dingen, mit denen wir sie ausfüllen, die uns mehr oder weniger interessieren. Die Zeit für sich ist Langeweile. Sie ist ein unendlicher Schwindel, im doppelten Sinn des Wortes….“ (Seite 345) Die Geschichte verzweigt sich auf ihren über 500 Seiten in einen breiten Stammbaum. Alles ist großartig beschrieben. Beim Lesen kamen mir Zweifel. Ist es möglich, dass ein Mann, ein Schriftsteller, soviel schreiben kann? Fast jedes Jahr kommt ein Buch in diesem Umfang. Oder hat er eine Schreibwerkstatt, wie früher Maler, die das Thema eines Bildes vorgaben und dann bestimmte Details ihren Gesellen malen ließen. Ein Kollege von mir hatte Wildwestromane – sogenannte „Schundheftl“ – geschrieben. Sein Auftraggeber setzte immer kurze Fristen. Um den Abgabetermin einzuhalten, schrieb er Tag und Nacht und seine Frau half ihm dabei. Er begann so einen Roman und bat seine Frau mit Seite 20 einen Reiter zu beschreiben, der durch eine Steppe reitet. Er endete auf der Seite 19 mit dem Erreichen dieser Steppe. So schrieb er, in Zeiten ohne Computer, in einem versetzten Modus. Hat auch Köhlmeier solche „Mitschreiber“? Zumindest deren Niveau ist hoch, so wie das des Meisters Köhlmeier. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } KÖHLMEIER, Michael: „Bruder und Schwester Lenobel“, München 2020 Ein sehr langatmiges Werk. Über 500 Seiten braucht der Autor, um das Seelenleben von Bruder und Schwester und der Ehefrau des Bruders zu beschreiben. Weit entfernt er sich oft vom Leitthema und lässt den „Bruder“, der von Beruf Psychiater ist, eine Wand am Naschmarkt streichen. Er zahlt den dort engagierten Anstreicher, dass er ihm diese Arbeit machen lässt. Sie tauschen die Kleidung und den Stundenlohn bekommt der pausierende Maler. Sehr detailliert wird diese Szene beschrieben. Es ist dies nur ein Beispiel des Abdriftens vom Thema. Zum Thema selbst: Die Schwester des Psychiaters, des Bruders wohnt in Irland. Sie ist eine weit gereiste Frau, die schon oft in ihrem Leben übersiedelt ist. Ganz anders der Bruder. Außer einer Hochzeitsreise nach den USA kam er noch nicht herum. Plötzlich ist er verschwunden. Die Schwägerin ruft die Schwester zu Hilfe. Sie kommt aus Dublin angereist nach Wien. Vom Bruder erfährt man als Leser - aus einem Dialog mit seinem Freund - von seiner großen Liebe, einem Seitensprung, den er erst mit über 50 Jahren erlebte. Zwar sind die beiden Geschwister – der Bruder und die Schwester Lenobel – die Hauptpersonen des Romans, aber es kommt auch deren Umgebung zu Wort: ein Freund der Familie, die Kinder und deren Freunde. So zieht sich die Geschichte über viele Menschenschicksale hin. Der Vater wird wieder „gesichtet“. Er ist als Halbjude nach Israel ausgewandert, wo er aber nicht Fuß fassen konnte. „Das war er: ein weitgereister Jude, der keine Sprache verstand außer der seinen und keine andere sprach, nicht einmal die Allerweltsprache. Und warum nicht? Weil er nicht aus unser aller Welt kam? Eine Prüfung, Hebräisch von Arabisch zu unterscheiden, hätte er nicht bestanden.“ (Seite 539) Um die Qualität des Schriftstellerischen darzustellen, möchte ich hier einen kleinen Diskurs über die Zeit wiedergeben (und selbst das ist nur ein kurzer Auszug aus einem wesentlich Größeren): „Man bildet sich ein, man merkt auch wie die Zeit vergeht, aber das ist eine Illusion. Die Zeit versteckt sich hinter den Dingen, mit denen sie angefüllt wird, und wenn wir sagen, die Zeit vergeht mehr oder weniger schnell, sprechen wir in Wahrheit nicht von der Zeit, sondern von den Dingen, mit denen wir sie ausfüllen, die uns mehr oder weniger interessieren. Die Zeit für sich ist Langeweile. Sie ist ein unendlicher Schwindel, im doppelten Sinn des Wortes….“ (Seite 345) Die Geschichte verzweigt sich auf ihren über 500 Seiten in einen breiten Stammbaum. Alles ist großartig beschrieben. Beim Lesen kamen mir Zweifel. Ist es möglich, dass ein Mann, ein Schriftsteller, soviel schreiben kann? Fast jedes Jahr kommt ein Buch in diesem Umfang. Oder hat er eine Schreibwerkstatt, wie früher Maler, die das Thema eines Bildes vorgaben und dann bestimmte Details ihren Gesellen malen ließen. Ein Kollege von mir hatte Wildwestromane – sogenannte „Schundheftl“ – geschrieben. Sein Auftraggeber setzte immer kurze Fristen. Um den Abgabetermin einzuhalten, schrieb er Tag und Nacht und seine Frau half ihm dabei. Er begann so einen Roman und bat seine Frau mit Seite 20 einen Reiter zu beschreiben, der durch eine Steppe reitet. Er endete auf der Seite 19 mit dem Erreichen dieser Steppe. So schrieb er, in Zeiten ohne Computer, in einem versetzten Modus. Hat auch Köhlmeier solche „Mitschreiber“? Zumindest deren Niveau ist hoch, so wie das des Meisters Köhlmeier. |
Freund, René 2021. @book{Freund2021, title = {Das Vierzehn-Tage Date}, author = {René Freund}, year = {2021}, date = {2021-08-06}, abstract = {FREUND, René: „Das Vierzehn-Tage Date“, Wien 2021 In der Pandemie und ihren Lock Down hatten alle viel Zeit. Auch Schriftsteller. Einer nützte es, um sich dem aktuellen Thema zu widmen: René Freund. Er tat es mit einer Quarantäne-Geschichte. In der Internetplattform „Tinder“ kann man sich ein Date ausmachen. So tat auch es auch David und es meldete sich Corinna. Sie kam zum Treffen in der Wohnung von David zu spät. Die Beiden waren so unterschiedlich, dass Corinna nach kurzer Zeit schon wieder gehen wollte. Sie blieb aber zu einem Abendessen. Sie bestellten eine Pizza und Wein. Gebracht wurde sie von Corinnas Chef (sie arbeitete in einer Pizzeria als Kellnerin). Er küsste sie und schenkte dem Tinder-Paar das Gebrachte. Corinna war nervös. Ihr Gegenüber war ihr intellektuell überlegen. Ein Musiker, ein Musiklehrer aus gutem Haus. Sie eine einfache Frau. So trank sie viel Alkohol, um dieses Minderwertigkeitsgefühl zu überspielen. Das führte zu einer starken Trunkenheit und sie blieb eine Nacht, an die sie sich aber nachher nicht mehr erinnern kann. An diesem Folgetag erschien ein in Plastikgewand geschützter Beamter und teilte den beiden mit, dass der Pizzamann positiv auf Covid19 getestet wurde und sie beide daher 14 Tage in Quarantäne bleiben müssen. Ein Schock. Und darauf baut dieser Roman auf. Diese, so unterschiedlichen Menschen müssen zusammenleben. Irgendwie wird es aber doch eine Freundschaft, auch wenn es nicht zu Sex kam. Ganz im Gegenteil. Corinna berät David, wie er zu einer Kollegin, die er sehr verehrt, Kontakt knüpfen kann. Sie wird im Laufe der 14 Tage die Lieferantin für Essen und Getränke. Der Autor legt den beiden isolierten Menschen auch gesellschaftspolitische Diskussionen in den Mund. Corinna etwa klassifiziert fünf Typen von Männern. Sie bringt dabei ihre Erfahrung mit Männern ein, wie bindungsfähig sie sind: • Der Einser ist der Perfekte. • Der Zweier ist der verkappte Frauenhasser • Der Dreier ist verheiratet und hat Kinder. • Der Vierer ist das große Kind. • Der Fünfer ist der Kumpeltyp. Viel diskutieren sie über diese Pandemie und ihre Bekämpfung. Einerseits kommen negative Argumente. Andererseits sieht ein Partner auch etwas Positives in der Situation, auch wenn es für die Beiden im Augenblick des Geschehens nicht so ist. Ungewöhnlich dann der Ausgang, den ich hier aber nicht verrate. Nur so viel: es wird kein kitschiges Happy End. Auch bei den Namen der Proponenten hat sich René Freund etwas überlegt: Davids Tinder Name ist David19. Kombiniert mit den Anfangsbuchstaben von Corinna und dem zweiten Teil von Davids Namen ergibt dies Co-vid19 }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } FREUND, René: „Das Vierzehn-Tage Date“, Wien 2021 In der Pandemie und ihren Lock Down hatten alle viel Zeit. Auch Schriftsteller. Einer nützte es, um sich dem aktuellen Thema zu widmen: René Freund. Er tat es mit einer Quarantäne-Geschichte. In der Internetplattform „Tinder“ kann man sich ein Date ausmachen. So tat auch es auch David und es meldete sich Corinna. Sie kam zum Treffen in der Wohnung von David zu spät. Die Beiden waren so unterschiedlich, dass Corinna nach kurzer Zeit schon wieder gehen wollte. Sie blieb aber zu einem Abendessen. Sie bestellten eine Pizza und Wein. Gebracht wurde sie von Corinnas Chef (sie arbeitete in einer Pizzeria als Kellnerin). Er küsste sie und schenkte dem Tinder-Paar das Gebrachte. Corinna war nervös. Ihr Gegenüber war ihr intellektuell überlegen. Ein Musiker, ein Musiklehrer aus gutem Haus. Sie eine einfache Frau. So trank sie viel Alkohol, um dieses Minderwertigkeitsgefühl zu überspielen. Das führte zu einer starken Trunkenheit und sie blieb eine Nacht, an die sie sich aber nachher nicht mehr erinnern kann. An diesem Folgetag erschien ein in Plastikgewand geschützter Beamter und teilte den beiden mit, dass der Pizzamann positiv auf Covid19 getestet wurde und sie beide daher 14 Tage in Quarantäne bleiben müssen. Ein Schock. Und darauf baut dieser Roman auf. Diese, so unterschiedlichen Menschen müssen zusammenleben. Irgendwie wird es aber doch eine Freundschaft, auch wenn es nicht zu Sex kam. Ganz im Gegenteil. Corinna berät David, wie er zu einer Kollegin, die er sehr verehrt, Kontakt knüpfen kann. Sie wird im Laufe der 14 Tage die Lieferantin für Essen und Getränke. Der Autor legt den beiden isolierten Menschen auch gesellschaftspolitische Diskussionen in den Mund. Corinna etwa klassifiziert fünf Typen von Männern. Sie bringt dabei ihre Erfahrung mit Männern ein, wie bindungsfähig sie sind: • Der Einser ist der Perfekte. • Der Zweier ist der verkappte Frauenhasser • Der Dreier ist verheiratet und hat Kinder. • Der Vierer ist das große Kind. • Der Fünfer ist der Kumpeltyp. Viel diskutieren sie über diese Pandemie und ihre Bekämpfung. Einerseits kommen negative Argumente. Andererseits sieht ein Partner auch etwas Positives in der Situation, auch wenn es für die Beiden im Augenblick des Geschehens nicht so ist. Ungewöhnlich dann der Ausgang, den ich hier aber nicht verrate. Nur so viel: es wird kein kitschiges Happy End. Auch bei den Namen der Proponenten hat sich René Freund etwas überlegt: Davids Tinder Name ist David19. Kombiniert mit den Anfangsbuchstaben von Corinna und dem zweiten Teil von Davids Namen ergibt dies Co-vid19 |
FRISCHMUTH, Barbara Dein Schatten tanzt in der Küche Buch 2021. @book{FRISCHMUTH2021b, title = {Dein Schatten tanzt in der Küche}, author = {Barbara FRISCHMUTH}, year = {2021}, date = {2021-08-01}, abstract = { FRISCHMUTH, Barbara: „Dein Schatten tanzt in der Küche“, Erzählungen, Berlin 2021 Bereits in der ersten Geschichte dieses Buches zeigt sich Barbara Frischmuth als große Meisterin der Erzählkunst. Es ist eine Geschichte, die mit dem Buben Adnan beginnt und mit ihm endet. Darya flüchtet mit ihrem (inoffiziell) Verlobten. Ein Bub – Adnan - testet sein Messer am Schlauchboot, in dem sie flüchten und das Boot sinkt. Dabei stellt sich heraus, dass der Verlobte von Darya nicht schwimmen kann. Darya versucht ihn zu schleppen, scheitert aber und kommt bewusstlos an Land. Sie ist traumatisiert. Trotzdem fasst sie schnell Fuß. Integriert sich. Lernt die deutsche Sprache und bekommt einen Job. Um ihre Familie zu Hause nicht in Schwierigkeiten zu bringen, hält sie keinen Kontakt. Als sie dann Adnan, den Buben, der das Boot zum Sinken brachte, als Schüler bekommt, aktiviert sie wieder ihre arabische Muttersprache. Die Vergangenheit holt sie wieder ein. Sie telefoniert mit der Mutter. Vieles hat sich zu Hause verändert. Der Vater ist gestorben. Darya versucht mit Jemandem darüber zu reden, aber auch ein Freund hat keine Zeit. Sie nimmt Schlafpulver, um zu testen, wem sie abgehen würde. Leider wird sie nur mehr tot gefunden. Auch in der folgenden Erzählung bewegt sie sich im Thema der Migration. Bei „Enkelhaft“ sucht eine Tochter das Ursprungsland der Mutter auf und hinterlässt ihr das Kind des Freundes zum Babysitten. In „Kein Engel vor der Tür“ verliert eine mittelmäßige Schauspielerin ihre gesamte Familie. Nahe am Notstand lebend lernt sie im Alter von über 70 Jahren einen ehemaligen Freund und Liebhaber kennen. Die beiden verlieben sich und verbringen bereits die erste Nacht in der Wohnung der Frau. Am Morgen muss sie feststellen, dass der Liebhaber in ihrem Bett gestorben ist. Das Buch umfasst fünf Geschichten. In der vorletzten – „Die Katze, die im Sprung gefror“ – wird das Leben einer Frau erzählt, wie sie aus der Stadt aufs Land zu einem Bauern zieht. Die Landwirtschaft ist nicht mehr lukrativ und er muss als Nebenerwerbsbauer weitermachen. Für seinen Sohn wird Feld für Feld und Acker für Acker verkauft, um sein Studium und dann seine wissenschaftlichen Expeditionen zu unterstützen. Letztlich wird auch das Haus verkauft und daneben ein kleines, für das alternde Paar, gebaut. Der Mann lebt nur mehr kurze Zeit und die Frau bringt sich allein durchs Leben. Ein Frauenschicksal, das es sicher oft gibt und hier von Barbara Frischmuth auf die literarische Bühne gebracht wird Die längste Geschichte dieses Buchs ist die letzte: „Die Rötung der Tomate im Winter“. Es geht um das Paar Doris und Ödon. Jeder Person wird ein Kapitel gewidmet und so kommen die Blickwinkel dieser beiden Menschen und ihrem Schicksal zum Vorschein. Doris verlor im sechsten Monat ihr Kind, das von Ödon stammte. Die Hochzeit war schon angesagt, als Ödon aus einer Dienstreise einen Brief schickte, um mitzuteilen, dass er glaube, sie sei nicht die richtige Frau. Die Hochzeit wurde abgesagt. Doris versuchte wieder Tritt zu fassen. Änderte Jobs und landete in einer Gärtnerei. Auch ihr Vater hatte eine Gärtnerei. In den taubstummen Sohn des Arbeitgebers verliebte sie sich. Ja, sie wurde von ihm schwanger. Als sie gemeinsam mit dem Rad unterwegs waren kam es zu einem Unfall, bei dem sie starb. Nun die Geschichte von Ödon. Sein Vater war Alleinerzieher. Ein Künstler. Sie flüchteten aus Ungarn und zogen zu einem Onkel in Wien. Er war homosexuell und förderte das Leben des jungen Ödon. In der Schule verliebte er sich in ein junges Mädchen, das mit ihren Eltern aus Lateinamerika zurückkam und – so wie er – schlecht Deutsch sprach. Er studierte später Wirtschaft und verbrachte einen Teil der Studienzeit in England. Bedingt durch seine Sprachkenntnisse fasste er Fuß in einem Immobilienbüro. Das Paar verlor sich. Die Freundin heiratete einen Gärtner. Bei einem Begräbnis trafen sie sich wieder und er wurde eingeladen. Die ehemalige Freundin hatte ein vierjähriges Mädchen. Das Kind wuchs heran und Ödon kümmerte sich immer mehr um sie. Er war 25 Jahre älter. Trotzdem fanden sie zusammen. Und hier treffen sich die beiden Geschichten wieder. Sie wurde von ihm schwanger und verlor das Kind im sechsten Monat. Er sagte die Hochzeit ab, weil er in seinem Geburtsland in eine alte Depression zurückgefallen war und Selbstmord beging, den er aber überlebte. Er will wieder zu seiner Doris. „Bis der Tod uns scheidet!, sagte er mehrmals laut vor sich hin. Vielleicht würde es ihnen sogar gelingen, sich auch vom Tod nicht scheiden zu lassen, sondern ihm in unverbrüchlicher Gemeinsamkeit entgegenzutreten, wenn es so weit war“ (Seite 222) Mit diesem Satz endet das Buch. Ob Ödon da schon wusste, dass „seine“ Doris schon tot war? Für den Leser bleibt es offen. Barbara Frischmuth ist nicht eine Dichterin mit gutem Namen, die eben weiter Bücher produziert, sondern jedes neue Werk ist ein Meisterwerk. Sie beruft sich nicht auf den Erfolg ihrer Vergangenheit, sie stellt ihn immer wieder neu unter Beweis. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } FRISCHMUTH, Barbara: „Dein Schatten tanzt in der Küche“, Erzählungen, Berlin 2021 Bereits in der ersten Geschichte dieses Buches zeigt sich Barbara Frischmuth als große Meisterin der Erzählkunst. Es ist eine Geschichte, die mit dem Buben Adnan beginnt und mit ihm endet. Darya flüchtet mit ihrem (inoffiziell) Verlobten. Ein Bub – Adnan - testet sein Messer am Schlauchboot, in dem sie flüchten und das Boot sinkt. Dabei stellt sich heraus, dass der Verlobte von Darya nicht schwimmen kann. Darya versucht ihn zu schleppen, scheitert aber und kommt bewusstlos an Land. Sie ist traumatisiert. Trotzdem fasst sie schnell Fuß. Integriert sich. Lernt die deutsche Sprache und bekommt einen Job. Um ihre Familie zu Hause nicht in Schwierigkeiten zu bringen, hält sie keinen Kontakt. Als sie dann Adnan, den Buben, der das Boot zum Sinken brachte, als Schüler bekommt, aktiviert sie wieder ihre arabische Muttersprache. Die Vergangenheit holt sie wieder ein. Sie telefoniert mit der Mutter. Vieles hat sich zu Hause verändert. Der Vater ist gestorben. Darya versucht mit Jemandem darüber zu reden, aber auch ein Freund hat keine Zeit. Sie nimmt Schlafpulver, um zu testen, wem sie abgehen würde. Leider wird sie nur mehr tot gefunden. Auch in der folgenden Erzählung bewegt sie sich im Thema der Migration. Bei „Enkelhaft“ sucht eine Tochter das Ursprungsland der Mutter auf und hinterlässt ihr das Kind des Freundes zum Babysitten. In „Kein Engel vor der Tür“ verliert eine mittelmäßige Schauspielerin ihre gesamte Familie. Nahe am Notstand lebend lernt sie im Alter von über 70 Jahren einen ehemaligen Freund und Liebhaber kennen. Die beiden verlieben sich und verbringen bereits die erste Nacht in der Wohnung der Frau. Am Morgen muss sie feststellen, dass der Liebhaber in ihrem Bett gestorben ist. Das Buch umfasst fünf Geschichten. In der vorletzten – „Die Katze, die im Sprung gefror“ – wird das Leben einer Frau erzählt, wie sie aus der Stadt aufs Land zu einem Bauern zieht. Die Landwirtschaft ist nicht mehr lukrativ und er muss als Nebenerwerbsbauer weitermachen. Für seinen Sohn wird Feld für Feld und Acker für Acker verkauft, um sein Studium und dann seine wissenschaftlichen Expeditionen zu unterstützen. Letztlich wird auch das Haus verkauft und daneben ein kleines, für das alternde Paar, gebaut. Der Mann lebt nur mehr kurze Zeit und die Frau bringt sich allein durchs Leben. Ein Frauenschicksal, das es sicher oft gibt und hier von Barbara Frischmuth auf die literarische Bühne gebracht wird Die längste Geschichte dieses Buchs ist die letzte: „Die Rötung der Tomate im Winter“. Es geht um das Paar Doris und Ödon. Jeder Person wird ein Kapitel gewidmet und so kommen die Blickwinkel dieser beiden Menschen und ihrem Schicksal zum Vorschein. Doris verlor im sechsten Monat ihr Kind, das von Ödon stammte. Die Hochzeit war schon angesagt, als Ödon aus einer Dienstreise einen Brief schickte, um mitzuteilen, dass er glaube, sie sei nicht die richtige Frau. Die Hochzeit wurde abgesagt. Doris versuchte wieder Tritt zu fassen. Änderte Jobs und landete in einer Gärtnerei. Auch ihr Vater hatte eine Gärtnerei. In den taubstummen Sohn des Arbeitgebers verliebte sie sich. Ja, sie wurde von ihm schwanger. Als sie gemeinsam mit dem Rad unterwegs waren kam es zu einem Unfall, bei dem sie starb. Nun die Geschichte von Ödon. Sein Vater war Alleinerzieher. Ein Künstler. Sie flüchteten aus Ungarn und zogen zu einem Onkel in Wien. Er war homosexuell und förderte das Leben des jungen Ödon. In der Schule verliebte er sich in ein junges Mädchen, das mit ihren Eltern aus Lateinamerika zurückkam und – so wie er – schlecht Deutsch sprach. Er studierte später Wirtschaft und verbrachte einen Teil der Studienzeit in England. Bedingt durch seine Sprachkenntnisse fasste er Fuß in einem Immobilienbüro. Das Paar verlor sich. Die Freundin heiratete einen Gärtner. Bei einem Begräbnis trafen sie sich wieder und er wurde eingeladen. Die ehemalige Freundin hatte ein vierjähriges Mädchen. Das Kind wuchs heran und Ödon kümmerte sich immer mehr um sie. Er war 25 Jahre älter. Trotzdem fanden sie zusammen. Und hier treffen sich die beiden Geschichten wieder. Sie wurde von ihm schwanger und verlor das Kind im sechsten Monat. Er sagte die Hochzeit ab, weil er in seinem Geburtsland in eine alte Depression zurückgefallen war und Selbstmord beging, den er aber überlebte. Er will wieder zu seiner Doris. „Bis der Tod uns scheidet!, sagte er mehrmals laut vor sich hin. Vielleicht würde es ihnen sogar gelingen, sich auch vom Tod nicht scheiden zu lassen, sondern ihm in unverbrüchlicher Gemeinsamkeit entgegenzutreten, wenn es so weit war“ (Seite 222) Mit diesem Satz endet das Buch. Ob Ödon da schon wusste, dass „seine“ Doris schon tot war? Für den Leser bleibt es offen. Barbara Frischmuth ist nicht eine Dichterin mit gutem Namen, die eben weiter Bücher produziert, sondern jedes neue Werk ist ein Meisterwerk. Sie beruft sich nicht auf den Erfolg ihrer Vergangenheit, sie stellt ihn immer wieder neu unter Beweis. |
Rauscher, Johann Drei ungewöhnliche Reisen Buch 2021. @book{Rauscher2021, title = {Drei ungewöhnliche Reisen}, author = {Johann Rauscher}, year = {2021}, date = {2021-07-29}, abstract = {RAUSCHER, Johann: „Drei ungewöhnliche Reisen“, Munderfing 2018 Meine Erfahrungen mit dem Thema Tibet und dem Verhältnis zu China sind zwar andere, aber das vorliegende Buch von Johann Rauscher ist gut und interessant geschrieben. Natürlich steckt da auch viel Propaganda dahinter. Sowohl von chinesischer, aber auch von westlicher Seite. Die im Buch vertretenen Standpunkte in Bezug auf Tibet sind typisch westlicher Politik entnommen. Inzwischen hat sich aber viel verändert und Minderheiten wie die Tibeter werden sehr bevorzugt behandelt. Mönche bekommen ein Grundeinkommen vom Staat und Tibeter haben Steuererleichterungen. Johann Rauscher erzählt hier von einer Reise nach Indien, wo er tibetische Einrichtungen besucht hat und letztlich sogar die Patenschaft für ein Mädchen übernommen hat. Nach 14 Jahren macht er wieder eine Reise und besucht das Patenkind, das an einer Krankenschwesternschule in Südindien studiert. Gemeinsam besuchen sie einen Onkel, der Mönch ist, in einem Kloster. So bekommt der Autor einen Einblick in das Leben der Tibeter in Indien. Eine gute Sache, wenn man so Entwicklungshilfe leistet und die Gelder direkt ankommen. Vielleicht kommt das Mädchen mit ihrer guten Ausbildung wieder nach Tibet, der ursprünglichen Heimat zurück. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } RAUSCHER, Johann: „Drei ungewöhnliche Reisen“, Munderfing 2018 Meine Erfahrungen mit dem Thema Tibet und dem Verhältnis zu China sind zwar andere, aber das vorliegende Buch von Johann Rauscher ist gut und interessant geschrieben. Natürlich steckt da auch viel Propaganda dahinter. Sowohl von chinesischer, aber auch von westlicher Seite. Die im Buch vertretenen Standpunkte in Bezug auf Tibet sind typisch westlicher Politik entnommen. Inzwischen hat sich aber viel verändert und Minderheiten wie die Tibeter werden sehr bevorzugt behandelt. Mönche bekommen ein Grundeinkommen vom Staat und Tibeter haben Steuererleichterungen. Johann Rauscher erzählt hier von einer Reise nach Indien, wo er tibetische Einrichtungen besucht hat und letztlich sogar die Patenschaft für ein Mädchen übernommen hat. Nach 14 Jahren macht er wieder eine Reise und besucht das Patenkind, das an einer Krankenschwesternschule in Südindien studiert. Gemeinsam besuchen sie einen Onkel, der Mönch ist, in einem Kloster. So bekommt der Autor einen Einblick in das Leben der Tibeter in Indien. Eine gute Sache, wenn man so Entwicklungshilfe leistet und die Gelder direkt ankommen. Vielleicht kommt das Mädchen mit ihrer guten Ausbildung wieder nach Tibet, der ursprünglichen Heimat zurück. |
von Schirach, Ferdinand Gott Buch 2021. @book{vonSchirach2021, title = {Gott}, author = {Ferdinand von Schirach}, year = {2021}, date = {2021-07-27}, abstract = {SCHIRACH, Ferdinand von: „Gott“, München 2020 Es ist dies ein Theaterstück, in dem es um Sterbehilfe geht. Ein 78-jähriger Mann, dessen Frau verstorben war, findet keinen Sinn mehr im Leben und will dieses beenden. Er ist völlig gesund und auch psychisch OK, aber er will „in Würde“ aus dem Leben scheiden. Dazu fragte er seine Ärztin, ihm das Medikament zur Vergiftung zu verschreiben. Das Stück spielt in einer Sitzung der Ethikkommission, in der der Präsident der Ärztekammer, ein Bischof, die den Mann behandelnde Augenärztin, ein Rechtssachverständiger und der Rechtsanwalt von Herrn Gärtner – so heißt der sterben Wollende - auftreten. Der Ort der Handlung ist der Saal der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Der Autor, Herr Schirach, hat in diesem zweiaktigen Stück alle Ansichten sehr gut dargestellt und keiner ein Übergewicht gegeben. Der Ethikrat will dieses Thema thematisieren und zu einer öffentlichen Diskussion führen. Deswegen die vorhin aufgezählte Zusammensetzung der Teilnehmer. Das deutsche Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1872 verbietet eine derartige Hilfe nicht und „was das Gesetz nicht verbietet, ist erlaubt.“ (Seite 29) Die Situation verschärft sich aber, wenn ein junger Mensch, der Liebeskummer hat sich töten will. Gedacht wird auch der 300.000 körperlich oder geistig behinderten Menschen, die während des Naziregimes ermordet wurden. Die gesetzliche Freigabe der Beihilfe zur Tötung könnte, aus der Sicht der Gegner, wieder zu solchen Auswüchsen führen. Auch religiöse Gründe können nicht ins Treffen geführt werden. Es gibt zwar die Freiheit zum Glauben und zur Religionsausübung, aber „Gott ist keine Person, keine Institution, keine Firma bürgerlichen Rechts oder etwas Ähnliches. Gesetze können ihn weder verpflichten noch ihm Rechte zusprechen.“ (Seite 41) Obwohl viele westliche Staaten ihre Werte auf christlichem Denken aufbauen. Diese sind aber nur eine Präambel und drücken Demut aus. Sterbehilfe gibt es in der Schweiz, den Niederlanden, Schweden, Belgien, Luxemburg, Kanada und verschiedenen US-Bundesstaaten. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgesetz 2020 Suizidhilfe grundsätzlich erlaubt. Der medizinische Sachverständige beruft sich auf den Hippokrates Eid der Ärzte, der sich grundsätzlich nur auf Heilung der Patienten bezieht und eine Tötung verbietet. Die Argumente des Mediziners beeindrucken den Rechtsanwalt nicht, denn auch bei der Einführung der Antibabypille gab es ärztliche Proteste. Auch der Bischof lehnt die Tötung ab und bezieht sich auf die 2500 Jahre lange „Übereinkunft, solche Akte der Gewalt, die das eigene Leben beenden, abzulehnen.“ (Seite 74) Er sieht in diesem Gesetz einen Druck, der auf alte Menschen ausgeübt wird, sich umzubringen, weil sie eine Belastung für die Gesellschaft oder die eigene Familie sind. „Ich will nur niemandem zur Last fallen.“ (Seite 78) Obwohl es einer harten Diskussion zwischen dem Theologen und dem Rechtsanwalt kommt, bleiben die Argumente doch stehen. Alle Experten dieses fiktiven Stücks kommen mit ihren Argumenten voll zur Geltung. Kein Standpunkt wird bevorzugt vorgestellt. Das Stück ist demnach eine neutrale Abhandlung des Problems, in dem jeder seine eigene Meinung finden muss. Im Publikum kommt es nach einer Pause auch zu einer Abstimmung. Jeder deklariert sich ob dieses Gesetz exekutiert werden soll oder nicht. Im zweiten Akt kommt das Schlussplädoyer, ohne einem Abstimmungsergebnis, ob diese Selbsttötung erlaubt werden soll oder nicht. Die Vorsitzende lässt auch hier alles offen und spricht einerseits von der persönlichen Freiheit der westlichen Welt, zu der auch die Selbstbestimmung über das eigene Leben gehört und andererseits sei es kein gesellschaftlicher Fortschritt, sondern eine Perversion. Es geht um die zentrale Frage „Wem gehört unser Leben?“ Niemand könne diese Frage beantworten. „Wir können nie letztgültig wissen, was richtig und was falsch ist, absolute Urteile über die Welt gibt es nicht.“ (Seite 117) So muss sich auch der Leser selbst eine Antwort geben. Der Autor des Stücks bietet nur die Argumente. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } SCHIRACH, Ferdinand von: „Gott“, München 2020 Es ist dies ein Theaterstück, in dem es um Sterbehilfe geht. Ein 78-jähriger Mann, dessen Frau verstorben war, findet keinen Sinn mehr im Leben und will dieses beenden. Er ist völlig gesund und auch psychisch OK, aber er will „in Würde“ aus dem Leben scheiden. Dazu fragte er seine Ärztin, ihm das Medikament zur Vergiftung zu verschreiben. Das Stück spielt in einer Sitzung der Ethikkommission, in der der Präsident der Ärztekammer, ein Bischof, die den Mann behandelnde Augenärztin, ein Rechtssachverständiger und der Rechtsanwalt von Herrn Gärtner – so heißt der sterben Wollende - auftreten. Der Ort der Handlung ist der Saal der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Der Autor, Herr Schirach, hat in diesem zweiaktigen Stück alle Ansichten sehr gut dargestellt und keiner ein Übergewicht gegeben. Der Ethikrat will dieses Thema thematisieren und zu einer öffentlichen Diskussion führen. Deswegen die vorhin aufgezählte Zusammensetzung der Teilnehmer. Das deutsche Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1872 verbietet eine derartige Hilfe nicht und „was das Gesetz nicht verbietet, ist erlaubt.“ (Seite 29) Die Situation verschärft sich aber, wenn ein junger Mensch, der Liebeskummer hat sich töten will. Gedacht wird auch der 300.000 körperlich oder geistig behinderten Menschen, die während des Naziregimes ermordet wurden. Die gesetzliche Freigabe der Beihilfe zur Tötung könnte, aus der Sicht der Gegner, wieder zu solchen Auswüchsen führen. Auch religiöse Gründe können nicht ins Treffen geführt werden. Es gibt zwar die Freiheit zum Glauben und zur Religionsausübung, aber „Gott ist keine Person, keine Institution, keine Firma bürgerlichen Rechts oder etwas Ähnliches. Gesetze können ihn weder verpflichten noch ihm Rechte zusprechen.“ (Seite 41) Obwohl viele westliche Staaten ihre Werte auf christlichem Denken aufbauen. Diese sind aber nur eine Präambel und drücken Demut aus. Sterbehilfe gibt es in der Schweiz, den Niederlanden, Schweden, Belgien, Luxemburg, Kanada und verschiedenen US-Bundesstaaten. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgesetz 2020 Suizidhilfe grundsätzlich erlaubt. Der medizinische Sachverständige beruft sich auf den Hippokrates Eid der Ärzte, der sich grundsätzlich nur auf Heilung der Patienten bezieht und eine Tötung verbietet. Die Argumente des Mediziners beeindrucken den Rechtsanwalt nicht, denn auch bei der Einführung der Antibabypille gab es ärztliche Proteste. Auch der Bischof lehnt die Tötung ab und bezieht sich auf die 2500 Jahre lange „Übereinkunft, solche Akte der Gewalt, die das eigene Leben beenden, abzulehnen.“ (Seite 74) Er sieht in diesem Gesetz einen Druck, der auf alte Menschen ausgeübt wird, sich umzubringen, weil sie eine Belastung für die Gesellschaft oder die eigene Familie sind. „Ich will nur niemandem zur Last fallen.“ (Seite 78) Obwohl es einer harten Diskussion zwischen dem Theologen und dem Rechtsanwalt kommt, bleiben die Argumente doch stehen. Alle Experten dieses fiktiven Stücks kommen mit ihren Argumenten voll zur Geltung. Kein Standpunkt wird bevorzugt vorgestellt. Das Stück ist demnach eine neutrale Abhandlung des Problems, in dem jeder seine eigene Meinung finden muss. Im Publikum kommt es nach einer Pause auch zu einer Abstimmung. Jeder deklariert sich ob dieses Gesetz exekutiert werden soll oder nicht. Im zweiten Akt kommt das Schlussplädoyer, ohne einem Abstimmungsergebnis, ob diese Selbsttötung erlaubt werden soll oder nicht. Die Vorsitzende lässt auch hier alles offen und spricht einerseits von der persönlichen Freiheit der westlichen Welt, zu der auch die Selbstbestimmung über das eigene Leben gehört und andererseits sei es kein gesellschaftlicher Fortschritt, sondern eine Perversion. Es geht um die zentrale Frage „Wem gehört unser Leben?“ Niemand könne diese Frage beantworten. „Wir können nie letztgültig wissen, was richtig und was falsch ist, absolute Urteile über die Welt gibt es nicht.“ (Seite 117) So muss sich auch der Leser selbst eine Antwort geben. Der Autor des Stücks bietet nur die Argumente. |
von WOLZOGEN, Ernst Der Kraft-Mayr Buch 2021. @book{vonWOLZOGEN2021, title = {Der Kraft-Mayr}, author = {Ernst von WOLZOGEN}, year = {2021}, date = {2021-07-21}, abstract = {WOLZOGEN, Ernst von: „Der Kraft-Mayr“, Erster Band, Stuttgart 1897 Florian Mayr ist die zentrale Figur des Romans „Der Kraft-Mayr“. Er ist ein junger Pianist, der sich sein Geld mit Unterrichtsstunden verdient. Er ist in seiner Stadt gut eingeführt und unterrichtet Töchter von angesehenen Häusern. Durch verschiedene Missverständnisse kommt er in Misskredit und verliert fast alle seine Schüler. Er lebt nur mehr von Ersparnissen und muss sich nun auf die Möglichkeit von Konzerten konzentrieren. Dazu fährt er nach Weimar und mietet sich dort ein Zimmer und sucht den Kontakt zu Franz Liszt, der jedes Jahr dort für längere Zeit absteigt. Viele Anhänger kamen im Tross von Liszt mit nach Weimar. Florian Mayr lernt neue Gesellschaftsschichten kennen. Er hat Glück und bekommt einen Zugang zu Liszt, ja er wird sein Assistent. Daneben verliebt er sich in eine Ungarin, der er, auf Anweisung von Liszt, Unterricht gibt. Das Buch handelt in der Zeit von Liszt und beschreibt den genialen Komponisten durch seinen Schüler Mayr. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } WOLZOGEN, Ernst von: „Der Kraft-Mayr“, Erster Band, Stuttgart 1897 Florian Mayr ist die zentrale Figur des Romans „Der Kraft-Mayr“. Er ist ein junger Pianist, der sich sein Geld mit Unterrichtsstunden verdient. Er ist in seiner Stadt gut eingeführt und unterrichtet Töchter von angesehenen Häusern. Durch verschiedene Missverständnisse kommt er in Misskredit und verliert fast alle seine Schüler. Er lebt nur mehr von Ersparnissen und muss sich nun auf die Möglichkeit von Konzerten konzentrieren. Dazu fährt er nach Weimar und mietet sich dort ein Zimmer und sucht den Kontakt zu Franz Liszt, der jedes Jahr dort für längere Zeit absteigt. Viele Anhänger kamen im Tross von Liszt mit nach Weimar. Florian Mayr lernt neue Gesellschaftsschichten kennen. Er hat Glück und bekommt einen Zugang zu Liszt, ja er wird sein Assistent. Daneben verliebt er sich in eine Ungarin, der er, auf Anweisung von Liszt, Unterricht gibt. Das Buch handelt in der Zeit von Liszt und beschreibt den genialen Komponisten durch seinen Schüler Mayr. |
KLEMM, Gertraud herzmilch Buch 2021. @book{KLEMM2021b, title = {herzmilch}, author = {Gertraud KLEMM}, year = {2021}, date = {2021-07-15}, abstract = {KLEMM, Gertraud: „Herzmilch“, Wien 2014 Das Buch erzählt von einem Mädchen und wie es eine Frau wird. Das Buch – und damit auch der Kreis - schließt damit, wie diese Frau selbst ein Kind bekommt und wie sich dieses Kind verhält. Immer aber steht das Weibliche im Mittelpunkt, ohne dass es aufdringlich feministisch ist. In sehr schönem Stil beschreibt die Autorin das „Frauwerden“. Sie beginnt mit der Kindheit in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. „Ich wachse auf im Gelbton der Siebzigerjahre. Ich laufe neben dem Leben der Eltern her. Die warten nicht, bis ich mir alles ganz genau angesehen habe. Die ziehen mich weiter.“ (Seite 9/10) Das Mädchen wächst in einem Mehrfamilienhaus auf, das der Großvater für seine Kinder gekauft hatte. So wohnt das Mädchen mit seinen Eltern, Onkeln und Tanten und Cousinen gemeinsam auf. Durch ihren Bruder erlebt sie erstmals den Unterschied, wie Buben und Mädchen behandelt und erzogen werden. „Wir Mädchen weinen, wenn uns der harte Völkerball trifft, und wir haben bessere Noten. Wir haben Handarbeiten statt Werken und wir prügeln uns nicht.“ (Seite 42/43) Die Eltern sind berufstätig. Als Schulmädchen erlebt sie Mütter von Freundinnen, die immer zu Hause sind. Dann kommt das Erwachsenwerden. Die Brüste wachsen und die Menstruation setzt ein. „Erwachsensein ist ein trüber Schwall; der mir aus der Zukunft entgegenschwappt: du musst, du sollst, du wirst einmal, du wirst schon noch.“ (Seite 61) Mit dem Satz „Eine Frau ist man aber erst, wenn man sich einen Penis in die Vagina stecken lässt.“ (Seite 69) bringt sie eine Definition, wie sie von Pubertierenden gesehen wird. In der Mittelschulzeit kommen erste emanzipatorischen Züge auf. Burschen spielen eine immer bedeutendere Rolle. Auch während des Studium. Nach abgeschlossenem Studium bekommt sie – durch Protektion ihres Vaters – einen Job als Assistentin an der Universität. Sie ist damit zufrieden. Sie merkt erst nach einem Mitarbeitergespräch, dass ihr „vierzig Wochenstunden, 10 Stunden Überstundenpauschale, 5 Wochen Urlaub, 14 Monatsgehälter“ (Seite 128) ausreichend sind. Mehr will sie nicht. Obwohl: ja. Da fehlt ihr ein Mann. Sie kritisiert ihr Aussehen. Männerbekanntschaften kommen und gehen „Die Männer spült der Alltag in mein Leben und er spült sie auch wieder hinaus aus meinem Leben.“ (Seite 134) Alle Freundinnen haben Familie und Kinder und ihr Alter schreitet ohne dem fort. Viele Männerfreundschaften währen nur kurz. Von einem wird sie schwanger. Er will aber kein Kind und drängt zur Abtreibung. Sie verlässt ihn und zieht ihr Kind – eine Tochter – allein auf. Die Probleme mit Kindern umzugehen, werden bei einer alleinerziehenden Mutter noch stärker und sie werden hier sehr gut beschrieben. Das Mädchen kommt in die Schule und merkt zunehmend, dass ein Vater fehlt. Sie fordert ihn ein und es kommt zum Zusammentreffen. Letztlich führt es auch die Eltern wieder zusammen und es endet mit einer Familie. Einer heilen Familie? Sie hadert immer noch und stellt Vergleiche an. Was würde geschehen, wenn keine Mädchen mehr zur Welt kommen würden? Oder wie würde diese Welt aussehen, wenn keine Buben mehr gezeugt würden? Ein interessantes Gedankenspiel. Ihre Parole aber lautet „Die Frau braucht einen Knochen im Herz. Damit der das Herz hart macht. Das Herz darf nicht so weich sein, weil sonst die Männer und die Kinder das Herz in die Faust nehmen und es drücken.“ (Seite 229) Das Buch ist kritisch den Frauen gegenüber und zeigt auch deren Benachteiligungen auf. Es ist aber auch kritisch gegenüber den Emanzen und Politikerinnen, die für mehr Frauenrechte kämpfen – oder so tun als würden sie kämpfen. }, keywords = {}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} } KLEMM, Gertraud: „Herzmilch“, Wien 2014 Das Buch erzählt von einem Mädchen und wie es eine Frau wird. Das Buch – und damit auch der Kreis - schließt damit, wie diese Frau selbst ein Kind bekommt und wie sich dieses Kind verhält. Immer aber steht das Weibliche im Mittelpunkt, ohne dass es aufdringlich feministisch ist. In sehr schönem Stil beschreibt die Autorin das „Frauwerden“. Sie beginnt mit der Kindheit in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. „Ich wachse auf im Gelbton der Siebzigerjahre. Ich laufe neben dem Leben der Eltern her. Die warten nicht, bis ich mir alles ganz genau angesehen habe. Die ziehen mich weiter.“ (Seite 9/10) Das Mädchen wächst in einem Mehrfamilienhaus auf, das der Großvater für seine Kinder gekauft hatte. So wohnt das Mädchen mit seinen Eltern, Onkeln und Tanten und Cousinen gemeinsam auf. Durch ihren Bruder erlebt sie erstmals den Unterschied, wie Buben und Mädchen behandelt und erzogen werden. „Wir Mädchen weinen, wenn uns der harte Völkerball trifft, und wir haben bessere Noten. Wir haben Handarbeiten statt Werken und wir prügeln uns nicht.“ (Seite 42/43) Die Eltern sind berufstätig. Als Schulmädchen erlebt sie Mütter von Freundinnen, die immer zu Hause sind. Dann kommt das Erwachsenwerden. Die Brüste wachsen und die Menstruation setzt ein. „Erwachsensein ist ein trüber Schwall; der mir aus der Zukunft entgegenschwappt: du musst, du sollst, du wirst einmal, du wirst schon noch.“ (Seite 61) Mit dem Satz „Eine Frau ist man aber erst, wenn man sich einen Penis in die Vagina stecken lässt.“ (Seite 69) bringt sie eine Definition, wie sie von Pubertierenden gesehen wird. In der Mittelschulzeit kommen erste emanzipatorischen Züge auf. Burschen spielen eine immer bedeutendere Rolle. Auch während des Studium. Nach abgeschlossenem Studium bekommt sie – durch Protektion ihres Vaters – einen Job als Assistentin an der Universität. Sie ist damit zufrieden. Sie merkt erst nach einem Mitarbeitergespräch, dass ihr „vierzig Wochenstunden, 10 Stunden Überstundenpauschale, 5 Wochen Urlaub, 14 Monatsgehälter“ (Seite 128) ausreichend sind. Mehr will sie nicht. Obwohl: ja. Da fehlt ihr ein Mann. Sie kritisiert ihr Aussehen. Männerbekanntschaften kommen und gehen „Die Männer spült der Alltag in mein Leben und er spült sie auch wieder hinaus aus meinem Leben.“ (Seite 134) Alle Freundinnen haben Familie und Kinder und ihr Alter schreitet ohne dem fort. Viele Männerfreundschaften währen nur kurz. Von einem wird sie schwanger. Er will aber kein Kind und drängt zur Abtreibung. Sie verlässt ihn und zieht ihr Kind – eine Tochter – allein auf. Die Probleme mit Kindern umzugehen, werden bei einer alleinerziehenden Mutter noch stärker und sie werden hier sehr gut beschrieben. Das Mädchen kommt in die Schule und merkt zunehmend, dass ein Vater fehlt. Sie fordert ihn ein und es kommt zum Zusammentreffen. Letztlich führt es auch die Eltern wieder zusammen und es endet mit einer Familie. Einer heilen Familie? Sie hadert immer noch und stellt Vergleiche an. Was würde geschehen, wenn keine Mädchen mehr zur Welt kommen würden? Oder wie würde diese Welt aussehen, wenn keine Buben mehr gezeugt würden? Ein interessantes Gedankenspiel. Ihre Parole aber lautet „Die Frau braucht einen Knochen im Herz. Damit der das Herz hart macht. Das Herz darf nicht so weich sein, weil sonst die Männer und die Kinder das Herz in die Faust nehmen und es drücken.“ (Seite 229) Das Buch ist kritisch den Frauen gegenüber und zeigt auch deren Benachteiligungen auf. Es ist aber auch kritisch gegenüber den Emanzen und Politikerinnen, die für mehr Frauenrechte kämpfen – oder so tun als würden sie kämpfen. |